# taz.de -- Kino Klausthrophob in Oldenburg: Eingeschlossen unter Bergen von Sc… | |
> Auf dem Filmfest Oldenburg feiert „Das letzte Abteil“ von Andreas Schaap | |
> Premiere. Von sechs Menschen, die unter eine Lawine geraten, erzählt der | |
> gebürtige Oldenburger. | |
Bild: Trauerarbeit mit Traum-Film: Regisseur Andreas Schaap setzt seine Protago… | |
Oldenburg taz | Die Titelsequenz bilden Aufnahmen von einem Flug über die | |
Alpen: Farblich und in den Kontrasten verfremdet, wirkt die gezeigte | |
Landschaft nicht von dieser Welt. Vor allem aber, weil sie überkopf | |
einmontiertzu sehen ist, sodass die Berge über uns dahinfließen, der | |
Horizont darunter. Ein spektakulärer Anfang, der auch zur Folge hat, dass | |
es kaum auffällt, dass der restliche Films komplett in einem alten | |
Eisenbahnwagon sowie einem Krankenzimmer spielt. Mehr noch: Regisseur | |
Andreas Schaap, gebürtiger Oldenburger, macht mit diesen Bildern auch klar, | |
dass es eben nur Bilder sind, die er, genau wie seine Geschichten, nach | |
belieben manipulieren kann – und umdrehen. So wird erst im Laufe des Films | |
klar, auf welcher Realitätsebene sich darin was abspielt, und wenn ein | |
Zwischentitel den Haupterzählstrang in den „Dezember 1986“ verortet, ist | |
auch dabei Vorsicht geboten. | |
## Konsequent durchgespielte Situation | |
Ein echtes Lawinenunglück zu inszenieren, das wäre zu aufwendig gewesen, so | |
gibt es nur einen lauten Rums sowie Lichtflackern in der Dunkelheit und | |
schon ist man bei den sechs Menschen, die nach und nach aufwachen in einem | |
Zugwaggon, tief verschüttet unter dem Schnee. Keine untypische | |
Genre-Situation, und so wird sie eine ganze Zeitlang durchgespielt. Die | |
Protagonistin ist eine junge Punkerin, es gibt auch einen kleinen dicken | |
Besserwisser und einen großgewachsenen Schnösel, der ewig raucht und alle | |
drangsaliert. Ein junges Paar aus der Ukraine rebelliert dagegen auf, der | |
ebenfalls mit eingesperrte Schaffner dagegen sitzt meist nur apathisch auf | |
der Sitzbank. | |
Ein rotes Telefon informiert die Gruppe darüber, dass es bis zur Rettung | |
Rettung länger dauern könnte, die Eingeschlossenen aber nur noch für eine | |
knappe Stunde Luft zum Atmen haben – und dass es im verunglückten Teil des | |
Zges gar keinen Schaffner gab. | |
So türmen sich die dramaturgischen Verwicklungen bald mindestens so | |
aufeinander wie der Schnee über dem Wagon. Ohne zu viel verraten zu wollen: | |
Ein Mörder, ein Selbstmörder und ein wiederauferstandener Toten – da wird | |
es auch erzählerisch ganz schön eng im Abteil. Solcher Overkill zeugt | |
entweder von einem schlechten, weil unplausiblen Drehbuch. Oder davon, dass | |
hier Konventionen des jeweiligen Genres derart ins Extreme ausgeführt | |
werden, dass darüber der Plot aus den Fugen gerät. Eben das ist das Konzept | |
von Regisseur Schaap: Der will mit seinem Film von etwas erzählen will, das | |
man nach den ersten Minuten unmöglich erraten kann. Und hier muss dann doch | |
etwas mehr verraten werden. | |
Die Geschichte vom verschütteten Wagon ist so spannend und intensiv | |
inszeniert, dass die beiden anderen Erzählebenen zuerst unterzugehen | |
drohen: Von Anfang wird immer wieder eine Frau gezeigt, in einem | |
Krankenzimmer, im Koma. Im Off erzählt die Protagonistin von ihrer Mutter, | |
die so gerne Geistergeschichten erzählt habe – und nun selbst ein Geist | |
sei. Wirklich interessant wird der Film dann, wenn man versucht, | |
herauszufinden, was diese drei Teile des Film miteinander verbindet und wie | |
sie sich gegenseitig verändern und bedingen. Im letzten Drittel des Films | |
ist eine Zeitlang nicht einmal sicher, wer überhaupt die Protagonistin ist, | |
und in der vielleicht absurdesten Szene diskutieren die Zugpassagiere | |
darüber, ob sie alle nicht vielleicht tot sind – oder Figuren in jemandes | |
Traum. | |
Die komplizierte Konstruktion macht einerseits den Reiz des Films aus, ist | |
aber auch ein Problem: Dire Figuren entpuppen sich zusehends als | |
Kopfgeburten, und so ist die Auflösung am Ende zwar überraschend und auch | |
logisch. Sie lässt den Zuschauer aber, aller pathetisch anschwellenden | |
Filmmusik zum Trotz, ungerührt. | |
Dabei will der Regisseur hier von Komakranken und Sterbehilfe erzählen, | |
aber das wird erst im letzten Drittel des Films deutlich, und die vielen | |
Umwege, die seine Erzählung davor genommen hat, schwächen seine durchaus | |
ernst gemeinte Botschaft. Eine Demenzkranken Schaaps engem Familienkreis | |
liefert dem Film sozusagen einen autobiografischen Kern, und er sagt in | |
einem Telefongespräch, dass er vor die „die gleiche Entscheidung“ gestellt | |
worden sei wie seine Protagonistin. | |
## Kein bloßer Spaß | |
Was er auch sagt: Dies sei sein erster Film, der mehr als „nur Spaß“ machen | |
solle. Der in Oldenburg geborene und aufgewachsene Schaap ging nach dem | |
Zivildienst nach Berlin und studierte an der renommierten Filmhochschule | |
„Konrad Wolf“ . Mit Absolventen wie Andreas Dresen und einigen Regisseure | |
der Berliner Schule steht diese Schule für ein realistisches, künstlerisch | |
anspruchsvolles Kino. Schaap aber drehte zum Abschluss den bluttriefenden | |
Splatterfilm „Must Love Death“, für den er die Note „sehr gut“ bekam. … | |
Film lief auf dem Filmfest Oldenburg, genau wie drei Jahre später die | |
Fake-Doku „Tim Sanders goes to Hollywood“. | |
Wie persönlich sein jüngstes Projekt für Schaap ist, wird noch deutlicher, | |
wenn man weiß, dass seine Eltern Ende vergangenen Jahres starben. Er | |
musste, mitten im Drehen, nach Oldenburg zurückkehrte, wo er den Schnitt | |
beenden konnte. „Das letzte Abteil“ ist also auch Trauerarbeit, und so | |
erklärt sich vielleicht das Sperrig-Merkwürdige. | |
Schaap, ein Mann mit Talent für Genrefilme, hat versucht mehr als reine | |
Unterhaltung zu liefern, von Krankheit, Verlust und Tod zu erzählen. In | |
diesem Sinne ist es auch ein Experimentalfilm. | |
14 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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