| # taz.de -- Sarah Bakewells „Creative Writing“: Zwischen Haschisch und Sart… | |
| > Eine hinreißende neue Geschichte des Existenzialismus. Geschrieben von | |
| > einer leidenschaftlichen Schulschwänzerin. | |
| Bild: Jean-Paul-Sartre (2.v.r.) mit Simone de Beauvoir (r.) in Moskau | |
| Der französische Existenzialismus, wie ihn Sartre, Merleau-Ponty, Camus und | |
| andere geprägt haben, war schon lange mausetot. Jetzt kommt die Londoner | |
| Schriftstellerin Sarah Bakewell, die an der Uni Creative Writing lehrt und | |
| die bis vor dem Erscheinen ihres Bestsellers über Montaigne niemand kannte, | |
| und erweckt den Existenzialismus wieder zum Leben, indem sie ihm in allen | |
| möglichen Facetten und Abschweifungen nachspürt. Sie schließt die Biografie | |
| ihrer Protagonisten mit ihren Theorien kurz und zeigt, wie das eine sich | |
| auf das andere auswirkt, wie die Hauptpersonen zueinander finden und sich | |
| gegenseitig beeinflussen. | |
| Sie lässt Figuren auftauchen, von denen man nicht unbedingt erwartet hatte, | |
| dass sie eine Rolle spielen, wie Boris Vian, in dessen Nachtclub Tabou sich | |
| Sartre und seine Freunde trafen und tanzten und dessen Roman „Schaum der | |
| Tage“ in Les Temps Modernes vorabgedruckt wurde, sie erzählt auf elegante | |
| und verständliche, aber nicht vereinfachende Weise die großen | |
| philosophischen Werke von Martin Heidegger, Edmund Husserl, Jean-Paul | |
| Sartre und Maurice Merlau-Ponty und bringt es fertig, sie in ihrem | |
| Wesenskern auch für Menschen begreifbar zu machen, die sich für den | |
| Existenzialismus nie sonderlich interessiert haben. | |
| Sie versteht es, die Neugier des Lesers darauf zu wecken, was wohl als | |
| nächstes passieren wird, sodass man zugeben muss, dass das nicht gerade | |
| sonderlich gut beleumundete Creative Writing offenbar auch positive Seiten | |
| haben kann. | |
| Der wesentliche Grund aber, warum „Das Café der Existenzialisten“ so | |
| grandios ist, findet sich in Sarah Bakewells Begeisterung für ihr Thema, | |
| die aus ihrer Jugend herrührt, als sie fasziniert war von Sartres „Ekel“ | |
| und alles las, was ihr in die Hände fiel. Zwischen den wenigen abgedruckten | |
| Fotos der Hauptpersonen, findet sich auch ein Teenagerfoto von Sarah | |
| Bakewell. Man könnte das für etwas vermessen halten, aber die Autorin | |
| erinnert damit an die Strahlkraft, die der Existenzialismus damals auf die | |
| junge Generation auch weit über die Grenzen Frankreichs hinaus ausübte. | |
| „Unter Sartres Einfluss wurde ich zu einer leidenschaftlichen | |
| Schulschwänzerin. Ich nahm einen Nebenjob in einem Laden an, wo ich | |
| Reggae-Platten und Haschischpfeifen verkaufte. Es war eine interessantere | |
| Ausbildung als jeder Schulunterricht.“ | |
| Sie studierte nicht, um Prüfungen zu bestehen, sondern las die | |
| Existenzialisten, weil sie etwas entdeckt hatte, das sie unmittelbar zu | |
| sich selbst in Bezug setzen konnte, zu ihrer Existenz, ihrem Sein und dem | |
| der anderen, zu einer Philosophie, die ihr eine ganze Welt öffnete, weil | |
| sie mit der Aufforderung verbunden war, sich zu engagieren und selbst | |
| verantwortlich zu sein für das, was man tut. | |
| ## Heidegger, der Egomane | |
| Nur unter dieser Voraussetzung kann es einem gelingen, Leser in Bann zu | |
| schlagen auch mit einem Thema, zu dem diese sonst nie einen Zugang gefunden | |
| hätten, weil die Hauptwerke wie „Das Sein und das Nichts“, „Sein und Zei… | |
| oder „Phänomenologie der Wahrnehmung“, die Bakewell verhandelt, Leuten | |
| verschlossen bleiben, die sich nicht professionell damit beschäftigen. | |
| Es ist nicht unbedingt so, dass man aus dem Buch etwas Neues erfahren | |
| würde, denn Leben und Philosophie der Hauptakteure sind vollständig | |
| erforscht. Aber das neue Arrangement des Gegenstands vermittelt immer | |
| wieder überraschende Einblicke und Erkenntnisse, Bakewells | |
| Herangehensweise, die Theorien zu erklären und nachvollziehbar zu machen, | |
| ist nicht im Geringsten ideologisch, sondern fast liebevoll und von großem | |
| Verständnis geprägt, auch wenn sich ein Autor verrannt hat wie Heidegger, | |
| der zum Nationalsozialismus überlief, oder Sartre, der Maoist wurde, oder | |
| Merleau-Ponty, der eine Zeit lang dogmatisch prosowjetische Positionen | |
| vertrat. | |
| In diesen biografischen Verfehlungen spiegeln sich eben auch die Zeit und | |
| die politischen Verwerfungen wieder, auf die die Philosophen, jeder auf | |
| seine Weise, eine Antwort zu geben versuchten. Und dabei gerieten sie sich | |
| in die Haare, das heißt, es geht auch um die Zerwürfnisse der | |
| Protagonisten, um das Auseinanderbrechen großer Freundschaften wie zwischen | |
| Sartre und Camus, ein Streit, der „als Chiffre für eine ganze Epoche“ gilt. | |
| Während Merleau-Ponty mit dem nordkoreanischen Angriff auf den Süden des | |
| Landes seinen Glauben an den Kommunismus verlor, radikalisierte sich der | |
| vorher eher zurückhaltende Sartre nach einem bizarren Vorkommnis in | |
| Frankreich. Eine Polizeistreife entdeckte bei einer Verkehrskontrolle im | |
| Auto des Generalsekretärs der KPF ein Funkgerät und zwei Tauben, die | |
| angeblich für Spionagezwecke verwendet wurden. | |
| Die Tauben, die Jacques Duclos vorher erstickt haben sollte, wurden | |
| obduziert und nach versteckten Mikrofilmen untersucht. Es wurden Experten | |
| bemüht, die herausfinden sollten, ob es sich um Brief- oder gewöhnliche | |
| Haustauben handelte, eine absurde Affäre, die Louis Aragon zu einem Gedicht | |
| über das „Taubenkomplott“ inspirierte und die „Konversion“ Sartres | |
| auslöste, für ihn der Höhepunkt jahrelanger Schikanen gegen die | |
| Kommunisten. | |
| ## Verschwenderisches Wissen | |
| Er schrieb in rasender Geschwindigkeit, mit Zorn im Herzen und Corydran im | |
| Blut (Sartre hat täglich durchschnittlich 20 Seiten verfasst) lange | |
| Rechtfertigungen des Sowjetstaates, die später sogar in der Behauptung | |
| gipfelten, der Sowjetbürger reise deshalb nicht ins Ausland, weil er kein | |
| Bedürfnis danach verspüre. Als dann Camus’ „Mensch in der Revolte“ | |
| erschien, war der alte Freund aus Zeiten der Résistance in den Augen | |
| Sartres und Beauvoirs zum Konterrevolutionär geworden. | |
| Selbst in solchen Handlungen findet Bakewell noch nachvollziehbare | |
| Beweggründe, die man nicht teilen muss, die sie aber aus der Zeit zu | |
| erklären versucht, als Sartre unter Druck stand und als „dekadenter | |
| Bourgeois“ verspottet wurde, um schließlich zu einem „Ultrabolschewisten“ | |
| zu werden, wie ihn Merleau-Ponty in seinem Buch „Die Abenteuer der | |
| Dialektik“ bezeichnete, in dem er sich vom Kommunismus abwandte, was | |
| Merleau-Ponty nicht davon abhielt, in Sartre einen „guten Menschen“ zu | |
| sehen, dem seine „Gutherzigkeit“ schließlich zum Verhängnis wurde. | |
| Selbst Heidegger, der in allem, was Bakewell beschreibt, als egomanischer | |
| Unsympath erscheint ohne die geringste Fähigkeit zur Empathie, der sich für | |
| das Leben der anderen nicht interessierte, der Freunde verleugnete und | |
| hinterging, wenn er sich davon einen Vorteil versprach, und dessen Nähe zum | |
| Nationalsozialismus unerträglich war, auch Heidegger verurteilt sie nie, | |
| sondern hebt seine Fähigkeit zu „bohrendem Denken“ hervor. | |
| Sarah Bakewells Geschichte über den Existenzialismus ist eines der sehr | |
| seltenen Bücher, die niemals enden sollten, weil die Autorin nicht einen | |
| Aspekt abarbeitet, sondern verschwenderisch und auf hinreißende Weise das | |
| Wissen der Welt ausbreitet. | |
| 25 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Bittermann | |
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