# taz.de -- Ausstellung im Deutschen Museum: „Auf Wiedersehen im Anthropozän… | |
> Eine Kernfrage der Anthropozän-Ausstellung ist: Wird es dem Menschen | |
> gelingen, sich vom Parasiten der Erde zu dessen Symbionten zu verwandeln? | |
Bild: Noch wird diskutiert, mit welchem Ereignis das Anthropozän begann | |
„Ich wünsche mir, dass wir uns alle auf das Leben zurückbesinnen“, schrei… | |
eine Besucherin. Ein anderer, knapp und radikal: „Revolution für eine grüne | |
Erde!“ Beide haben, wie mehr als 170.000 andere Personen auch, die | |
Ausstellung [1][„Willkommen im Anthropozän“ im Deutschen Museum in Münche… | |
besucht. Viele setzen sich beim Hinausgehen noch für einen Moment hin und | |
schreiben ihre Eindrücke auf ein Blatt Papier, das sie zu einer Blume | |
falten – zusammengesteckt eine Wiese der Nachdenklichkeit vor dem neuen | |
Menschenzeitalter, um das die Geowissenschaftler derzeit heftig ringen. | |
Ausstellungskuratorin Nina Möllers hat alle Blumen gesammelt und in 20 | |
Bänden mit Besucherkommentaren zusammengebunden. „Unser Ziel war es, dass | |
die Besucher aus der Ausstellung mit Fragen herausgehen, und das haben wir | |
auch erreicht“, sagt die Museumsfrau. Erstaunt ist sie darüber, dass viele | |
der Zukunftsperspektiven überwiegend negativ bewertet werden. „Da gibt es | |
tendenziell viel Angst vor dem, was uns bevorsteht“, beschreibt Möllers | |
eine erhebliche Publikumsmeinung. | |
Was bevorsteht, ist das Anthropozän, eine neue Epoche in der Geschichte der | |
Erde. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass nach vielen Millionen Jahren | |
erstmalig der Mensch die stärkste Kraft ist, die den Planeten beeinflusst | |
und technisch formt – von gigantischen Städten über das Leerfischen der | |
Meere bis hin zur Veränderung des Erdklimas durch ungebremsten Ausstoß von | |
Treibhausgasen. | |
Die Geoforscher haben diese Veränderung schon seit einiger Zeit im Blick. | |
Vor wenigen Wochen machte eine Arbeitsgruppe der für die Benennung der | |
Erdzeitalter zuständigen Stratigrafen den Vorschlag, der jüngsten Epoche | |
nach dem Holozän den Namen „Anthropozän“ – das Zeitalter des Menschen �… | |
geben. Nun wird nach dem markanten Datum für den Beginn der Ära und ihr | |
Leitfossil gesucht. Vieles spricht dafür, dass es der Einsatz der Atombombe | |
1945 und der weltweit verbreitete nukleare Fallout sein wird. | |
Das Deutsche Museum in München ist eine Kathedrale der Technik. Die großen | |
Errungenschaften menschlichen Erfindergeistes und waghalsiger | |
Ingenieurskunst sind hier aufbewahrt und sollen vor allem junge Besucher | |
belehren und auch emotional in Bann ziehen: technischer Fortschritt, | |
verantwortlich eingesetzt, werde die Menschen glücklicher und die Erde zu | |
einem besseren Ort machen. | |
## Kritische Betrachtung der Technik-Segnungen | |
Von daher war es ein gewisses Risiko, als das Museum vor zwei Jahren mit | |
dieser Logik brach und sich mit der Anthropozän-Ausstellung – zugleich die | |
weltweit erste zu diesem Thema – auf eine auch kritische Betrachtung der | |
Technik-Segnungen einließ. | |
Der Anstoß in diese Richtung kam vom zweiten Ausstellungspartner, dem | |
Rachel-Carson-Center (RCC) an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, | |
wo interdisziplinär die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt | |
untersucht werden. Der Geowissenschaftler und heutige Leiter des | |
„Futuriums“ (Haus der Zukunft) in Berlin, Reinhold Leinfelder, war 2011 | |
Fellow am RCC und brachte beim Nachdenken über eine große | |
Wissenschaftsausstellung das damals noch junge Thema „Anthropozän“ ins | |
Spiel. | |
„Schon damals ging es mir um den Aspekt der Offenheit der | |
Zukunftsgestaltung“, erinnert sich Leinfelder. Nicht nur ein Weg, sondern | |
verschiedene Routen können in „die“ Zukunft führen; aus heutiger Sicht si… | |
unterschiedliche „Zukünfte“ möglich. Bei Leinfelder heißen sie „reakti… | |
Weg, Suffizienzweg, bioadaptiver Kreislaufwirtschaftsweg und | |
Future-Tech-Weg“. Diese verschiedenen Zukunftsoptionen werden in der | |
Münchener Ausstellung an mehreren Themen-Inseln vorgestellt. | |
Beim Thema Ernährung geht es sowohl um die industrielle Herstellung mit | |
ihren Nebenwirkungen für Natur und Tiere als auch um „Urban Gardening“ als | |
Form einer genügsamen, suffizienten Form der Ernährung oder Insektenessen | |
und Hydroponik als mögliche bioadaptive Beispiele. „Ein Kerngedanke für ein | |
„funktionsfähiges“ Anthropozän, also für ein Erdsystem, in dem der Mensch | |
mit seinem Tun und Wirtschaften nicht Parasit, sondern Symbiont der Erde | |
ist“, sagt Leinfelder, „das ist aus meiner Sicht der Gedanke der großen | |
Transformation.“ | |
## Ohne Zeigefinger | |
Viele Zukunftsthemen werden in der Anthropozän-Schau angeschnitten: die | |
Folgen der Urbanisierung, das Reiseverhalten der Menschen, aber auch von | |
Tieren und Pflanzen, die sich als einwandernde Arten die Globalisierung | |
zunutze machen. Auch die Digitalisierung und fortschreitende Verbreitung | |
künstlicher Intelligenz werden angesprochen – gegen die als Antithese die | |
menschliche Kreativität steht, so in Gestalt eines gehäkelten | |
Korallenriffs, was natürlich kein effektiver Meeresschutz ist, aber doch | |
die Zuwendung zu einem massiven Ökoproblem mal ohne naturwissenschaftlichen | |
Zeigefinger. | |
Eine inhaltliche Schwäche der Ausstellung ist jedoch der fehlende | |
wirtschaftspolitische Bezug. Dass eine bestimmte wachstumsfixierte | |
Wirtschaft und ihre Produktionsstrukturen an dieser Entwicklung zum | |
Anthropozän größeren Anteil haben als der einzelne Verbraucher mit seinem | |
Konsumverhalten, wird nirgends angemessen angesprochen. „Unsere | |
Verantwortung für die Zukunft der Erde“ als Untertitel klingt da recht | |
euphemistisch, wenn die Schuldfrage für den Zustand der Gegenwart | |
ausgeklammert bleibt. | |
„Die Ausstellung sollte insbesondere zur Reflexion anregen, gerade auch in | |
gesellschaftlicher und damit gesellschaftspolitischer Hinsicht“, sagt | |
Leinfelder. Sie könne und wolle „keine einfachen Antworten auf komplizierte | |
Fragen“ geben. | |
## Den großen Knopf gibt es nicht | |
Dies hieße, den Kern des Anthropozän-Konzeptes falsch zu verstehen, betont | |
Leinfelder, der auch für einige Jahre das Berliner Museum für Naturkunde, | |
ein Flaggschiff der Wissenschaftspopularisierung, geleitet hatte. „Es gibt | |
kein „böses“ Anthropozän, welches sich in einer Beschreibung all dessen, | |
was die Menschen der Erde angetan haben, erschöpft. Dies ließe den Besucher | |
in einer Ohnmachtssituation zurück“, sagt er, um zu ergänzen: „Das | |
Anthropozän wird aber auch dadurch nicht ‚gut‘, indem nur ein großer Knopf | |
zur Lösung aller Probleme gedrückt werden müsste. Denn so einen Knopf gibt | |
es leider auch nicht.“ | |
„Diese Offenheit der Zukunft zu thematisieren, ist uns gut gelungen“, | |
bilanziert Kuratorin Möllers. Neben den Besuchereinträgen habe dies auch | |
eine wissenschaftliche Evaluierung belegt. Besonders erfreut ist die | |
Ausstellungsmacherin – Spezialgebiet Museumswirkungsforschung – über die | |
„unglaublich starke Resonanz in der internationalen Museumswelt“. In USA, | |
Japan, Schweden, letzte Woche war eine Delegation aus Estland da – überall | |
hält das Anthropozän Einzug in die naturkundlichen Ausstellungen. In Berlin | |
wird Leinfelders „Futurium“ ab Sommer 2017 die Varianten der Zukunft | |
vorstellen. | |
Für das Deutsche Museum geht die befristete, seit Dezember 2014 gezeigte | |
Sonderausstellung am 30. September zu Ende. Ein Zukunftskongress des | |
Bundesentwicklungsministeriums bildete am Donnerstag einen letzten | |
fachlichen Höhepunkt. Bleibt zu hoffen, dass die Nachhaltigkeitsschau in | |
der Weise nachhaltig wirkt, wie es sich der bayerische Heimatmusiker | |
Haindling mit seinem Besuchs-Eintrag erhofft: „Leid, hoits zam, sunst | |
dauert’s nimma recht lang.“ | |
16 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/sonderausstellungen/anthropoza… | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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