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# taz.de -- Jagdtiere im Haus: Killerkatzen zum Knuddeln
> Jagen liegt den Haustieren in der DNA. Auf kleineren Inseln haben die
> Stubentiger der Einwanderer schon andere Arten ausgerottet.
Bild: Der Jagd- und Spieltrieb der Katzen liegt in den Genen
Was haben Gelbfuß-Regenpfeifer, Anegada-Wirtelschwanzleguan und
Florida-Buschhäher gemeinsam? Sie alle laufen akut Gefahr, für immer von
unserem Planeten zu verschwinden. Ausgerottet von: Felis silvestris catus,
der Hauskatze. Die genannten Arten befinden sich damit in reichlich
trauriger Gesellschaft. Dutzenden Vogel-, Säuger- und Reptilienspezies
droht dasselbe Schicksal, mindestens 33 Arten sind ihnen bereits
vorangegangen. Ausgelöscht von jenem Raubtier, das der Mensch sich zu
seiner Freude herangezüchtet hat und das er in unzähligen
Facebook-Einträgen, YouTube-Videos und auf Kalenderblättern verehrt.
Der Zoologe Peter P. Marra und der Wissenschaftsjournalist Chris Santella
fassen die Lage im Titel ihrer soeben erschienenen Abrechnung mit den
Kuschelräubern knapp zusammen: „Cat Wars“ heißt ihr Buch, Untertitel: „…
verheerenden Auswirkungen eines knuddeligen Killers“.
Die Beweislast ist erdrückend. Hunderte wissenschaftliche Studien haben
sich dem Problem gewidmet und lassen keinen Zweifel zu. Frei durch die
Gegend streifende Hauskatzen haben desaströse Konsequenzen. Für den
Artenschutz, für den Tierschutz und für die Gesundheit des Menschen.
Katzen sind Raubtiere, das Jagen und Töten liegt in ihrer DNA. Zwar hat der
Mensch sie domestiziert, aber ihren Jagdinstinkt hat er unangetastet
gelassen. Der war schließlich der Grund für diese Langzeitliebesbeziehung.
Katzen halfen, Vorratsschädlinge, Krankheitsüberträger und gefährliche
Tiere wie Mäuse, Ratten und Giftschlangen von Haus und Hof fernzuhalten.
Doch diese ihre Uraufgabe ist heutzutage kaum noch gefragt. Und die Katzen
haben die Jahrhunderte nicht ungenutzt verstreichen lassen. Überall auf der
Welt haben sie sich unkontrolliert vermehrt. In der Folge streifen sie
heute zu Milliarden durch Gärten, Wald und Flur und fordern einen schier
unendlichen Blutzoll.
## Eine Katze genügte
Zuerst auffällig wurde die Katastrophe auf kleineren Inseln. Marra und
Santella erzählen die traurige Geschichte des Stephenschlüpfers, eines
lustigen, kleinen Sperlingsvogels, der auf dem zu Neuseeland gehörenden
Stephen Island lebte. Ein einsamer Leuchtturmwärter brachte im Frühjahr
1894 eine trächtige Katze namens Tibbles mit dorthin.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch kein räuberischer Säuger je einen Fuß
auf die Insel gesetzt. Der Stephenschlüpfer hatte keine Chance. Er war
einer von nur drei flugunfähigen Singvögeln auf der Welt, gemütlich
spazierte er zwischen Wurzeln und Felsen umher und ahnte nichts Böses. Bis
Tibbles und ihre Nachkommen taten, was Katzen eben tun. Es dauerte keine
zwei Jahre, bis der letzte Schlüpfer erlegt auf den Stufen des Leuchtturms
lag.
Das Muster ist immer dasselbe, von Hawaii bis in die Karibik. Und es geht
bis heute weiter: Auf der zu den British Virgin Islands gehörenden Insel
Anegada kämpfen die letzten paar Dutzend Anegada-Wirtelschwanzleguane ihren
aussichtslosen Kampf gegen die pelzigen Invasoren, auf Hawaii steht die nur
dort vorkommende Krähe kurz vor dem Katzenexitus, auf den Florida Keys
schlägt dem Marschhasen bald die Samtpfote.
Das Problem ist auf dem Festland nicht ganz so offenkundig, aber ähnlich
dramatisch. Biologen schätzen, dass allein in den USA etwa 150 Millionen
Katzen frei durch die Gegend laufen, seien es eigentlich in Häusern
gehaltene Stubentiger, die Freigang haben, seien es herrenlose und komplett
wild lebende Katzenkolonien. Gemeinsam ist ihnen ihr Jagdtrieb. Ein Teil
der Beutetiere wird zur heimatlichen Basis geschleppt, wie jeder
Katzenhalter weiß. Andere werden direkt nach der Jagd gefressen, wieder
andere fallen dem Spieltrieb zum Opfer und verenden unbemerkt unter
irgendeinem Busch.
## 50 Vögel im Jahr
Um die Folgen abschätzen zu können, wurden Erhebungen unter Katzenhaltern
durchgeführt, die nach Hause gebrachte Opfertiere protokollierten, und die
Jäger selbst zeichneten ihr nächtliches Treiben mit „Kitty Cams“ auf.
Ernüchterndes Resultat: Jede Hauskatze mit Freigang tötet bis zu 33, jede
herrenlose Streunerin bis zu 50 Vögel im Jahr, hinzu kommen 5 Amphibien, 12
Reptilien und 300 Kleinsäuger. Gesamtbilanz verschiedener Modellrechnungen
allein für die USA: 1,2 bis 4 Milliarden Vogelopfer jährlich plus 100 bis
300 Millionen Amphibien, 250 bis 800 Millionen Reptilien, 6 bis 22
Milliarden Kleinsäuger. Der Verlust dermaßen vieler Individuen setzt selbst
häufigen Arten auf dem Festland zu. Am europaweiten Rückgang des einst so
häufigen Spatzen etwa dürften Katzen einen wichtigen Anteil haben.
Aber die Streuner fungieren auch als Krankheitsüberträger. Dass Katzen auch
Tollwut und sogar Pest übertragen, ist keine Neuigkeit. Alljährlich kommt
es deswegen zu Todesfällen beim Menschen, wenn auch, zumindest in den
Industrieländern, in kleiner Zahl. Weniger bekannt aber ist ein Einzeller,
der sich auf Katzen spezialisiert hat. Toxoplasma gondii heißt der
Winzling, dem sich die Wissenschaftsjournalistinnen Monika Niehaus und
Andrea Pfuhl in ihrem gerade erschienenen Buch „Die Psycho-Trojaner“
eingehend widmen. Er verursacht beim Menschen Toxoplasmose, die Embryos im
Mutterleib schädigen und zu Fehlbildungen wie Wasserkopf führen, aber auch
Entzündungen im Gehirn Erwachsener auslösen kann.
Der Lebenszyklus des bogenförmigen Parasiten ist erstaunlich: Nur in Katzen
kann er sich vermehren. Die Toxoplasma-Eier allerdings, die Oocysten,
benötigen zur Reifung einen Zwischenwirt. Dabei sind sie nicht wählerisch.
Als Kindergarten ist ihnen die Maus so lieb wie der Mensch. Einmal
aufgenommen, breiten sie sich in dessen Körper aus. Das führt zu
erstaunlichen Effekten. Mit Toxoplasma infizierte Ratten etwa verlieren
ihre natürliche Scheu vor – Katzen. Katzenurin, der sie sonst umgehend in
Panik versetzt, finden sie plötzlich höchst attraktiv.
## Manipulierende Parasiten
Ganz offensichtlich manipulieren die Parasiten also ihre Träger, um wieder
zurück in die Katze zu kommen, die sie zur Vollendung ihres Lebenszyklus
zwingend benötigen. Welche Auswirkungen Toxoplasma auf die menschliche
Psyche hat und wie die Mechanismen exakt ablaufen, ist noch
Forschungsgegenstand. Klar ist: Wer mit Toxoplasmose infiziert wurde, hat
ein deutlich erhöhtes Risiko, an schweren Depressionen oder Schizophrenie
zu erkranken; die Selbstmordrate steigt signifikant an.
Gegen die Toxoplasmose-Gefahr ist derzeit kaum etwas zu machen. Etwa die
Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung infiziert sich im Lauf des Lebens,
weil Katzen so allgegenwärtig sind. Das Einzige, was helfen würde, die
Krankheit einzudämmen: Katzen aus dem öffentlichen Raum verbannen.
Ausschließlich in Wohnungen gehaltene Katzen erkranken nicht an
Toxoplasmose. Entgegen der Einschätzung vieler Tierfreunde sind dauerhaft
innen gehaltene Katzen gesünder und haben eine deutlich höhere
Lebenserwartung als Kollegen mit Freigang. Ganz verwildert lebende Katzen
leiden sogar erheblich an Mangelernährung, Krankheiten sowie
Auseinandersetzungen mit Artgenossen, Hunden und Autos. Das romantische
Dasein im Freien – für Katzen ist es ein Hundeleben.
Deshalb wäre es dringend erforderlich, verwilderte Katzenbestände zu
beseitigen. In dieser Zielsetzung sind sich Biologen sogar einig mit
Tierschützern, die das Problem der Katzenüberbevölkerung ebenfalls nur zu
gut kennen. Aber wie vorgehen? Viele Tierschützer schwören auf
Sterilisationsprogramme. Häufig werden dabei die Katzen eingefangen,
unfruchtbar gemacht, geimpft und dann wieder laufen gelassen, weil es keine
ausreichenden Unterbringungskapazitäten bei Privathaltern und in Tierheimen
gibt.
## Vergiftete Köder
Leider funktioniert das nicht, wie verschiedene Studien und die
Alltagserfahrung zeigen. Um eine verwilderte Katzenkolonie tatsächlich zum
Aussterben zu bringen, müssten über 95 Prozent der Tiere sterilisiert
werden. In der Praxis ist das praktisch unmöglich. Um wirkliche Erfolge zu
erzielen, müssten Katzen, die nicht vermittelt werden können, euthanasiert
werden. In Australien packt man es an: Seit zwei Jahren werden dort
vergiftete Köder verteilt, die ausschließlich die „cuddly killer“ töten.
Angesichts des Aufschreis, der bei uns laut wird, sobald jemand auch nur
eine Katze schief anguckt, ist eine solche Lösung hierzulande derzeit kaum
realisierbar. Stattdessen drängen Tierschützer hier dazu, Abschussverbote
für jenseits von Siedlungen streunende Katzen durchzusetzen. Die Wildvögel,
Mäuse und Reptilien, die deswegen dran glauben müssen, werden sich
bedanken.
Viel wäre schon geholfen, wenn Katzenhalter nicht verantwortungslos handeln
und ihre Mimis und Miezen ständig nach draußen lassen würden. Aber, wie
Marra und Santella resignierend festhalten: „Viele werden auch zukünftig
jede Erkenntnis zurückweisen, dass Katzen eine Gefahr für die Ökologie und
die öffentliche Gesundheit darstellen, vollkommen gleichgültig, welche
Beweise vorgelegt werden.“
Sie sehen darin den „fehlenden Willen oder die Unfähigkeit,
wissenschaftliche Ergebnisse anzuerkennen, besonders wenn sie den eigenen
Vorstellungen widersprechen.“ Die Katzenliebhaber verhalten sich da nicht
anders als Klimaskeptiker oder Impfgegner. Die Leidtragenden dieser
Ignoranz sind meistens andere: zu Tode gequälte Vögel, für immer
ausgerottete Arten, an Toxoplasmose erkrankte Kinder – und nicht zuletzt
die Katzen selbst.
4 Jan 2017
## AUTOREN
Heiko Werning
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