# taz.de -- Schulessen in Berlin: Einfach nicht hot | |
> Zu fettig, zu süß – oder an den Vorlieben der Schüler vorbei: Das | |
> Schulessen an den Berliner Oberschulen hat keinen guten Ruf. Leider zur | |
> Recht. | |
Bild: Appetitlich ist anders: Frittierter Fisch an Gummihandschuh | |
Wahrscheinlich kann man es einem 15-Jährigen nicht unbedingt vorwerfen, | |
dass er mittags keine Lust auf Kartoffelbrei aus der Schulkantine hat. Oder | |
auf Klopse in Kapernsoße. Die Frage ist nur, ob man ihm (oder ihr) dann | |
etwas Besseres anbieten sollte als Hot Dog oder Salami-Pizza. Doch genau so | |
sieht der Status quo an den meisten weiterführenden Schulen in Berlin aus. | |
Der warme Mittagstisch an den Sekundarschulen und Gymnasien wird kaum | |
angenommen, wie auch die Antwort der Senatsbildungsverwaltung auf eine | |
parlamentarische Anfrage der FDP Ende Februar wieder zeigte: | |
Durchschnittlich essen an den Oberschulen nur 10 bis 20 Prozent der | |
SchülerInnen mittags mit. An einzelnen Schulen sind es sogar weniger als 10 | |
Jugendliche – wie zum Beispiel an der Friedenauer Gemeinschaftsschule oder | |
der Willy-Brandt-Schule in Wedding. | |
An 30 Schulen gibt es mangels Nachfrage sogar überhaupt kein warmes | |
Mittagessen. Und das, obwohl alle Sekundarschulen in Berlin (und auch immer | |
mehr Gymnasien) eigentlich Ganztagsschulen sind. Das Schulgesetz sieht bei | |
Ganztagsschulen ausdrücklich ein Mittagessen vor – was auch Sinn macht, | |
weil die Schulzeit sich dort bis in den Nachmittag zieht. | |
Kochen die Caterer also so schlecht? Ist den Schulen das Thema einfach | |
egal? Weder noch, sagt zumindest Cynthia Segner, Schulleiterin am | |
Tiergarten-Gymnasium in Moabit. Ein warmes Mittagessen wie bei Mutti „ist | |
einfach nicht das, was ältere Schüler anspricht“. 35 Jugendliche haben an | |
ihrer Schule einen Vertrag mit dem Caterer Havel-Menü. Insgesamt hat das | |
Ganztagsgymnasium rund 900 SchülerInnen. Havel-Menü-Geschäftsführer Erkan | |
Boyaz sagt, letztlich werde er etwa zehn bis zwölf Essen am Tag los. | |
## 300 Euro pro Tag mit Snacks | |
Nun ist es nicht so, dass man nicht wüsste, was die Jugendlichen wollen: | |
„Was richtig gut läuft“, sagt Schulleiterin Segner, „sind Snacks und | |
Kleinigkeiten aus der Cafeteria.“ 300 Euro Umsatz pro Tag mache er damit | |
pro Tag, sagt auch Catering-Anbieter Boyaz. „Das sind etwa 80 bis 90 | |
Essen.“ | |
Die gut gehenden Kleinigkeiten, das sind im Tiergarten-Gymnasium: Donuts, | |
Muffins, das Schnitzelbrötchen zu 1,50 Euro, die Mini-Pizza für zwei Euro. | |
Die süßen Teilchen liegen ganz vorne in der Auslage, gleich über den | |
Schokoriegeln. Wenn es den Jugendlichen also um das To-go-Prinzip geht – | |
warum dann das Ganze nicht in etwas weniger süß und fettig? „Machen wir | |
ja“, sagt Boyaz, und verweist auf vegetarische Wraps und frischen | |
Obstsalat. „Aber die Schüler wollen das nicht, die wollen lieber | |
Schoko-Croissants.“ | |
Tatsächlich stapeln sich die Wraps mittags um halb eins ein wenig verschämt | |
links oben in der Kühltheke der Gymnasiumsmensa, während man den | |
Pizza-Geruch lange riecht, bevor man zur Tür herein ist. Boyaz erzählt, | |
dass er an der Weddinger Willy-Brand-Oberschule, die er ebenfalls | |
beliefert, einmal auf Wunsch der Schulleitung „nur gesunde Sachen“ anbot: | |
Couscous, Obst, ein Salatbuffet. „Nach ein paar Monaten haben wir damit | |
wieder aufgehört, es lief einfach nicht.“ | |
Kein Wunder, sagt Michael Jäger von der Berliner Vernetzungsstelle Kita- | |
und Schulverpflegung, die auch die Senatsbildungsverwaltung zum Thema | |
Schulessen berät. „Eine Komplettumstellung des Sortiments von einem auf den | |
anderen Tag funktioniert nicht.“ Man müsse das Mensa-Thema mit der ganzen | |
Schule „als Konzept entwickeln“. | |
Vor allem gehe nichts, ohne die SchülerInnen zu beteiligen: zum Beispiel, | |
indem man sie mit über den Speiseplan bestimmen lasse. Oder indem die | |
Schule prüfe, ob man vor Ort produzieren könne – statt warm Gehaltenes | |
durch die halbe Stadt zu karren. | |
## Wenig Priorität | |
Schulessen-Experte Jäger kritisiert die geringe Priorität, die das | |
Mensa-Thema an den Oberschulen generell habe. „Das ist noch zu oft nur ein | |
leidiges Versorgungsproblem statt Chefsache, da wird kaum Energie | |
investiert.“ | |
Jäger erzählt von der Heinrich-von-Stephan-Schule, ein Positivbeispiel. | |
Dort gingen die LehrerInnen gemeinsam mit den SchülerInnen essen, das | |
Mittagessen gehöre so ganz selbstverständlich zur Schulkultur dazu. | |
Tatsächlich ist dann auch das Tellergericht offenbar wieder vermittelbar: | |
An der Moabiter Sekundarschule essen 410 von 515 Schülern zu Mittag. | |
Zwingen kann man die Schulleitungen indes nicht, das Mensa-Essen auf ihre | |
Agenda zu setzen: Laut Schulgesetz ist das Essensangebot Sache des | |
Schulträgers – in den meisten Fällen also des bezirklichen Schulamts. Zwar | |
hat die Senatsbildungsverwaltung seit 2014 mit Musterausschreibungen | |
freiwillige Standards für das Schulessen formuliert, die sich nach den | |
Mindestanforderungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung richten und | |
einen Bio-Anteil von mindestens 15 Prozent vorsehen. Doch tatsächlich | |
nutzen laut Jäger die Schulämter die Musterausschreibungen nur für ihre | |
Grundschulen. Bei den weiterführenden Schulen eben nicht. | |
Und so endet das Thema gesundes Schulessen in Berlin abrupt mit der | |
Grundschulzeit. Das sei schon „eine ziemlich schizophrene Situation“, sagt | |
Jäger. „Einerseits thematisiert man im Unterricht immer wieder das Thema | |
gesunde Ernährung – aber mittags findet das in der Schulkantinen dann kaum | |
eine Entsprechung in der Praxis.“ | |
In Moabit bemüht sich Schulleiterin Segner indes um Veränderung ganz im | |
Sinne des Ernährungsexperten: Bezirksgelder sollen eine eigene Küche | |
finanzieren, in der die SchülerInnen mitkochen. Auch die Pausenzeiten zum | |
Essen will Segner verlängern – Der zahlende Kunde Schüler soll künftig ein | |
bisschen mehr König sein. | |
27 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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