| # taz.de -- Genossenschaft rettet Programmkino: David will weiterträumen | |
| > In Mittelhessen gerät eine Großbrauerei in Konflikt mit dem vielfach | |
| > prämierten Programmkino Traumstern. Eine Geschichte mit Happy End. | |
| Bild: Viel Kunst, wenig Geld: das Kino Traumstern in Lich. | |
| Die Buchstaben über dem Eingang verkünden, wohin die Reise geht: Kino | |
| Traumstern steht dort. Hinter der großen Glasfront warten die Hüter der | |
| Träume. „Kino hat viel damit zu tun, sich in andere Welten zu begeben“, | |
| sagt Hans Gsänger zur Begrüßung. Und Edgar Langer ergänzt: „Oft meint das | |
| eine bessere Welt, vielleicht eine utopische Traumwelt auf einem anderen | |
| Stern. Aber Filme können einen auch mit der unverblümten Realität | |
| konfrontieren, vor der man manchmal lieber fliehen möchte.“ | |
| In den letzten Jahren wollten wohl auch die beiden Männer zuweilen lieber | |
| fliehen, in die Welt eines schönen Kinofilms mit Happy End, in dem David | |
| über Goliath siegt. Doch hätten sich die beiden Männer Ende 50 nicht der | |
| harten Realität gestellt, gäbe es hier jetzt vermutlich kein Kino mehr, um | |
| dort zu träumen. Es wäre in der kleinen Gemeinde Lich, die inklusive ihrer | |
| acht Ortsteile kaum mehr als 10.000 Einwohner zählt, das Ende der | |
| Geschichte vom schönen kleinen Kino gewesen, ein Aufgehen des | |
| Nichtidentischen in der Industrie des Immergleichen. | |
| „Wir wollten nie etwas Glattes, Gefälliges machen“, sagt Edgar Langer. „… | |
| ging immer auch darum, die Leute positiv zu verunsichern, Tabus zu | |
| brechen.“ 1983 haben er und Hans Gsänger das Kino Traumstern im | |
| mittelhessischen Lich gegründet. „Es hat als alternatives Projekt mitten in | |
| der Provinz begonnen, als Ort, wo die Menschen sich intensiv austauschen | |
| können.“ Das Programmkino mit Kleinkunstbühne und Kneipe wurde schnell zu | |
| einer Erfolgsgeschichte. | |
| Wegen seines originellen Programms wurde das Kino mit Preisen überhäuft, | |
| über 100 sind es inzwischen. Allein den von der Bundesregierung ausgelobten | |
| Spitzenpreis für das beste Jahresfilmprogramm bekamen die Licher drei Mal | |
| überreicht – so oft wie kein anderes Kino der Republik. | |
| ## Der Goliath von Lich | |
| Doch wie das oft so ist mit Utopien: Es fehlt ihnen am nötigen Kleingeld. | |
| Das Traumstern litt an den chronischen Krankheiten kleiner | |
| Filmkunsttheater: dem kostspieligen Betrieb, einem zunehmendem | |
| Multiplexboom und der teuren Digitalisierung. Zwar entspricht der Anteil | |
| der Programmkinos an der Gesamtzahl der Kinoleinwände bundesweit mit rund | |
| 13 Prozent in etwa ihrem Anteil an Besuchern. „Aber Programmkinos haben | |
| wenige Leinwände und kleine Säle“, sagt Christian Bräuer, Vorsitzender der | |
| AG Kino-Gilde, des Verbands deutscher Programmkinos. „Der Betrieb ist | |
| teuer, Jahr für Jahr geht es darum, die Wirtschaftlichkeit zu sichern.“ | |
| Das Kino Traumstern verdankt sein Überleben auch seinen Förderern. Der wohl | |
| wichtigste unter ihnen war lange Zeit die ortsansässige Brauerei, eine der | |
| führenden Biermarken Deutschlands. Sie ist der Goliath von Lich. Und der | |
| war eigentlich mit David befreundet, zumindest in der hessischen Provinz. | |
| Als die alten Eigentümer das Grundstück samt Kinogebäude 1996 verkaufen | |
| mussten, erwarb die Licher Brauerei die Liegenschaft, verpachtete sie an | |
| das Traumstern und sicherte so dessen Existenz. | |
| Und während sich der Bierriese als Förderer der Region feierte, wurde das | |
| Traumstern zum soziokulturellen Zentrum, um das herum sich ein lebendiges | |
| Kulturleben entwickelte. Um die zahlreichen Liveveranstaltungen zu | |
| organisieren, wurde 2004 der Kulturverein Künstlich gegründet, unter dessen | |
| Regie ein Theater und der Kinderzirkus entstanden. Zahlreiche | |
| Spitzenmusiker kamen zu Solokonzerten mit anschließender Filmvorführung | |
| nach Lich, Regisseure wie Wim Wenders diskutierten ihre Werke – und alle | |
| profitieren vom kulturellen Angebot. | |
| ## Teilabriss wegen Baumängeln | |
| Auch die Chefs der Brauerei gingen zum Träumen gern ins Traumstern. Doch | |
| irgendwann waren sie gar nicht mehr die richtigen Chefs, seit 2004 gehört | |
| Licher zur drittgrößten Brauereigruppe Deutschlands, der Bitburger Holding. | |
| Und deren Chefs sitzen weit weg von der Licher Provinz. Und weit weg vom | |
| Traumstern. | |
| Im August 2011 sollte das Kino renoviert werden. Im Zuge der Bauarbeiten | |
| wurden Baumängel festgestellt, ein Teil des Gebäudes musste abgerissen | |
| werden. „Das war ein großer Schock für uns“, sagt Gsänger. David hoffte … | |
| Goliath – doch er hoffte vergebens. Die Bedingung für den Wiederaufbau war | |
| ein neuer Vertrag mit höherer Pacht, so wollten es die Entscheider aus | |
| Bitburg. Wegen „zu hoher finanzieller Belastungen“ wollten die | |
| Kinobetreiber nachverhandeln. Der Konzern regierte mit einem Baustopp. Das | |
| kam in Lich nicht gut an. Zum Ärger von Bitburger machte die | |
| „Bürgerinitiative Rettet das Traumstern“ unter dem Kürzel BIT gegen | |
| gleichnamigen Bierbrauer mobil. Es kam zum Zerwürfnis. | |
| Das Traumstern stand vor dem Aus – und mit ihm Lichs lebendiges | |
| Kulturleben. Zwar wurde im Frühjahr 2012 nach zähen Verhandlungen und dank | |
| der Vermittlung von Lokalpolitikern ein neuer Pachtvertrag geschlossen. | |
| Doch auch dieser war mit größeren finanziellen Lasten für das Kino | |
| verbunden. Trotzdem mussten Gsänger und Langer unterschreiben. „Aber auf | |
| Dauer wäre es für uns nicht zu stemmen.“ | |
| ## 400.000 Euro für Grundstück und Gebäude | |
| Doch in Lich wollten sie sich ihre Träume nicht nehmen lassen. „Gerade das | |
| kulturelle Angebot macht diesen Ort so attraktiv“, sagt Peter Damm. Der | |
| 60-Jährige ist Kulturkoordinator der Gemeinde, Vorstand des Kulturvereins | |
| Künstlich – und wie so viele andere hier seit Anbeginn ein großer | |
| Kinofreund. Anfang 2012 trafen sich erstmals ein Dutzend Cineasten, unter | |
| ihnen auch Damm, um die Zukunft ihres Lichtspielhauses auf eine | |
| gemeinschaftliche Basis zu stellen. Mithilfe einer Genossenschaft wollten | |
| sie das Grundstück samt Gebäude kaufen und es günstig an das Kino | |
| verpachten. | |
| Zunächst war die Brauerei nicht zu einem Verkauf bereit, doch nach | |
| monatelangen Gesprächen erkannte der Konzern schließlich die Gunst der | |
| Stunde, aufgerissene Wunden zu kitten und den Ruf als der gute Goliath von | |
| Lich wiederherzustellen. Für 400.000 Euro war Bitburger bereit, Grundstück | |
| und Gebäude zu verkaufen.„Ein faires Angebot“, findet Peter Damm. Und auch | |
| der Konzern ist zufrieden. „Es ist ein Erfolg für alle Beteiligten, um Kino | |
| und Kultur in Lich zu erhalten“, sagt ein Sprecher. | |
| Im September 2014 wurde die „Kulturgenossenschaft Lich“ in das | |
| Gewerberegister eingetragen, sie ist die erste ihrer Art in Hessen. Seither | |
| hat sie 140.000 Euro von über 220 Mitgliedern eingesammelt, das | |
| Finanzierungsangebot einer Bank liegt vor. Und auch die Stadt Lich ist auf | |
| den Plan getreten. Im Magistrat gibt es Überlegungen, den Komplex rund um | |
| das Kino zu kaufen und der Genossenschaft günstig zum Mietkauf zu | |
| überlassen. Noch ist nichts entschieden, doch Optimismus ist spürbar in | |
| Lich. Bis Mitte des Jahres wollen sie den Kauf abgeschlossen haben. Sie | |
| wissen, wie man Träume verwirklicht. | |
| Und die beiden Kinobetreiber können sich nun endlich wieder ganz dem | |
| Traumstern widmen. Sie haben die Licher Kulturtage organisiert, die Anfang | |
| des Monats im Kino eröffnet wurden und die noch bis zum 22. März viele | |
| Künstler in die mittelhessische Provinz locken. Mit dabei auch Peter Damm – | |
| und all die anderen „Kulturverrückten“, wie er sie nennt. Und die Brauerei | |
| mischt auch mit. Fast so, als hätte es nie einen Streit gegeben zwischen | |
| David und Goliath. | |
| Der Film vom Traumstern in der Provinz hat vermutlich doch noch ein Happy | |
| End. | |
| 17 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Timo Reuter | |
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