# taz.de -- Streit unter Leipzigs Antideutschen: Lieber rechts als gar kein Isr… | |
> Ein Zwist über sogenannte rechte Antideutsche entfacht den alten linken | |
> Streit neu: Wie weit nach rechts reicht die Solidarität mit dem jüdischen | |
> Staat? | |
Bild: Im Kampf gegen Israelhass und Antisemitismus sind manchen Antideutschen i… | |
Leipzig taz | Das Jugend- und Kulturzentrum Conne Island in Leipzig ist ein | |
fast schon mythischer Ort. Im südlichen Stadtteil Connewitz zunächst als | |
Ausflugslokal „Eiskeller“ errichtet, kam hier während der NS-Diktatur die | |
Hitlerjugend unter, zu DDR-Zeiten dann die FDJ. Nun ist es das „Island“, | |
ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Treffpunkt mit großem | |
Skatepark, gemütlichem Café und grünem Innenhof. | |
Über dem Eingang des Veranstaltungssaals, wo Konzerte und Partys | |
stattfinden, hängt zur Zeit ein großes Banner mit der Aufschrift „Gegen | |
jeden Antisemitismus“. Dieser Slogan wird hier sehr ernst genommen. So | |
ernst, dass Künstler auch mal wieder ausgeladen werden, sogar wenn sie | |
zuvor schon zwei Mal im Conne Island aufgetreten sind. | |
So geschehen im Dezember 2016 beim New Yorker Rapper Talib Kweli. „Das | |
Plenum hat beschlossen, dass dieses Konzert nicht stattfinden kann“, heißt | |
es dazu auf der [1][Website des Conne Islands]. „In seinen Tweets nennt | |
Kweli Israel einen Apartheidstaat, Zionisten ‚Unterdrücker‘ und bezeichnet | |
sie als seine Feinde. […] Künstler wie Kweli sind trotz sonst schlauer | |
Texte IdiotInnen, die im romantischen Glauben an Aufstand und Rebellion | |
antisemitischen Erklärungsmustern aufsitzen. BDS ist nichts anderes als | |
eine Neuauflage des ‚Kauft nicht bei Juden‘ Slogans, die Idee von BDS zielt | |
auf ein faktisches Ende des Staates Israel ab.“ Dass auf diese Weise | |
manchmal Einnahmen ausbleiben – geschenkt. Die meisten Menschen arbeiten | |
ohnehin ehrenamtlich hier. | |
Das Plenum, das solche Entscheidungen trifft, findet einmal wöchentlich | |
statt und ist offen, jedeR kann dazustoßen. Abgehalten wird es in einem | |
Raum über dem Café. Es ist der 19. Juni 2018, 18 Uhr. An diesem warmen | |
Sommerabend ist die Versammlung besonders gut besucht. Knapp 20 Leute sind | |
gekommen, manche zum ersten, andere zum hundertsten Mal. Das hat einen | |
Grund. Es ist schon die dritte Woche in Folge, in der über eine bestimmte | |
Veranstaltung gesprochen werden muss. Und es gibt noch immer Redebedarf. | |
Was ist vorgefallen? | |
## Conne Island sprang für den Bahamas-Autor ein | |
Am 28. Mai hatte das Conne Island zu einem Vortrag im Rahmen der | |
Veranstaltungsreihe „70 Jahre Israel“ eingeladen. Referent an diesem Abend | |
war der Berliner Publizist Thomas Maul. Ursprünglich hätte Maul seinen | |
Vortrag mit dem Titel „Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner | |
Bagatellisierung“ an der Universität Leipzig halten sollen. Als die | |
geplante Teilnahme Mauls öffentlich wurde, formierte sich Protest. | |
Die Leipziger Initiative gegen rechte Antideutsche rief zum Boykott der | |
Veranstaltung auf und bat die Geldgeber*innen der Veranstaltungsreihe | |
[2][in einem offenen Brief], den sie auf Facebook veröffentlichte, Maul | |
„keine Möglichkeit zur rechten und reaktionären Agitation zu bieten“. Die | |
Kritik wurde ernst genommen. Nachdem der Verband Sozialistische Jugend – | |
Die Falken, die Naturfreundejugend Berlin und die Gedenkstätte für | |
Zwangsarbeit Leipzig ihre Mitwirkung an der Reihe zurückgezogen hatten, | |
entschied sich der Student_innen Rat der Universität Leipzig, [3][doch | |
keinen Raum] für den Vortrag mit Maul zu stellen. Später entzog die | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen [4][ihre zugesicherten Mittel] für die | |
gesamte Veranstaltungsreihe. | |
Das Conne Island sprang ein und bot dem umstrittenen Referenten, der auch | |
Autor der Zeitschrift Bahamas ist, am 28. Mai eine Bühne für seinen | |
Vortrag. | |
Auch das verlief nicht ohne Reibung. Zu Beginn des Vortrages verteilten | |
Aktivist*Innen Flyer im Saal des Conne Island, auf denen Maul unter anderem | |
als „Rassist“ und „Sexist“ bezeichnet wurde. Unterschrieben waren sie | |
offenbar selbstironisch mit einer Bezeichnung, die Maul in einem | |
vorangegangenem Text wählte: „Die feministischen Heulsusen“. Laut | |
Augenzeugenberichten wurden sie später von den VeranstalterInnen des Saales | |
verwiesen. Der Satz „Dann hört doch auf, Sexisten eine Bühne zu bieten, ihr | |
Schweine“, soll gefallen sein. Ein Vorwurf, der sich auf einen von Maul | |
[5][in der Bahamas veröffentlichten Text] bezieht, in dem er sich mit | |
reichlich Schaum vor dem Mund an der #MeToo-Debatte abarbeitet, sowie auf | |
misogyne Facebook-Posts von ihm zum selben Thema. | |
## Harte Selbstkritik ist nicht unüblich | |
Das Plenum ist nun uneins, selbst nach stundenlanger Diskussion. Einerseits | |
sei die Entscheidung pro-Maul unglücklich hastig gefallen, obwohl Bedenken | |
geäußert wurden. Andererseits wären Mauls Provokationen im Conne Island in | |
dem Sinne gelungen gewesen, dass sie eine bundesweite Debatte über Islam, | |
AfD und Antisemitismus losgetreten hätten, dass nun linke Gewissheiten | |
hinterfragt würden. Kurz nach dem Vortrag berichteten unter anderem die | |
Zeitungen junge Welt und neues deutschland. Darin heißt es aber auch, dass | |
das Conne Island einen „Rechtsruck“ erlebe – eine Anschuldigung, der man | |
bereits Mitte Juni mit einer umfassenden Kritik an Maul und einer | |
[6][Selbstkritik] an den eigenen Strukturen so schnell wie möglich den Wind | |
aus den Segeln nehmen wollte. | |
Es ist nicht ungewöhnlich, dass im Plenum Entscheidungen fallen, die im | |
Nachhinein einer harten Selbstkritik unterzogen werden. Die Empörung über | |
Mauls Auftritt aber will selbst Wochen später nicht abebben. Die Initiative | |
für eine linke Gegenkultur glaubt im Conne Island generell einen | |
„Rechtsruck“ zu beobachten und fordert in einem [7][„Offenen Brief an | |
Künstler und Kulturschaffende“] seit Juni dazu auf, den Laden zu | |
boykottieren. | |
Das Island gibt wie gewohnt keine offizielle Auskunft. Einen Pressesprecher | |
gibt es nicht, Namen werden sowieso keine genannt. Die rechte Szene, die | |
in Leipzig wie überall im Osten stark ist, hat konstant ein Auge auf linke | |
Protagonisten und zögert nicht, sie zu attackieren. | |
Maßgeblich für den Vorwurf des „Rechtsrucks“ war ein Facebook-Beitrag, in | |
dem Maul kurz vor seinem Vortrag in Leipzig die AfD als „einzige Stimme der | |
Restvernunft im Deutschen Bundestag, zuweilen gar als parlamentarischer Arm | |
materialistischer Ideologiekritik“ [8][bezeichnete]. Er bezog sich dabei | |
auf eine Rede von Alexander Gauland, der anlässlich des 70. Jahrestages | |
der Staatsgründung Israels meinte, „dass die Existenzsicherung Israels am | |
Brandenburger Tor beginnt.“ | |
## Das „Linke“ wiederzufinden, fällt schwer | |
Daran anknüpfend bezeichnete Maul in seinem Vortrag die Flüchtlingspolitik | |
von Angela Merkel als „verfehlt“ und plädierte für rigoros geschlossene | |
Grenzen wie in Ungarn, wo „jüdische Einrichtungen nicht unter permanentem | |
Polizeischutz“ stehen müssten. Wenngleich er wenig später einräumte, dass | |
„Ungarn und Orbán nicht wirklich gute Beispiele“ seien, machten diese | |
Zeilen im Netz die Runde. Gegen Antisemitismus, auch gegen islamischen – im | |
Zweifelsfall im Schulterschluss mit der Neuen Rechten? Eine explizite | |
Distanzierung hält Maul für so selbstverständlich, dass sie überflüssig | |
sei: „Ich distanziere mich innerhalb einer Szene nicht von Menschen oder | |
Parteien, die dort sowieso keiner leiden kann, weil das einfach nur billig, | |
hohl und selbstgerecht wäre“, schrieb er auf Nachfrage der taz. | |
Es fällt schwer, in solchen Äußerungen das ‚Linke‘ wiederzufinden. Der | |
Soziologe Floris Biskamp von der Universität Kassel beobachtet die Szene | |
der sogenannten Antideutschen seit Jahren und ist wenig überrascht. Zum | |
Umfeld der Bahamas, einer nach eigener Zuschreibung „ideologiekritischen“ | |
Zeitschrift, sagt Biskamp: „Man erklärt schon lange immer und immer wieder | |
den endgültigen Abschied von der Linken, mit der man angeblich nichts mehr | |
zu tun haben will. Weil sich aber außer der Linken wirklich niemand für die | |
Bahamas interessiert, ist man doch an die Linke gebunden und muss diese | |
immer wieder provozieren.“ | |
Und so einer wie Maul durfte im Conne Island vortragen? Das Plenum | |
versucht, den Ruf des Conne Islands zu retten, indem es einerseits interne | |
Entscheidungsstrukturen offenlegen möchte, andererseits Mauls Positionen | |
klar verurteilt. Die Frage, die bleibt, ist aber: Was rechtfertigt, dass | |
Islamophobie, AfD-Lob und ein derart drastisches Austeilen gegen neuere | |
Positionen des Feminismus überhaupt als „links“ gelten dürfen? | |
Es ist das Banner über dem Laden, das letztlich erklärt, warum Maul im | |
Conne Island reden durfte. „Gegen jeden Antisemitismus“. Für einen Teil der | |
linken Szene, der meist nur von außen als „antideutsch“ beschrieben wird, | |
ist der Slogan nicht nur einer von vielen. Er beschreibt ihr | |
Selbstverständnis, die Idee, dass als Lehre aus Auschwitz der jüdische | |
Nationalstaat gegen alle Feinde verteidigt werden muss, auch gegen solche, | |
die sich für links halten. „Wie hältst du’s mit Israel?“, das ist die | |
Gretchenfrage, hinter der Rechts-links-Verwirrungen für einen Teil der | |
linken Szene nachrangig werden. | |
## Kulturförderung steht auf dem Spiel | |
Ist es also völlig egal, ob Israelsolidarität auch von einer Beatrix von | |
Storch oder einem Alexander Gauland vertreten wird? Protagonisten wie Maul | |
ist es lieber, dann als „rechter Antideutscher“ zu gelten, wenn Linke ihm | |
das Linkssein aberkennen wollen. | |
In 25 Jahren des Bestehens sind dem Conne Island weder rechte noch | |
innerlinke Angriffe jemals ernsthaft zur Gefahr geworden. Sollte sich | |
jedoch der Ruf vom ‚Rechtsruck‘ des Zentrums verfestigen, könnte das zum | |
Problem werden – gerade wenn der wunde Punkt eines soziokulturellen | |
Zentrums, die Kulturförderung, auf dem Spiel steht. Das Plenum wird wohl | |
noch einige Sitzungen brauchen, um diesen drohenden Schaden abwenden zu | |
können. | |
16 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.conne-island.de/news/192.html | |
[2] https://www.facebook.com/notes/initiative-gegen-rechte-antideutsche/ideolog… | |
[3] https://www.facebook.com/notes/stura-uni-leipzig/stellungnahme-zu-thomas-ma… | |
[4] https://sachsen.rosalux.de/news/id/38920/stellungnahme-zur-zuruecknahme-der… | |
[5] http://redaktion-bahamas.org/artikel/2018/78-asexuelle-belaestigung/ | |
[6] https://www.conne-island.de/nf/250/3.html | |
[7] https://conneislandboycott.wordpress.com/ | |
[8] https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2406724599353319&id=6… | |
## AUTOREN | |
Konstantin Nowotny | |
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