Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nischen-Kino in Hannover: Anachronismus mit Leinwand
> Das alternative „Kino im Sprengel“ in Hannover ist ein unabhängiges
> Projekt in einem ehemaligen besetzten Haus. Nun wurde es ausgezeichnet.
Bild: Ambitioniertes Programm, kein Profit: „Kino im Sprengel“ in Hannover.
HANNOVER taz | Der Saal ist eher eine Höhle: Durch einen Vorraum, aus Holz
gezimmert, führt der Weg in den nur sparsam beleuchteten Raum. Auch die
Kinositze sind aus Holz – und älter als die meisten Zuschauer, die auf
ihnen Platz nehmen. Im „Kino im Sprengel“ bildet ein Dutzend
Sperrmüllsessel die erste Reihe, zumindest vom Design her ebenfalls schon
aus den 60er-Jahren stammend. Die Leinwand hängt an einer schwarzen Wand,
die Kasse steht auf einem Holztischchen vor der Bar, die ihrerseits bis vor
einigen Jahrzehnten in irgendeiner Kneipe gestanden haben wird.
Das „Kino im Sprengel“ in Hannover ist schon auf den ersten Blick anders
als die meisten anderen Kinos. Es hat seinen Sitz in einem ehemals
besetzten Haus, und als in den frühen 90er-Jahren die erste Förderung floss
– für einen 35-mm-Projektor –, da drohte noch die Räumung durch die
Polizei. Das „Sprengel“ ist das ehemalige Fabrikgelände der gleichnamigen
Schokoladenfabrik und lag in den 80er-Jahren wie so viele vergleichbare
Objekte als Spekulationsobjekt brach. Bis Punks und Autonome kamen und es
besetzten.
Wie aus dieser Zeit wirkt das Kino auch heute noch: ein alternatives, nicht
kommerzielles Projekt, betrieben von einem Kollektiv. An jedem Montagabend
gibt es ein Plenum, bei dem die vier bis sieben Aktivisten der Gruppe die
fälligen Entscheidungen treffen. Es gibt keine Festangestellten und bis vor
einem Jahr auch keine feste öffentliche Finanzierung.
## Wer Kuchen bringt, kommt gratis rein
Drei- bis viermal in der Woche zeigt man Filme, meist freitags und
samstags, aber das schwankt. In den kalten Monaten gibt es
sonntagnachmittags Familienprogramm mit Kaffee und Kuchen, und wer einen
solchen mitbringt, erhält freien Eintritt. Für die anderen kostet eine
Karte fünf Euro – auch das geradezu utopisch heutzutage.
Zu sehen gibt es dafür Filme, die sonst kaum irgendwo zu sehen sind – auch
nicht in den kommunalen Kinos, die einmal mit einem ähnlichen Anspruch
gegründet wurden, aber dann zu öffentlichen Institutionen wurden. So haben
2015 auch keine Hamburger Cineasten die große Retrospektive über die
hansestädtische „Filmmacher Cooperative“ der späten 60er- und frühen
70er-Jahre zusammengestellt, sondern – das Kino im Sprengel. Und nachdem
dabei immerhin die im Projektmittelantrag vorhergesagten durchschnittlich
20 zahlenden Zuschauer je Vorstellung kamen, geht die Retrospektive von
dieser Woche an weiter: mit „langen und längeren“ Filmen, die die
Cooperative einst verlieh.
Zweimal im Jahr veranstaltet das Kino im Sprengel solche Reihen mit Filmen,
die an den Kinokassen keine Chance haben: politisch unbequeme, künstlerisch
gewagte, intellektuell anspruchsvolle. Zu den Vorstellungen lädt das
Kollektiv gern die jeweiligen Filmemacher ein. So gab es etwa thematische
Reihen über Rassismus, über „totale Kontrolle“ oder „Japan im Krieg“,
daneben auch vergleichsweise willkürliche Zusammenstellungen wie jene mit
Filmen, die in Brüssel gedreht worden sind, oder Werkschauen der Kieler
„Chaos“-Filmtruppe. Gewürdigt hat diese eigensinnigen, originellen, aber
auch professionell kuratierten wie vorgeführten Programme vor ein paar
Wochen der Kinemathekenverbund: Das Kino im Sprengel erhielt den erstmals
vergebenen „Lotte-Eisner-Preis“.
Die 6.000 Euro, mit denen der Preis dotiert ist, sind viel Geld für die
Macher, die schon in den vergangenen Jahren regelmäßig Preise für ihr
Programm abräumten und wohl auch deshalb seit 2015 eine geringe,
kontinuierliche Förderung erhalten. Bei Weitem nicht genug, um eine feste
Stelle zu finanzieren, aber „ungeliebte Tätigkeiten können jetzt minimalst
honoriert werden“, sagt Franz Isford, der die Pressearbeit macht – und
dafür jetzt 100 Euro im Monat bekommt. Auch die Layouterin werde „ab und
zu“ mal für ein Programmheft bezahlt, aber auch auf dieser Ebene bleibt man
ansonsten unkommerziell.
## Zum Auftakt Avantgarde
Die erste Veranstaltung fand am 8. Mai 1988 statt: Es wurden „russische
Avantgardefilme“ gezeigt. Den ersten Sommer lang war das Kino in einem
besetzten Haus untergebracht, bei dem der Investor schon die Außenfassade
abgerissen hatte, sodass Haus und Kino „Themroc“ genannt wurden – nach dem
Spielfilm, in dem Michel Piccoli als wilder Anarchist die Wände eines
Mietshauses mit einem Hammer einhaut. Als der Räumungsdruck zu groß wurde,
spielte man als Wanderkino Open Air und in der benachbarten Lutherkirche.
1991 bekamen die Kinomacher dann von Hausbesetzern den Raum angeboten, in
dem sie heute ansässig sind. Noch in der illegalen Phase entwarfen sie den
Kinosaal und bauten ihn so, wie er bis heute noch aussieht. Für das in den
Raum gebaute Foyer mit den Toiletten diente Holz vom Bau der Stadtbahn, und
der Projektionsraum bekam eine Wand aus Glas – „damit man sieht, was getan
wird“.
[1][www.kino-im-sprengel.de]
13 Oct 2016
## LINKS
[1] http://www.kino-im-sprengel.de
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Hannover
Kino
Programmkino
Kinotipp
Kinos
Kinogeschichte
Kinofilm
Pferde
Hamburg
Mecklenburg-Vorpommern
Perspektive Deutsches Kino
Kino
Hamburg
Genossenschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunst-Ausstellung in Hannover: Pferde können mehr als Katzen
Das Sprengel-Museum Hannover widmet dem Pferd in der Kunst der Moderne
gleich eine ganze Ausstellung. Die Frage ist: Wozu?
Filmfest in Hamburg: Tante Emma geht ins Kino
Beim Filmfest Hamburg setzt der Leiter Albert Wiederspiel auf ein breit
gefächertes Programm. Das unterscheidet es von kleineren Festivals.
Kino Klausthrophob in Oldenburg: Eingeschlossen unter Bergen von Schnee
Auf dem Filmfest Oldenburg feiert „Das letzte Abteil“ von Andreas Schaap
Premiere. Von sechs Menschen, die unter eine Lawine geraten, erzählt der
gebürtige Oldenburger.
Kulturszene in Mecklenburg-Vorpommern: Aufmachen, nicht zumachen
Kulturelle Eigeninitiativen: Die Zivilgesellschaft in
Mecklenburg-Vorpommern ist aufgewacht. Eine Rundreise kurz vor der Wahl.
Kreuzberger Kino feiert Wiedereröffnung: Eiszeit für Kinoliebhaber
Das Kreuzberger Programmkino nimmt nach zwei Jahren Bauzeit am 30. Juni den
Spielbetrieb wieder auf. Mit neuen Besitzern an einem neuen Platz.
Streit um Berliner Traditionskino: Babylonische Verwirrung
Ist das öffentlich geförderte Kino Babylon am Ende? Einer der beiden
Betreiber hat einen Insolvenzantrag gestellt – der andere will davon nichts
gewusst haben.
Loyalität, Kommerz und Kiezkultur: Hamburger Streit um bewegte Bilder
Fürs Stadion-Freiluftkino kooperiert der FC St. Pauli mit einem neuen
Betreiber – und handelt sich eine Debatte ein.
Genossenschaft rettet Programmkino: David will weiterträumen
In Mittelhessen gerät eine Großbrauerei in Konflikt mit dem vielfach
prämierten Programmkino Traumstern. Eine Geschichte mit Happy End.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.