| # taz.de -- Europäische Sicherheitspolitik: Biete Schutz, suche Vertrauen | |
| > Die Erwartungen an die Rede von EU-Kommissionschef Juncker waren hoch. | |
| > Dann versprach er vor allem mehr Sicherheit – und wird von rechts | |
| > kritisiert. | |
| Bild: Hat er Europa noch hinter sich? Jean-Claude Juncker bei seiner Grundsatzr… | |
| Donald Tusk hat Jean-Claude Juncker die Show gestohlen. Am Vorabend der | |
| großen Grundsatzrede, [1][die Juncker am Mittwoch im Europaparlament in | |
| Straßburg hielt], legte Tusk, der Ratspräsident, einen Zehnpunkteplan zur | |
| Rettung der EU vor. | |
| Tusks Brandbrief enthält fast alles, was der Kommissionschef auch sagen | |
| wollte. Er kulminiert in der Forderung, die EU müsse ihre Bürger besser | |
| schützen. „Ein Europa, das schützt“ heißt die neue Zauberformel, mit der | |
| Tusk und Juncker das verlorene Vertrauen der Europäer zurückgewinnen | |
| wollen. | |
| Doch die beiden ziehen nicht am selben Strang: Tusk leitet den | |
| Krisengipfel, bei dem sich 27 Staats- und Regierungschefs am Freitag in | |
| Bratislava versammeln, um über die Folgen des britischen EU-Austritts zu | |
| beraten. Hinter ihm steht die geballte Macht der EU-Staaten. Juncker | |
| dagegen leitet die EU-Kommission, also jene Brüsseler Behörde, die für | |
| viele zum Inbegriff von Bürokratie und Bürgerferne geworden ist. Er muss um | |
| Zustimmung kämpfen – und das in einer Zeit, in der sich sogar Kanzlerin | |
| Angela Merkel gegen „mehr Europa“ (also mehr Macht für Brüssel) aussprich… | |
| Der Luxemburger zog dafür alle Register. „Die Zahl der Bereiche, in denen | |
| wir solidarisch zusammenarbeiten, ist zu klein“, klagte er. Ihm gehe es | |
| nicht um mehr, sondern um ein besseres Europa, rechtfertigte er sich. Das | |
| müsse aber schnell kommen, denn die EU stecke „in Teilen“ in einer | |
| „existenziellen Krise“. | |
| ## Für jeden etwas dabei | |
| Brexit, Flüchtlingskrise, Terrorismus – das sind für Juncker die größten | |
| Gefahren. Darin ist er sich mit Tusk einig. Juncker will die Bürger aber | |
| auch vor sozialen und wirtschaftlichen Risiken schützen. | |
| Jugendarbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Altersarmut: Auch das | |
| hat der Christdemokrat auf dem Schirm. | |
| In seiner Rede ging er auf alles ein, für jeden war etwas dabei. Mehr | |
| Grenzschutz, aber auch Kampf gegen Lohndumping. Mehr Militär, aber auch | |
| mehr Investitionen. Mehr Freihandel (einschließlich des umstrittenen | |
| Ceta-Abkommens mit Kanada), aber auch mehr Solidarität bei Krisen wie dem | |
| letzten Erdbeben in Italien. | |
| Vieles blieb vage, manches wurde aber auch sehr konkret. So verspricht | |
| Juncker für 2020 kostenloses WLAN für alle – jedenfalls an öffentlichen | |
| Plätzen. Bis 2025 soll sogar superschnelles mobiles Surfen („5G“) in ganz | |
| Europa möglich sein. Ein wenig klingt es nach Freibier für alle. | |
| ## Konkret nur im Kleinen | |
| Juncker geht es aber um etwas anderes: Er will zeigen, dass die | |
| EU-Kommission noch „Mehrwert“ liefern kann, dass sie nicht im Brexit-Blues | |
| versinkt. Zum Brexit selbst fiel ihm nur ein: Schnell soll der Austritt | |
| kommen, am Binnenmarkt und an der Freizügigkeit soll nicht gerüttelt werden | |
| – das war’s. | |
| Umso markiger fällt die Antwort von Tusk aus, jedenfalls auf dem Papier. Es | |
| wäre ein „fataler Fehler“, zu glauben, dass der Brexit nur die Briten | |
| angehe, schreibt der Pole in seinem Einladungsbrief für den Krisengipfel in | |
| Bratislava. Die Menschen wollten wissen, ob die „politischen Eliten“ noch | |
| in der Lage seien, „die Kontrolle zurückzugewinnen“. | |
| In Bratislava dürfen denn auch die „harten“ Themen im Mittelpunkt stehen: | |
| Der Krieg in Syrien, die Flüchtlingswelle nach Europa, der Schutz der | |
| Grenzen und die Verteidigung. Nach dem „Kontrollverlust“ im Herbst | |
| vergangenen Jahres wollen die EU-Chefs zeigen, dass sie „verstanden“ haben. | |
| Damit wollen sie auch ein Signal an Populisten und Nationalisten senden – | |
| und ihren Vormarsch beenden. Doch die lassen sich von Tusk und Juncker | |
| nicht beeindrucken, im Gegenteil: „Niemand glaubt mehr, dass Europa uns | |
| schützt“, ätzte die Führerin des rechtsextremen französischen Front | |
| National, Marine Le Pen, bei der Aussprache über die Juncker-Rede im | |
| Europaparlament. | |
| ## Ätzen, statt diskutieren | |
| Der Brexit habe gezeigt, dass man sehr wohl austreten könne, ohne im Chaos | |
| zu versinken, so Le Pen. Deshalb trete auch sie für einen Austritt | |
| Frankreichs ein. Hämisch präsentierte sich auch Nigel Farage, der | |
| mittlerweile zurückgetretene Chef der EU-feindlichen britischen Ukip. Die | |
| Pläne für eine Verteidigungsunion zeigten, dass die EU kein Friedensprojekt | |
| mehr sei. | |
| Ungewohnt defensiv traten dagegen die überzeugten Europäer auf. Farage und | |
| seine Freunde hätten die Briten betrogen und Unwahrheiten über die EU | |
| verbreitet, so Gianni Pitella, Fraktionschef der Sozialdemokraten. „Schluss | |
| mit dem billigen Populismus“, forderte Manfred Weber, der Anführer der | |
| Christdemokraten. | |
| Den meisten Beifall erhielt Juncker aber von den Grünen. Es sei wichtig, | |
| die Errungenschaften Europas zu verteidigen, so Fraktionschefin Rebecca | |
| Harms. Ihr Luxemburger Parteifreund Claude Turmes lobte, dass sich Juncker | |
| in der Steuerpolitik vom „Saulus zum Paulus entwickelt“ und eine „positive | |
| Vision für Europa“ vorgelegt habe. | |
| Dabei hat Juncker ganz bewusst auf Visionen verzichtet. Er wäre schon | |
| zufrieden, wenn die EU auch diese Krise einigermaßen unbeschadet übersteht. | |
| Seine „Kommission der letzten Chance“, wie er sie selbst nennt, hat noch | |
| nicht aufgegeben. Doch ziehen die EU-Staaten mit? Die Antwort müssen Tusk | |
| und Merkel geben, am Freitag in Bratislava. | |
| 14 Sep 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Junckers-Grundsatzrede-zur-Lage-der-EU/!5340187 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Brexit | |
| EU-Kommission | |
| Jean-Claude Juncker | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Donald Tusk | |
| Europaparlament | |
| Europäische Union | |
| Ukip | |
| EU-Parlamentspräsident | |
| Jean-Claude Juncker | |
| Europäische Union | |
| EU-Förderprgrogramm | |
| Schwerpunkt Brexit | |
| Ungarn | |
| Europäische Union | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Grüne Vorsitzende im Europaparlament: Harms geht! Harms bleibt | |
| Rebecca Harms scheitert daran, die Nörgler der Fraktion auf Pro-EU-Kurs zu | |
| bringen. Den linken Parteiflügel freut der Rücktritt der Realo-Grünen. | |
| EU-Gipfel in Bratislava: Europäische Union will den Neustart | |
| Wie kritisch ist die Situation der EU? Die 27 bleibenden Staaten der Union | |
| suchen in Bratislava eine gemeinsame Agenda. | |
| Diane James wird Ukip-Chefin: Neues Gesicht für britische Populisten | |
| Ukip bekommt eine weibliche Spitze. Nach ihrem Brexit-Erfolg wollen die | |
| Populisten nun Labour als stärkste Oppositionskraft ablösen. | |
| Kampf um EU-Parlamentspräsidenten: Sozis sind stinksauer | |
| Martin Schulz zum Abschuss freigegeben: Die Konservativen im EU-Parlament | |
| wollen auch den Posten des Parlamentspräsidenten. | |
| Regierungschef-Treffen in Bratislava: Was die Europäische Union zerreißt | |
| Die EU ist gespalten: Verschiedene Blöcke streiten über Sparkurs und | |
| Steuerdumping, Flüchtlingskrise und Ukrainekonflikt. Eine Analyse. | |
| Kommentar Junckers EU-Rede: Viel Schutz und ein bisschen Firlefanz | |
| Sicherheit in der EU wird als Grenzschutz und Aufrüstung verstanden. Ein | |
| bedenklicher Trend. Doch Juncker hat auch Gutes zu bieten. | |
| Junckers Grundsatzrede zur Lage der EU: „Solidarität lässt sich nicht erzwi… | |
| Juncker will die Investitionen auf 630 Milliarden Euro verdoppeln, um | |
| Europa wieder auf Trab zu bringen. Für ein grundsätzliches Problem hat er | |
| keine Lösung. | |
| Kommentar Junckers Rede: Die letzte Chance | |
| EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker äußert sich zur Lage der | |
| Europäischen Union. Fünf Fragen, die er in der Rede unbedingt beantworten | |
| muss. | |
| Luxemburgs Außenminister Asselborn: „Ungarn aus der EU ausschließen“ | |
| Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn fordert Ungarns | |
| EU-Ausschluss wegen der Flüchtlingspolitik. Ungarn reagiert prompt. | |
| Kommission kippt Roaming-Beschränkung: Die EU wird doch gebührenfrei | |
| Nach heftiger Kritik wird die EU-Kommission die Beschränkung von Telefonie | |
| ohne Roaminggebühren nun kippen. Ab Mitte 2017 sollen sie ganz wegfallen. |