# taz.de -- Meinungsfreiheit an Berliner Universität: Peinliche Posse bei den … | |
> Das Otto-Suhr-Institut scheint auf eine Schmutzkampagne rechter, | |
> proisraelischer Kreise hereingefallen zu sein. Es gibt Protest. | |
Bild: Israelische Soldaten am Checkpoint zum besetzten Westjordanland | |
BERLIN taz | Die Stellungnahme hat es in sich. Man werde der Dozentin | |
Eleonora Roldán Mendivíl vorerst keine weiteren Lehraufträge erteilen, | |
verkündete die Geschäftsführung des renommierten Otto-Suhr-Instituts (OSI) | |
der Freien Universität Berlin im Januar auf dessen Webseite. Weil gegen | |
Roldán Mendivíl „schwere Vorwürfe“ erhoben worden seien, habe man sich d… | |
entschieden, diese erst einmal durch eine wissenschaftliche Untersuchung | |
prüfen zu lassen. Angeblich habe Roldán Mendivíl auf ihrem privaten | |
Internetblog den Staat Israel „verunglimpft“ und dessen Existenzrecht „de | |
facto“ bestritten. Als Beleg bezieht sich die Geschäftsführung des | |
Instituts auf Anschuldigungen einer studentischen Hochschulgruppe sowie | |
[1][der Jüdischen Rundschau]. | |
Die Betroffene ist fassungslos. „Man hätte doch erst mal mit mir sprechen | |
können, bevor man solche Vorwürfe erhebt“, sagt die junge Politologin, die | |
in diesem Semester am OSI ein Seminar zum Thema „Rassismus im Kapitalismus“ | |
leitet. Die Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung beschäftigt sich | |
hauptsächlich mit postkolonialer Theorie, Migrations- und Genderforschung | |
sowie Marxistischer Theorie, mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt sie sich | |
nur am Rande. Was genau ihr jetzt vorgeworfen wird, das wird aus der | |
Stellungnahme des OSI nicht ganz deutlich. | |
In dem genannten Artikel und anderswo wird ihr aber vorgeworfen, Israel als | |
„Kolonialstaat“ und „Apartheidregime“ bezeichnet zu haben. Außerdem so… | |
sie Sympathien [2][mit der BDS-Bewegung] bekundet haben, die für einen | |
Boykott Israels wirbt. Roldán Mendivíl meint, dass sich die Kritik | |
hauptsächlich auf Blogeinträge bezieht, die sie 2014 und 2015 verfasst hat. | |
„Das ist mehr als zwei Jahre her“, sagt sie. | |
Aus ihrer Ablehnung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern | |
macht sie keinen Hehl. „Ich habe mich aber immer wieder gegen jede Form von | |
Rassismus, inklusive antijüdischem Rassismus, ausgesprochen“, sagt sie, | |
„das ist doch völlig klar, schließlich leite ich ein Seminar zum Thema | |
Rassismus.“ | |
## Die FU will den Fall auf einem Podium diskutieren | |
Unklar ist, warum das OSI die Anschuldigungen gegen sie jetzt so ernst | |
nimmt. Denn die anonyme Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus an der | |
Freien Universität“, auf die sich das OSI dabei beruft, wirkt wenig seriös. | |
Ein Blick auf deren Facebook-Seite zeigt, dass es sich um eine kleine | |
Politsekte handelt, die jede Kritik an Israel de facto als „Antisemitismus“ | |
wertet. Und die Jüdische Rundschau ist ein marginales, rechtes Blatt. Ihr | |
Herausgeber, der Berliner Unternehmer Rafael Korenzecher, hetzte dort | |
[3][in seiner Kolumne zuletzt] gegen die deutsche Flüchtlingspolitik, gegen | |
„öffentlich-rechtliche Pseudo-Gutmensch- und Nachrichten-Filter-Medien“ und | |
gegen Muslime. Das Attentat auf den Weihnachtsmarkt nennt er ein | |
„islam-generiertes Massaker“, und er schwärmt für Donald Trump. Es scheint | |
so, als sei das OSI auf die Schmutzkampagne rechter, prosiraelischer Kreise | |
herein gefallen. | |
Nicht nur vor diesem Hintergrund wirkt auch die Reaktion des OSI | |
unverhältnismäßig – ein vertrauliches Gespräch mit der Lehrbeauftragten | |
hätte es vermutlich auch getan, um eventuelle Missverständnisse aus der | |
Welt zu räumen. Ungeklärt bleibt auch, wer genau die angekündigte | |
„Untersuchung“ durchführen, oder wer die Teilnehmer der Podiumsdiskussion | |
auswählen soll. | |
Der OSI-Professor Bernd Ladwig, der für die Stellungnahme des Instituts | |
verantwortlich zeichnet, war für die taz nicht zu sprechen. Und auch die | |
Freie Universität wollte sich auf mehrfache Anfrage hin nicht inhaltlich zu | |
den Vorwürfen äußern. „Als Universität mit öffentlicher Verantwortung | |
müssen wir Kritik, wie sie hier vorgetragen wurde, prüfen und dem | |
Sachverhalt nachgehen“, stellte sich ein Sprecher hinter das OSI. Man | |
müssen die Vorwürfe „sachlich, fair und rational“ prüfen, dafür sei etwa | |
eine Podiumsdiskussion geplant. Eine Vorverurteilung stelle das aber noch | |
nicht dar. | |
Aus Israel meldete sich inzwischen eine Gruppe von Akademikern, die sich | |
„Academia for Equality“ nennt, [4][mit einem Schreiben] an die FU zu Wort. | |
Dem Zusammenschluss gehören 250 Wissenschaftler an, darunter der | |
renommierte Holocaustforscher Daniel Blatman, der Historiker Gadi Algazi, | |
der die historische Fakultät in Tel Aviv leitet, sowie die | |
Gender-Forscherin Orly Lubin. In ihrem Brief kritisieren sie das Vorgehen | |
des OSI und fordern es auf, der Dozentin wieder, wie geplant, ihren | |
Lehrauftrag zu erteilen. Roldán Mendivíls Meinung zum Nahostkonflikt bewege | |
sich im Rahmen akademischer Meinungsfreiheit und sie müsse frei sein, diese | |
zu äußern, ohne um ihre Existenzgrundlage und berufliche Zukunft fürchten | |
zu müssen. Eine [5][Solidaritätserklärung für die Dozentin], die auf | |
„change.org“ gestartet wurde, fand bis Mittwochmorgen bereits weit über | |
1000 Unterstützer. | |
18 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://juedischerundschau.de/kolumne-jr-29/ | |
[2] http://bds-kampagne.de/ | |
[3] http://juedischerundschau.de/kolumne-jr-29/ | |
[4] https://www.facebook.com/academiaforequality/?fref=ts&__mref=message_bu… | |
[5] https://www.change.org/p/hochschulinitiative-f%C3%BCr-kritische-lehre-f%C3%… | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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