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# taz.de -- Diskussion um Boykott israelischer Waren: Das Südfruchtdilemma
> Ist der Boykott israelischer Avocados okay? Nein, da ist man sich im
> Leipziger Club „Conne Island“ sicher. Bei anderem einigt man sich auf
> Uneinigkeit.
Bild: Leckere Avocados boykottieren, weil sie aus Israel kommen? Das erinnert a…
Leipzig taz | Viele kommen zu Fuß, in Gruppen, umringt von Genossen, noch
mehr mit dem Fahrrad – trotz des Regens. Mehrere Hundert sind es. Aus einem
Rucksack einer jungen Fahrradfahrerin ragen Krücken, auf die sie sich
später stützen wird. Sie kann kaum laufen und ist dennoch an diesem Abend
zum alternativen Club „Conne Island“ im Leipziger Süden gekommen.
„Na, das hier wolltest du dir auch nicht entgehen lassen, oder?“, sagt
einer. Nein, das wollten sie und viele andere nicht. Das Publikum im „Conne
Island“ ist für gewöhnlich überwiegend antideutsch – sprich: solidarisch
mit dem israelischen Staat. Die Veranstaltung „Die Realität ist grau –
Deutsche Linke zwischen BDS und Israelsolidarität“ am Dienstagabend ist ein
entsprechender Publikumsmagnet.
BDS, das steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, will heißen:
Konsumverweigerung gegen die israelische Siedlungspolitik. Drinnen ist es
dunkel, Kronkorken purzeln auf den Boden, Zigaretten werden gedreht, Schuhe
ausgezogen. Man sieht viele kurz geschnittene Ponys und Pullover, die
Solidarität mit Israel bekunden.
Marvin Alster vom „Conne Island“ sitzt gemeinsam mit Referent Hannes Bode
an einem Tisch mit weinroter Decke, der über und über mit Papier bedeckt
ist, erinnert sich an den Beginn der 2000er, als während der Zweiten
Intifada beschlossen wurde, dass Besucher des Clubs ihr Palästinensertuch
ablegen müssen. Und dass jetzt, seit nunmehr drei Jahren, die „Boycott,
Divestment and Sanctions“-Initiative besonders [1][unter Akademikern] und
[2][Künstlern] immer größeren Anklang findet.
## Mehr arabischen Antisemitismus sehen Veranstalter nicht
Auch Künstler, die im „Conne Island“ aufgetreten sind, hätten sich mit BDS
solidarisiert – da wolle man gegensteuern. Einen Zusammenhang zwischen
dieser Veranstaltung und dem offenen Brief, den der Club vor zwei Wochen
herausgegeben hat, gebe es nicht, sagt Alster. Mehr Sexismus durch junge
geflüchtete Männer hatte das linke Kulturzentrum darin beklagt. Mit
[3][mehr arabischem Antisemitismus] sehen sich die Veranstalter hingegen
nicht konfrontiert.
Referent Hannes Bode, Historiker und Islamwissenschaftler, macht schon zu
Beginn klar: „Es braucht ein historisches Fundament, um über [4][das Thema
BDS] zu reden, und ich habe den Eindruck, dass dieses bei vielen heutzutage
fehlt“, sagt er. Später wird er noch hinzufügen: „Die Israelsolidarität …
sich in den vergangenen 15 Jahren nicht theoretisch, sondern nur
ideologisch weiterentwickelt.“ Was das genau bedeutet, bleibt schwammig.
Eine tatsächliche Auseinandersetzung über BDS, wegen der viele gekommen
sind, ist schwer möglich, weil Bodes historische Analyse fast die komplette
Zeit füllt. Es gehe um mehr, sagt Bode, als seine Solidarität mit Israel
nur „identitätspolitisch abzufeiern“. Dann beginnt er ein historischen
Rundumschlag von der Aufklärung bis zum modernen Antisemitismus.
Das frustriert so manchen. „Nach deinem zweistündigen Monolog weiß ich aber
immer noch nicht, ob ich nun Avocados aus Israel kaufen soll oder nicht“,
sagt ein Besucher, „deine Historisierung lenkt davon ab, dass es hier um
konkrete Sachen geht.“
Bode widerspricht: „Der Verkauf von Avocados in Leipzig ist für Israels
Bestehen irrelevant.“ Ein anderer steht auf: „Wir im ‚Conne Island‘ kö…
vielleicht feingeistig zwischen verschiedenen Positionen differenzieren.
Aber in der Region wollen doch die meisten die Juden vernichten.
Antisemitismus zielt immer auf Vernichtung.“
Diskussionen nach dem Motto „Im Nahen Osten wollen alle die Juden
vernichten“, „Nein, wollen sie nicht“, „Doch, glaube ich aber schon“
bringen natürlich wenig. Wahrscheinlich hätten ein paar Fakten geholfen;
vielversprechend ist im Hintergrund eine Leinwand aufgebaut, die aber nicht
genutzt wird. Immerhin wird wiederholt betont, dass man differenzieren
müsse, dass beide Narrative ihre Berechtigung haben – und dass es Israel
nichts bringt, wenn irgendwo weit weg Antideutsche ihre Solidarität
identitätspolitisch abfeiern und Fahnen schwenken.
Allzu sehr differenziert wurde dann aber doch nicht immer. Eine junge Frau
berichtet von Drohungen durch Leipziger BDS-Unterstützer. Das bügelt Bode
ab; wenn BDS-Aktivisten mit Prügel drohten, müsse man eben schneller sein
und eher draufhauen. Ihm gehe es vor allem darum, nicht immer automatisch
die andere Seite auszuschließen: „Nur weil Israel eine rechte Regierung
hat, macht es die Existenz des Staates nicht illegitim.“
Und: „Das Narrativ des perspektivlosen Jugendlichen aus Hebron, der unter
Besatzung aufwächst, ist genauso berechtigt wie das des israelischen
Soldaten, der permanent Attacken fürchten muss.“ Es gehe darum – und darauf
konnten sich dann auch wohl alle einigen – Widersprüche zuzulassen. Und sie
auszuhalten.
26 Oct 2016
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## AUTOREN
Hanna Voß
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