Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Animal Lovers“ in Berlin: Der Affe, der den Diskurs veränderte
> Tiere lieben, Tiere essen. Die Ausstellung „Animal Lovers“ befragt in der
> ngbk in Berlin das Verhältnis zwischen Mensch und Tier.
Bild: Kroot Juurak und Alex Bailey machen „Performances for Pets“
Auf dem Vorplatz eines Einkaufszentrums in der Stadt sitzt ein Mann auf
einer Bank und ruht sich aus. Neben ihm räkelt sich eine Katze. Auf der
Bank hat es sich auch ein Huhn gemütlich gemacht, im Hintergrund spazieren
Kuh und Schwein zwischen den Menschen umher.
Hartmut Kiewert hat dieses Bild gemalt und damit eine Welt, in der auch
sogenannte Nutztiere dem Menschen nahe Subjekte sind, anstatt als Ware in
den Regalen der Supermärkte und Bekleidungsgeschäfte zu liegen. Wie würde
eine Gesellschaft aussehen, in der Tiere die gleichen Rechte wie Menschen
hätten? Was trennt Mensch und Tier, was verbindet uns? Die Ausstellung
„Animal Lovers“ geht diesen Fragen nach in der Neuen Gesellschaft für
bildende Kunst (ngbk) in Berlin Kreuzberg.
In Videos, Performances, Gemälden und Skulpturen beschäftigen sich
Künstler_innen mit dem Verhältnis Mensch-Tier. Für „Grand Ape Town“
veränderte der Medienkünstler Thomas Hawranke das Computerspiel „Grand
Theft Auto V“ so, dass dort Tier und Mensch gleichberechtigt zusammenleben.
Das Spiel der Vorlage wurde von Tierschützer_innen wegen der grafisch
dargestellten Gewalt an Tieren kritisiert. In der alternativen Version
führen nun Schimpansen philosophische Gespräche in einer Bar und trinken
Kaffee im Park.
## Die Stadt, Habitat von Mensch und Taube
Das Künstler_innenduo Sin Kabeza entwirft Architekturen für Tiere, die
gemeinhin als unerwünscht gelten. Sie kreierten zum Beispiel ein
nomadenartiges Zelt, das streunende Hunde in Indien in der Monsunzeit
schützen soll. Der allgemein als Störenfried empfundenen Taube widmet der
Tierfotograf Jochen Lempert eine ganze Serie. In seinen Porträts zeigt
Lempert die Taube als stolzes Tier, das dem Menschen allein schon wegen des
gemeinsamen Habitats – der Stadt – nahe ist.
Mit der Frage, wie Menschen und Tiere künftig zusammenleben wollen,
beschäftigte sich auch das Symposium „Networking Animal Lovers“, das am
Wochenende im Rahmen der Ausstellung stattfand. Wissenschaftler_innen
unterschiedlicher Disziplinen – von Agrarwissenschaft bis Gender Studies –
kamen dort zusammen.
Zum Auftakt gab der Soziologe Marcel Sebastian einen Einblick in die
aktuelle Forschung zum Mensch-Tier-Verhältnis. Er gehört zur „Group for
Society and Animal Studies“ an der Uni Hamburg, die eine der ersten
soziologischen Forschungsgruppen in diesem Themenbereich bildet. Den Grund
für den allmählichen Wandel in der Gesellschaft, was den Umgang der
Menschen mit Tieren angeht, sieht Sebastian in der zunehmenden Spannung und
Ambivalenz zweier historischer Entwicklungen: der Verdinglichung von Tieren
auf der einen und ihrer Personalisierung auf der anderen Seite.
## Leidensfähige Subjekte
Damit meint er, dass einerseits die Haltung sogenannter Nutztiere immer
weiter industrialisiert wird, die Zahl der geschlachteten Tiere so hoch ist
wie nie. Nutztiere sind außerdem oft Produkte menschlicher Züchtung und
teils allein kaum lebensfähig. Auf der anderen Seite hat die
Heimtierhaltung seit dem 19. Jahrhundert beständig zugenommen. Haustiere
werden als leidensfähige Subjekte wahrgenommen und immer mehr als Teil der
Familie gesehen.
Eine Visualisierung dieser Personalisierung von Haustieren liefert eine
Videoinstallation des Künstler_innenkollektivs Neozoon. Die Arbeit zeigt
eine Collage von Videos, in denen Frauen ihre Haustiere im Internet
präsentieren. In schriller Tonlage vergleichen sie ihre reinrassigen
Tierchen mit Babys, Töchtern und Söhnen. Zum Finale züngeln die Frauchen
mit ihren Hunden oder lassen ihre Katzen an ihren Brüsten saugen. Eine
übersteigerte Liebe zum Tier, die einen eher verstörenden Eindruck
hinterlässt.
## Die „Brown Dog Riots“
Während diese extreme Personalisierung von Haustieren ein eher junges
Phänomen ist, legte die Historikerin Hilda Kean in ihrem Vortrag dar, dass
die Tierrechtsbewegung eine lange Geschichte hat und schon immer auch mit
anderen sozialen Kämpfen zusammenhing. Berühmtes Beispiel ist die 1906 in
London errichtete „Brown Dog“- Statur in Gedenken an Hunde, die im Rahmen
von Vivisektionen an Universitäten gequält und getötet wurden.
Medizinstudenten protestierten damals gegen die Statur, es kam zu
gewaltsamen Kämpfen mit Suffragetten, Gewerkschaftern und der Polizei, den
sogenannten Brown Dog Riots. 1910 wurde die Statur entfernt und erst 75
Jahre später an anderer Stelle neu errichtet. Eine Infografik zur
Geschichte der „Brown Dog Affäre“ ist auch in der Ausstellung zu sehen.
## Widerstand, geplant
Welche Mitgestaltungsmöglichkeit haben bei all diesen menschlichen Aktionen
und Überlegungen eigentlich die Tiere selbst? Mit ihrer Handlungsmacht und
der Fähigkeit zum Widerstand beschäftigt sich Sven Wirth. Er erwähnte in
seinem Vortrag Santino den Schimpansen, der 2009 für Aufsehen sorgte, weil
er Besucher_innen des Zoos, in dem er lebte, mit Steinen bewarf, die er in
der Nacht vorher gesammelt und versteckt hatte. Vorausschauende Planung
also, eine Fähigkeit, die Tiere nach dem damaligen Stand der Forschung
nicht hatten. Santino leistete also nicht nur Widerstand in Form des
Steinewerfens, sondern beeinflusste auch den biologischen Diskurs.
Trotz solcher tierlichen Revoluzzer liegt die Verantwortung dafür, wie das
Zusammenleben von Mensch und Tier sich weiterentwickelt, in erster Linie
bei den Menschen. Die utopischen Bildwelten von „Animals Lovers“ geben
Denkanstöße, wie das in Zukunft ein bisschen gerechter funktionieren
könnte.
9 Nov 2016
## AUTOREN
Inga Barthels
## TAGS
Tierliebe
Tierrechte
Kunst
Philosophie
Documenta
Hund
Katzen
Biologie
Tierrechte
München
Flüchtlingshilfe
## ARTIKEL ZUM THEMA
„documenta“ in Kassel: Das Tier in der Kunst
Von Athen nach Kassel reiten: Im documenta-Projekt „The Transit of Hermes“
von Ross Birell ist ein Hengst Protagonist der Kunst.
Hunde in Berlin: Finanzamt, fass!
Mehr als 100.000 Hunde leben in Berlin – offiziell. Über all jene, deren
Besitzer keine Steuer für sie zahlen, ist nichts bekannt.
Jagdtiere im Haus: Killerkatzen zum Knuddeln
Jagen liegt den Haustieren in der DNA. Auf kleineren Inseln haben die
Stubentiger der Einwanderer schon andere Arten ausgerottet.
Die Wahrheit: Sprich, Tier, sprich!
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (16): Welcher
mitteilungsfreudigen Spezies von Frosch bis Vogel verdanken wir unsere
Sprachfähigkeit?
Gequälte Schweine in Gütesiegel-Betrieb: Skandal auf dem Tierwohl-Hof
Aktivisten filmen verletzte Schweine in einem Betrieb der Initiative
Tierwohl. Tierrechtler kritisieren Behörden für die vergebenen Gütesiegel.
Meakusma-Festival in Belgien: Batterien aufladen mit Hirschen
Im Spannungsbereich von Dancefloor, Elektronik, Klangkunst und Landschaft:
das Meakusma Festival im belgischen Eupen.
Ausstellung im Deutschen Museum: „Auf Wiedersehen im Anthropozän“
Eine Kernfrage der Anthropozän-Ausstellung ist: Wird es dem Menschen
gelingen, sich vom Parasiten der Erde zu dessen Symbionten zu verwandeln?
Schlagloch Tierrechte: Von Tieren und Flüchtlingen
Die Tierrechtlerin als humanitäre Hilfskraft: ziemlich selbstverständlich.
Denn der eine politische Kampf ist nicht wichtiger als der andere.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.