# taz.de -- Kinofilm "Von Menschen und Göttern": Gelungenes Wagnis | |
> 1996 werden im algerischen Atlasgebirge acht französische Mönche entführt | |
> und ermordet. In "Von Menschen und Göttern" erzählt Xavier Beauvois ihre | |
> Geschichte. | |
Bild: Geängstigte, tapfere Menschen, die dem Tod, den sie ahnen, ins Auge sehe… | |
Acht französische Mönche, Trappisten, in einem Kloster im Atlasgebirge | |
Algeriens, stehen im Zentrum von Xavier Beauvois Film "Von Menschen und | |
Göttern". Am fremden Ort, in der Nachfolge Christi, im Dienst ihres | |
christlichen Gottes unter Muslimen. Die meisten von ihnen werden sterben, | |
die Geschichte ist bekannt und hat nicht nur in Frankreich großes Aufsehen | |
erregt. Die Mönche wurden im Jahr 1996 entführt, man fand sie später mit | |
abgeschnittenen Köpfen. Der offiziellen Lesart nach waren die Täter | |
algerische Islamisten, vielleicht wurden die Mönche aber auch Opfer des | |
algerischen Militärs - eindeutig aufgeklärt ist die Sache bis heute nicht. | |
Um die Tat als solche jedoch geht es dem Film ohnehin nicht. | |
Sondern einzig und allein um die Mönche. Rechtschaffen sind diese Männer, | |
sie kennen keinen zivilisatorischen Hochmut, stellen sich in den Dienst der | |
notleidenden Bevölkerung, feiern muslimische Feste, helfen und heilen, und | |
sie missionieren nicht. Und doch ist mit der Konstellation unweigerlich ein | |
anderer Zusammenhang aufgerufen. So wenig Christentum und Missionierung und | |
Franzosen in Algerien und Kolonialismus historisch und prinzipiell | |
auseinanderzudividieren sind, so wenig kann man auch in diesem Fall davon | |
schweigen. Die Frage ist und bleibt gestellt: In wessen Namen sind die acht | |
Männer in dieser Fremde? Wem nützt, was sie tun? Drängender noch wird die | |
Frage in der sich zusammenbrauenden Lage der mittleren neunziger Jahre, in | |
denen der algerische Islamismus erstarkt. In äußerst brutaler Weise werden | |
Fremde im Land im Namen Allahs und seines Propheten getötet. Dies | |
jedenfalls ist die Formatierung, die der Film diesem Konflikt gibt, die | |
komplizierten Details der historischen und sozialen Hintergründe blendet | |
Xavier Beauvois sehr gezielt weg. | |
Genau daraus aber macht er ein in letzter Instanz und implizit politisches | |
Argument. Gerade dadurch, dass sie schon die Prämissen der | |
Auseinandersetzung nicht akzeptieren, setzen die Mönche den verfeindeten | |
Parteien nicht einfach eine weitere Position entgegen, sondern einen | |
Standpunkt, der außerhalb des Konflikts selbst steht. Die höchste Moral im | |
außerpolitischen Sinn, die Reinheit eines Verharrens auf verlorenem Posten | |
bis hin zur Blutzeugenschaft - dies vor allem möchte der Film plausibel | |
machen als eine Option. "Von Menschen und Göttern" will nicht mehr und | |
nicht weniger, als dass man am Ende die Motivationen der Märtyrer wenn | |
nicht billigt, so doch in ihrer inneren Konsequenz nachvollzieht. | |
Verblendet und naiv finden kann man es immer noch. Der Film aber, der sich | |
nah an Originalzeugnissen der Perspektive der Mönche anschmiegt, tut das | |
ganz sicher nicht. | |
Was als ästhetischer Kern von "Von Menschen und Göttern" bleibt, sind die | |
mit großer Klarheit ins Bild gestellten Mönche vor diffundierendem | |
politischem Hintergrund. Mönche, die sich der Lebensgefahr bewusst sind, in | |
der sie schweben, denn die marodierenden Islamisten werden, das scheint | |
nach ersten Konfrontationen klar, das Kloster und seine Bewohner nicht auf | |
Dauer verschonen. Die Mönche bleiben trotz mancher und für einen von ihnen | |
bis in die Verzweiflung reichender Zweifel vor Ort und tun weiter Gutes. | |
Sie sprechen und handeln dabei immer, so sehen sie das, im Namen des | |
christlichen Gottes, in dessen Händen ihr irdisches Leben ohnehin liegt. | |
Sie singen und heilen, sie schweigen und lauschen und beten ihm zu Ehren. | |
Die Kamera folgt den Gesprächen der Mönche, ihrem Handeln, ihrem Hadern mit | |
sich und mit Gott. Mit äußerster Ruhe filmt Caroline Champetier - die | |
Kamerafrau unter anderen von Jean-Luc Godard und Benoît Jacquot - diese | |
Menschen im Schutzraum des Klosters, in Gesellschaft der Einheimischen und | |
in den weiten Landschaften des Atlasgebirges. Sie meidet unnötige Bewegung | |
ebenso wie - mit Ausnahmen - das erstarrte Tableau, der Himmel ist hoch | |
über den Feldern, ein Verschwindendes ist der Mensch in der Natur. | |
Champetier und Beauvois zeichnen Bewegungen nach, zeigen den | |
selbstverständlichen Kontakt der Glaubensbrüder mit den Menschen vor Ort, | |
sie stellen sie jedoch auch immer wieder zur Gemeinschaft der Betenden, der | |
Singenden, der mit ihrem Gott Kommunizierenden auf. Differenziert wird | |
nicht nach außen, sondern nach innen. Der Raum, um den es dem Film zu tun | |
ist, ist ein Raum der Seelennot und des ethisch-theologischen Ringens. | |
Sehr bewusst und ausdrücklich stellt Beauvois in der Montage die | |
Gemeinschaft der Mönche zusammen in ein manchmal sogar ganz ausdrücklich | |
gerahmtes Bild und löst sie dann Individuuum für Individuum wieder auf. Ein | |
Tisch, um den sie verteilt sind, ist der Ort der Abstimmung und Beratung. | |
Die Kamera zeigt hier jeden als Einzelnen. In der Mitte sitzt - etwas arg | |
christushaft manchmal - Christian (Lambert Wilson), der Abt, auf dessen | |
Schreibtisch der Koran stets neben der Bibel liegt. Als Hadernder | |
vorgestellt bei Tag und bei Nacht wird der Gärtner. Luc (Michael Lonsdale), | |
der Arzt, der sich selbst einen "freien Menschen" nennt, ist sozusagen der | |
Inbegriff des Individuellen, ein so verschmitzter wie gütiger Mann, der die | |
Liebe kennt und die Menschen in ihrer Schwäche, ein Kranker er selbst mit | |
schweren asthmatischen Anfällen, ein Heilender, der ohne Ansehen der Person | |
Gute wie Böse behandelt und also auch den Terroristen, der ihn im | |
schlimmsten Fall später selbst umbringen wird. | |
Luc wird es sein, der das Letzte Abendmahl und damit die filmische | |
Apotheose der Märtyrer-Mönche inszeniert. Es ist dies der emotionale und | |
der formale Höhepunkt des Films, eine unvergessliche Szene. Erst wird die | |
Gruppe durch einen Mauerdurchbruch von der Kamera als Gemeinschaft und | |
Gruppe schweigend erfasst. Zwei Flaschen Wein stellt Luc auf den Tisch. Er | |
legt eine Kassette ins Kassettengerät, die Tschaikowskis Schwanensee-Musik | |
spielt. Zu hören ist diese aber als Soundtrack-Musik aus dem Jenseits des | |
Bildes. Minutenlang wird dann die Kamera in der Auflösung der Gemeinschaft | |
ins Einzelbild des einzelnen Mönchs schwelgen. Bei aller Überhöhung, bei | |
allem großartigen Pathos geht es dabei einzig um die ihren Gesichtern | |
ablesbaren Gemütsbewegungen von geängstigten, tapferen Menschen, die dem | |
Tod, den sie ahnen, ins Auge sehen. | |
Von dieser bewegenden Szene am Ende her schließt sich der Film als ganzer | |
auf. Er ist einerseits kein bloßes Gedenkmonument, er nähert sich aktuellen | |
Debatten über Christentum, Europa, Islam andererseits aber vorsichtig und | |
nur indirekt. So problematisch und diskussionswürdig der Ansatz ist, wenn | |
man ihn ins Licht der Realpolitik stellt: Als ästhetischer Entwurf, der | |
sich zur Aufgabe macht, den einzelnen Gläubigen als Individuum in den nicht | |
erhaben, sondern schön komponierten Einstellungsbildern zu seinem ganzen | |
Recht kommen zu lassen, überzeugt und ergreift "Von Menschen und Göttern". | |
In Cannes erhielt Regisseur Xavier Beauvois, der in erster Linie als | |
Schauspieler arbeitet, dafür ganz zu Recht den Großen Preis der Jury. Bei | |
seinem Frankreichstart wurde der Film rasch erst zum Besuchererfolg mit | |
inzwischen mehr als drei Millionen verkauften Tickets, dann zum auf allen | |
Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften präsenten, überall diskutierten | |
Phänomen. | |
Zu den unergründlichen - oder eher den nur zu ergründlichen - | |
Entscheidungen, die die Götter der kulturellen Auszeichnungen treffen, | |
gehört die Tatsache, dass der Film bei der Verleihung des Europäischen | |
Filmpreises vollkommen leer ausging. Die Europäische Filmakademie zieht | |
grundsätzlich das Erfolgreiche dem Gewagten vor. Besonders enttäuschend ist | |
es dann allerdings, wenn sie nicht einmal ein kommerziell erfolgreiches und | |
ästhetisch so meisterlich gelungenes Wagnis wie diesen Film zu würdigen | |
versteht. Roman Polanskis solider, aber doch eher mediokrer Genrefilm "Der | |
Ghost Writer" räumte ab, was nur abzuräumen war. Offenbar ging es diesmal | |
endgültig um reine Symbolpolitik. Wenn sich aber der Europäische Filmpreis | |
zur nachträglichen Entschädigung für die Inhaftierung des moralisch zu | |
Recht diskreditierten Regisseurs Roman Polanski degradiert, dann erhärtet | |
er den Verdacht, der ihn schon immer heftig umweht: Etwas Überflüssigeres | |
als diesen Möchtegern-Oscar gibt es weit und breit nicht. | |
15 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Kinofilm | |
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