# taz.de -- Kino auf dem Land: Gereiftes Publikum | |
> Das Lili-Servicekino in Wildeshausen hat die Digitalisierung gut | |
> bewältigt. Sein Konzept: Es setzt auf Bedienung am Platz und Filme für | |
> ein älteres Publikum. | |
Bild: Unten Kneipe, oben Kino: das Lili-Servicekinos in Wildeshausen. | |
BREMEN taz | Die Kinobranche ist seit den 1950er-Jahren permanent in der | |
Krise: Fernsehen, Video, DVD und Internet waren und sind die | |
Konkurrenzmedien, die vor allem auf dem Lande für ein stetiges Kinosterben | |
sorgten. Vor einigen Jahren kam die Digitalisierung der Kinotechnik hinzu: | |
Sie ist mit erheblichen Investitionen verbunden und galt als Sargnagel für | |
kleine Kinos. | |
Umso erstaunlicher ist es, dass tatsächlich nur wenige Kinos schließen | |
mussten. In Niedersachsen hat von den größeren Traditionskinos nur das | |
Apollo in Emden zugemacht, weil 2009 vor Ort ein Multiplexkino eröffnet | |
worden war. In Braunschweig wurde im gleichen Jahr mit dem Universum sogar | |
ein Programmkino neu eröffnet. | |
Ein gutes Beispiel dafür, wie ein kleines Kino mit nur einem Saal in einer | |
Kleinstadt erfolgreich betrieben werden kann, ist das Lili-Servicekino in | |
Wildeshausen. Die Kreisstadt mit etwa 20.000 Einwohnern liegt zwischen | |
Bremen, Oldenburg und Osnabrück. Und Lili steht für Lindenhof-Lichtspiele. | |
Die Lindenhof-Lichtspiele wurden 1952 in einem ehemaligen Tanzsaal über | |
einer Kneipe eröffnet und waren lange im Besitz der Familie Rigbers. Heinz | |
Rigbers ist heute der Leiter des Betriebs und erzählt gerne davon, wie er | |
schon als Elfjähriger bei den Jugendvorstellungen am Sonntagnachmittag die | |
Filme vorführen durfte. | |
In den 80er- und frühen 90er-Jahren gab es eine der tiefgreifendsten | |
Strukturkrisen des Kinos. Damals wurden viele Vorführstätten in sogenannte | |
Schachtelkinos umgebaut, also in Kinos mit mehreren, meist kleinen und | |
unbequemen Sälen. Die Betreiber der Lindenhof-Lichtspiele waren so klug, | |
dem Trend nicht zu folgen. Dafür wurden vor den 130 Kinosesseln kleine | |
Tische installiert, auf denen Getränke und Snacks abgestellt werden können. | |
Die Tische sind auch während der Vorführungen beleuchtet und es gibt | |
Signalknöpfe, die am Tresen im hinteren Teil des Saals ein Licht | |
aufleuchten lassen. | |
Dieses Konzept, den Kinobesuch zu einem bequemen, auch gastronomischen | |
Erlebnis zu machen, war so erfolgreich, dass daran seit damals nichts | |
geändert wurde. Heute wirkt es ein wenig altmodisch, aber gerade diese | |
behäbige Gemütlichkeit macht den Charme des Kinos aus. Und die Bindung der | |
Wildeshausener an ihr Stadtkino ist nicht zu unterschätzen, denn viele von | |
ihnen machten hier bei den Kindervorstellungen ihre ersten, prägenden | |
Kinoerfahrungen. | |
Vor drei Jahren gab es eine wirtschaftliche Krise und nach einem | |
Besitzerwechsel drohte sogar das Aus für das Kino. Aber dann sorgte die | |
vermögende und alteingesessene Wildeshausener Familie Prochnow für eine | |
Lösung. Wohl eher aus lokalpatriotischen als aus finanziellen Motiven | |
pachtete der über 70-jährige Michael Prochnow das Kino von seinem Bruder | |
Christfried, dem die Immobilie gehört. Er stellte Heinz Rigbers als | |
Theaterleiter ein, und dieser sorgt nun, wie schon viele Jahre davor, für | |
den Betrieb und die Programmierung des Kinos. | |
Das Programm hat sich in den letzten Jahren verändert: Während früher vor | |
allem Unterhaltungsfilme im Lili vorgeführt wurden, laufen dort nun eher | |
jene anspruchsvolleren Filme, die in den Großstädten in Programmkinos | |
gezeigt werden. So wird dort gerade in der „4. Erfolgswoche!“ jeden Tag die | |
französische Komödie „Monsieur Claude und seine Töchter“ gezeigt. | |
Der Actionfilm „Planet der Affen“ kommt dagegen erst ein paar Wochen nach | |
dem Kinostart ins Programm. Das jüngere Publikum für diese Art von Filmen | |
fährt entweder in die größeren Nachbarstädte, wo es Multiplexkinos gibt, | |
oder sieht die Filme im Internet. Zudem sind die aktuellen | |
Unterhaltungsfilme für die kleinen Kinos schnell „verbrannt“. Nach drei | |
oder vier Wochen sind sie für das Zielpublikum „alt“. | |
Diese Beschleunigung sieht Rigbers als eine der grundlegenden Veränderungen | |
im Kinobetrieb an: „Früher war es so, dass etwa der Disneyfilm ’Bernhard | |
und Bianca‘ zu Weihnachten in den Großstadtkinos gezeigt wurde und bei uns | |
lief er dann zu Ostern. Die Kinos auf dem Land bekamen viele Filme erst | |
drei oder vier Monate später und dann oft auch noch in unvollständigen | |
Kopien mit Laufspuren. Doch daran war das Publikum gewohnt.“ | |
Dieser Beschleunigung ist es auch geschuldet, dass das Lili-Servicekino | |
schon 2011 vergleichsweise früh mit digitaler Technik ausgestattet wurde. | |
Die französische Komödie „Ziemlich beste Freunde“ war der Kinohit dieser | |
Saison, und das Lili-Servicekino hätte ihn auch von der ersten Woche an | |
spielen können, wenn es vorher digitalisiert worden wäre. Rigbers erzählt, | |
dass der Pächter „gleich am Tag darauf die Angebote der Firmen einholte“ | |
und das Kino dann sehr schnell auf den technisch neusten Stand gebracht | |
wurde. So ist das Lili mit einer 4K-Projektion heute besser ausgerüstet als | |
die vergleichbaren Kunstfilmkinos im nahen Bremen, und selbstverständlich | |
werden die Mainstreamfilme in 3-D gezeigt. | |
Die Investition scheint sich zu rechnen, denn das Kino macht mit etwa | |
25.000 Besuchern pro Jahr bei um die 800 Vorstellungen einen kleinen, aber | |
soliden Profit. Ein Grund dafür ist auch die einfallsreiche Programmplanung | |
durch Heinz Rigbers, der etwa einmal pro Woche einen anspruchsvollen | |
Kunstfilm (wie in dieser Woche Richard Linklaters „Boyhood“) zeigt und | |
jeden Monat einmal zu einem Seniorennachmittag mit Kaffee und Kuchen | |
einlädt. Da ist das Kino dann manchmal bis auf den letzten Platz gefüllt. | |
Den größten Erfolg der letzten Jahre hatte Rigbers mit der Wiederaufführung | |
des Dokumentarfilms „Und vor mir die Sterne“ über die Schlagersängerin | |
Renate Kern. Wochenlang waren die Vorführungen ausverkauft, dabei war der | |
Film schon mehr als zehn Jahre alt und inzwischen längst mehrfach im | |
Fernsehen gelaufen. Aber Renate Kern stammt gebürtig aus Wildeshausen – und | |
die Bürger der Stadt hatten mit dem Kino einen Ort, um sich an sie zu | |
erinnern. | |
27 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Digitalisierung | |
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