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# taz.de -- Kinderarmut in Berlin: Und warum tut keiner was?
> Jedes fünfte Kind in Berlin ist laut einem Bericht des Senats
> armutsgefährdet. Auch weil es nicht gelingt, Bildung und soziale Herkunft
> zu entkoppeln.
Bild: Viel zu viele Kinder in Berlin sind arm
Berlin taz | Kinder sind in Berlin überdurchschnittlich häufig von Armut
betroffen, und Bildung ist der Schlüssel zu sozialem Aufstieg. So steht es,
grob zusammengefasst, im Armutsbericht der Senatsverwaltung für Gesundheit
und Soziales, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Demnach ist jedes
fünfte Kind in Berlin armutsgefährdet. Ist der Bildungsabschluss später
niedrig, erhöht sich die Armutsrisikoquote auf beinahe 30 Prozent – und
steigt damit auf das Doppelte des Berliner Durchschnittswerts.
Die Zahlen sind nicht schön, neu sind sie indes nicht: Seit Jahren pendeln
die Armutsrisikoquoten um diese Werte. Und seit Jahren weiß man: Bildung
ist der Schlüsselmoment. Ein guter Schulabschluss entscheidet maßgeblich
darüber, ob jemand später beim Jobcenter in der Schlange steht oder
Einkäufe und Miete von einer Erwerbsarbeit allein bestreiten kann. „Nur
über qualifizierte Schul- und Ausbildungsabschlüsse“, konstatiert der
Bericht, „lässt sich ein Leben in Armut weitgehend vermeiden, und dies über
alle Phasen des Erwachsenenlebens.“
Im Klartext: Es ist in Berlin also noch immer nicht gelungen, soziale
Herkunft und Bildung voneinander zu entkoppeln. Aber warum ist das so, oder
besser: Warum bleibt das so, allen Bemühungen und Programmen, die es schon
gibt, zum Trotz?
Schaut man sich also mal einen Bereich im „Handlungsfeld 1 (Bildung für
alle jungen Menschen)“ des Senats genauer an: die Kita. In Neukölln liegt
die Betreuungsquote bei 57 Prozent, im bürgerlich geprägten Pankow gehen
dagegen mehr als 80 Prozent der Kinder in eine Kita. Gleichzeitig sagt der
aktuelle Einschulungsbericht der Gesundheitsverwaltung: schon zwei
Kitajahre sind entscheidend, um etwa Sprachdefizite auszugleichen. In
Neukölln haben laut Einschulungsbericht 43 Prozent der Kinder
Sprachdefizite, berlinweit der höchste Wert. Gleichzeitig, das konstatiert
auch der Bericht, ist „die Beherrschung der deutschen Sprache“ Grundlage,
damit es später in der Schule rund läuft.
## Wer durchfällt, muss in die Kita
Natürlich weiß die Politik das und steuert dagegen. Da gibt es zum Beispiel
den verpflichtenden Sprachtest für alle Vierjährigen, die keine Kita
besuchen. Wer durchfällt, muss in die Kita – oder kann ein Bußgeld
aufgebrummt bekommen. Eine Grünen-Anfrage hatte Ende 2015 allerdings
ergeben: die Anmeldequoten dieser Kinder in den Kitas hat sich nicht
erhöht.
Dennoch hält der Bericht an diesem Instrument fest – gleichzeitig sucht man
darüber hinausgehende Ideen vergeblich in dem Papier. Nicht überraschend,
findet die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Regina Kittler:
„Dieser sogenannte Armutsbericht des Senats bietet null konkrete
Handlungsempfehlungen – das mag eine Art Monitoring der letzten
Legislaturperiode sein, aber Handlungsstrategien vermag ich da nicht zu
erkennen.“
Ähnlich sieht das auch Igor Wolansky von der Fachgruppe Kinderarmut und
Familie der Landesarmutskonferenz. Der gute Wille sei ja erkennbar – „aber
es fehlen verbindliche Ziele und wie sie konkret umgesetzt werden können“.
Eine konkrete Maßnahme, findet Linken-Abgeordnete Kittler, wäre es zum
Beispiel, die Bedarfsprüfung für einen Kitaplatz abzuschaffen. Derzeit
gilt: Gehen die Eltern nicht arbeiten, müssen sie beim Jugendamt einen
extra Antrag stellen, um das Amt von der Notwendigkeit einer Kita-Betreuung
zu überzeugen. Viele Eltern scheuen diesen bürokratischen Aufwand.
Gleichzeitig ist für diese Kinder, mit Blick auf den Zusammenhang von
Bildung und Armut, die Kita besonders wichtig.
Probleme analysiert, Probleme noch lange nicht gelöst, könnte man also mit
Blick auf den Senatsbericht sagen. Immerhin: Man hat nun noch mal einen
ganz guten Überblick bekommen, welche politischen Instrumente zur
Bekämpfung der Kinderarmut Berlin bisher kennt. Der Bericht, so viel
Neuigkeitswert gibt es dann doch, möchte diese Maßnahmen gern in einem
Netzwerk bündeln. Klingt vage. Ob es konkret hilft, wird sich zeigen.
30 Aug 2016
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Berliner Senat
Soziales
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Berlin
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