# taz.de -- Diskriminierung in der Schulmensa: Eine ernüchternde Situation | |
> Weil Eltern nicht zahlen, werden an der Spreewald-Grundschule 50 Kinder | |
> vom Schulessen ausgeschlossen. Besonders arme Kinder sind betroffen. | |
Bild: Guten Appetit! Das gilt mittags leider nicht für alle Berliner Grundsch�… | |
Für das einzelne Kind ist es eine tägliche Erniedrigung: Während die | |
KlassenkameradInnen sich in der Schulmensa an der Essensausgabe bedienen, | |
muss es so lange draußen warten, bis die anderen satt sind. An der | |
Spreewald-Grundschule im Schöneberger Norden geht das derzeit 50 Kindern | |
so: Sie werden vom Schulessen ausgeschlossen, weil die Eltern dauerhaft | |
keine Beiträge zum Schulmittagessen zahlen. | |
Ein krasser Einzelfall? Im Gegenteil. „Dass Kinder nicht mitessen dürfen, | |
ist ein grundsätzliches Problem“, sagt Ferdinand Horbat, Bezirksschulbeirat | |
in Tempelhof-Schöneberg. Horbat kümmert sich seit Jahren um Fälle im | |
Bezirk, wo Eltern nicht zahlen. Er sagt: Je prekärer die Sozialstruktur im | |
Kiez, desto höher auch die Zahl der Kinder an den Schulen, die vom Essen | |
ausgeschlossen werden. | |
Die Spreewald-Grundschule ist eine gebundene Ganztagsgrundschule. Wer sein | |
Kind dort anmeldet, verpflichtet sich laut dem Berliner Schulgesetz, sein | |
Kind „am Mittagessen teilnehmen zu lassen“. Das ergibt Sinn, denn der | |
Unterricht im gebundenen Ganztag geht bis vier Uhr nachmittags. Die Eltern | |
schließen dann einen Vertrag mit dem Caterer, der die Schule beliefert. Auf | |
37 Euro beläuft sich der monatliche Elternbeitrag zum Schulessen – 3,25 | |
Euro pro Essen. Wer Empfänger von Sozialleistungen ist, zahlt nur einen | |
reduzierten Betrag von einem Euro pro Tag, etwa 20 Euro pro Monat. | |
Und trotzdem zahlten gerade diese Eltern nicht, sagt auch Jan-Christopher | |
Rämer, SPD-Schulstadtrat in Neukölln. „Wir wissen aus den Schulen: Ein | |
Großteil der Ausschlüsse sind diejenigen Kinder, deren Eltern eigentlich | |
nur den reduzierten Betrag zahlen müssen“, sagt Rämer. Oft scheiterten die | |
Eltern an der Bürokratie, sagt Schulbeirat Horbat. Denn das | |
1-Euro-Schulessen muss über das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes | |
beantragt werden. Manche scheiterten am Amtsdeutsch, manchmal sei es auch | |
mangelnde Motivation, weiß Horbat. Theoretisch müsste dann zwar ein | |
Sozialarbeiter der Schule oder eine Lehrkraft helfen – doch fehlen denen in | |
der Praxis dafür schlicht die Kapazitäten. | |
## Bezirke wissen von (fast) nichts | |
Der Mensaleitung die Sperrvermerksliste des Caterers durchzugeben ist für | |
die Schulleitungen da ein deutlich geringerer Aufwand. Nun müssten die | |
Schulen im Prinzip aber dem Schulamt melden, dass die Eltern ihrer | |
gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen. Und das Schulamt müsste das | |
Schulgesetz umsetzen und diese Kinder konsequenterweise von der Schule | |
verweisen. Doch auch das passiert nicht. | |
Es seien keine „Beschwerden“ über Ausschlüsse vom Schulessen bekannt, sagt | |
Jutta Kaddatz, CDU-Schulstadträtin in Tempelhof-Schöneberg. Gleiches teilt | |
ihr SPD-Kollege Stefan Komoß aus Marzahn-Hellersdorf mit. Und der | |
Neuköllner Schulstadtrat Rämer sagt lediglich, es gebe „auf jeden Fall | |
immer wieder Fälle“, wo SchülerInnen nicht mitessen dürften. | |
Experte Horbat sagt, mit einem Schulverweis sei den Kindern ja auch nicht | |
geholfen. Er bezweifelt, dass ein Schulverweis die Eltern beeindrucken | |
würde. Die Kinder kämen dann eben an eine offene Ganztagsgrundschule, wo | |
der Unterricht schon um 13.30 Uhr endet – und hätten am Ende wahrscheinlich | |
weder Nachmittagsbetreuung noch Mittagessen. | |
Hakt man in den Bezirken nach, erfährt man: Von 3.900 Kindern, die in | |
Neukölln eine gebundene Ganztagsgrundschule besuchen, haben die Eltern von | |
100 Kindern noch nicht einmal einen Vertrag mit dem jeweiligen Schulcaterer | |
abgeschlossen – das sind durchschnittlich acht Kinder pro Schule, bis auf | |
eine Schule sind alle 13 gebundenen Ganztagsgrundschulen des Bezirks | |
betroffen. In Marzahn-Hellersdorf sind es 24 Kinder an zwei Grundschulen. | |
Tempelhof-Schöneberg kann dazu „derzeit keine Angaben machen“. | |
## Schulstadtrat in der Zwickmühle | |
Rämer sagt offen, dass er diese Zahlen nur ungern öffentlich mache – weil | |
es ihn als Schulstadtrat in eine Zwickmühle bringe. Eigentlich müsste er | |
das Schulgesetz durchsetzen. Aber auch er fragt: Was nützt ein Schulverweis | |
dem Kind? | |
Nun könnte man aber auch auf die Idee kommen wollen, zum Wohle der Kinder | |
den Druck auf die Eltern zu erhöhen – oder die Elternbeiträge komplett | |
abzuschaffen. | |
Ersteres gestaltet sich offenbar schwierig: Rämer hatte in Neukölln bereits | |
die Idee, den Betrag für das Schulessen jeden Monat direkt vom Jobcenter an | |
die Schulen überweisen zu lassen. „Aber der Aufwand ist den Jobcentern zu | |
hoch.“ Und den Eltern das Essensgeld direkt von der Sozialhilfe abzuziehen, | |
wie es Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) bereits gefordert hatte, | |
müsste auf Bundesebene entschieden werden. | |
Bezirksschulbeirat Horbat und auch Schulstadtrat Rämer würden die | |
Elternbeiträge zum Schulessen deshalb gern abschaffen. Das ist ebenfalls | |
eine alte Forderung von SPD-Fraktionschef Raed Saleh – doch es scheint | |
bisher nicht so, als fände das Thema Eingang in den nächsten | |
Koalitionsvertrag, den die zukünftigen rot-rot-grünen Koalitionäre bis | |
Donnerstag ausgehandelt haben wollen. | |
Mit der Abschaffung der Beiträge würde man auch nur eine | |
„Gratis-Mentalität“ bedienen, findet CDU-Schulstadträtin Kaddatz in | |
Tempelhof-Schöneberg. „Ein kostenloses Mittagessen birgt immer die Gefahr | |
der Geringschätzung der Konsumenten.“ | |
Das mag pädagogisch korrekt gedacht sein – allein, den Kindern hilft das | |
nicht weiter. | |
14 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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