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# taz.de -- Neugestaltung der Jagdgesetze: Anachronistische Privilegien
> Naturschutzverbände fordern neue Regeln für die Jagd. Die Jäger hingegen
> pochen auf ihre Jagdrechte. Hier die Position eines Naturschützers.
Bild: Den Jägern gehen die neuen Jagdgesetze zu weit.
In Deutschland gibt es gut 360.000 Inhaber eines Jagdscheins, das sind
gerade mal 0,44 Prozent der Bevölkerung. Dennoch ist ihr Einfluss auf
Politik und Verwaltung erstaunlich groß. Dies ist aktuell an der Reform der
Landesjagdgesetze in Bundesländern wie Baden-Württemberg,
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu beobachten. Obwohl die Länder
lediglich von ihrer Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen, die sie auf
Grund der Föderalismusreform seit 2006 besitzen, sind die Debatten zu
diesen Prozessen gekennzeichnet durch eine hohe Emotionalität.
Nach dem Bundesjagdgesetz hat die Jagd vor allem eine dienende Funktion.
Ziel ist die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen
Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die
Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen, also der Erhalt und die
Verbesserung der Lebensräume für Wildtiere. Gleichzeitig soll eine
Beeinträchtigung der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft durch
Wildschäden vermieden werden.
Dies sind unterstützenswerte Ziele, doch wie sieht es mit deren Umsetzung
aus? Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung Zahlen zur Lage der
Natur veröffentlicht. Ergebnis: Insgesamt 60 Prozent der untersuchten Tier-
und Pflanzenarten und 70 Prozent der Lebensräume befinden sich in einem
schlechten oder unzureichenden Erhaltungszustand. Durch fehlende Nahrung
und Deckung verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die meisten
Tierarten – darunter auch viele Arten, die für die Jäger von Interesse
sind.
Es gibt in Deutschland keine bundesweit einheitliche Erhebung von
Wildschäden, weder auf dem Feld noch im Wald, zudem fehlt eine
Zusammenführung der Daten. Deshalb kann nicht festgestellt werden, ob durch
die Bejagung einzelner schadensrelevanter Tierarten wie Reh, Wildschwein,
Rot- und Damhirsch die Wildschäden zu- oder abnehmen. Für ein ernst zu
nehmendes Wildtiermanagement sind jedoch konkrete Schadensdaten
unerlässlich.
Die Notwendigkeit der Jagd wird oft damit begründet, dass die fehlenden
Großraubtiere wie Wolf, Luchs und Bär zur Regulation der Wildtiere
notwendig sind. Doch können mit Hilfe der Jagd tatsächlich Wildtierbestände
reguliert werden? Die Entwicklung der Abschusszahlen einiger Tierarten der
letzten Jahrzehnte belegt, dass dies nicht möglich ist. So wurden in den
1930er Jahren in Deutschland ca. 40.000 Wildschweine, 650.000 Rehe, fast 2
Millionen Rebhühner erlegt und der in Nordamerika heimische Waschbär wurde
zu dieser Zeit in Nordhessen ausgesetzt. Heute werden jährlich gut 600.000
Wildschweine, 1,2 Millionen Rehe und über 100.000 Waschbären, aber gerade
mal 4.000 Rebhühner erlegt.
## Bejagung hat kaum Einfluss
Obwohl all diese Tierarten bejagt werden, entwickeln sich deren Bestände
demnach extrem unterschiedlich. Während Rehe und Wildschweine von der
intensiven Landwirtschaft durch einen großflächigen Anbau von
energiereichen Pflanzen profitieren, gehen andere Arten wie Rebhuhn und
Feldhase stark zurück. Der Waschbär hingegen findet in weiten Teilen
Deutschlands gute Lebensbedingungen und breitet sich trotz Bejagung aus.
Dies zeigt deutlich, dass die Bejagung von Wildtieren kaum einen Einfluss
auf deren Populationsentwicklung hat.
Der Deutsche Jagdverband und die Landesjagdverbände sind wie der Nabu
anerkannte Naturschutzverbände. Doch die politischen Debatten zur Reform
der Landesjagdgesetze machen die Unterschiede zwischen den Verbänden
besonders deutlich. Während der Nabu erheblichen Reformbedarf an den seit
gut 60 Jahre nahezu unveränderten Jagdgesetzen sieht, sträuben sich die
Jagdverbände gegen jegliche Veränderung.
Ein Knackpunkt ist die Liste der jagdbaren Arten: Dem Bundesjagdgesetz
unterliegen heute 145 Arten, davon ist fast jede dritte Art wie Habicht,
Knäkente, Luchs und Wildkatze nach nationalen und europäischen
Naturschutzgesetzen streng geschützt. Der Nabu bekennt sich zu einer
naturverträglichen Jagd als einer Form der Landnutzung, wenn sie den
Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht und ethischen Normen nicht
widerspricht. Nach dieser Systematik können in Deutschland derzeit 12 Arten
gejagt werden. Dazu zählen Rehe, Wildschweine, Rothirsche und Stockenten.
Der Nabu tritt daher dafür ein, dass die Liste der jagdbaren Arten auf
diese Tierarten eingeschränkt wird. Die Jagdverbände hingegen wollen noch
mehr Tierarten ins Jagdrecht aufnehmen, darunter geschützte Arten wie Wolf,
Kormoran und die verschiedenen Rabenvögel, die nur in einigen Bundesländern
derzeit im Jagdrecht sind.
## Jagdzeiten einschränken
Ein weiterer Streitpunkt sind die Jagdzeiten. Füchse, Waschbären,
Wildkaninchen und Wildschweine dürfen in vielen Bundesländern ganzjährig
bejagt werden. Eine Zeit ganz ohne Jagd gibt es bisher in keinem
Bundesland. Dies wäre aber gerade in den kalten und nahrungsarmen Monaten
im Winter und zu den Aufzuchtszeiten notwendig. Wir fordern eine
Vereinheitlichung der Jagdzeiten auf die Monate September bis Dezember.
Doch die Jagdverbände wollen an den bisherigen Jagdzeiten festhalten und
beschwören Wildschweinplagen und die Ausbreitung von Seuchen herauf, wenn
Füchse und Wildschweine im Winter nicht mehr bejagt werden können. Die
Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt allerdings, dass die derzeitige
Form der Jagd die Wildschweinbestände weder begrenzt noch reduziert hat.
Die zunehmenden Probleme mit den Wildschweinen müssen in Zusammenarbeit mit
den Landwirten gelöst werden. Vor allem die Ausweitung des Maisanbaus zur
Energiegewinnung hat zu wachsenden Wildschweinpopulationen geführt. Eine
Reduzierung der Maisflächen und mehr Vielfalt auch auf den
landwirtschaftlich genutzten Flächen könnten mit dazu beitragen, die
Belastungen durch Wildschweine zu mildern.
Sollte zum Schutz von seltenen Arten auch die Jagd von Raubtieren wie
Marderhund, Mink oder Waschbär erwogen werden, dann muss auf jeden Fall das
Wildtiermanagement dem Naturschutzrecht unterliegen.
## Blei und Fallen müssen weg
Viele weitere Punkte, die auch zu den Forderungen des Nabu gehören, werden
bei den Überarbeitungen der Jagdgesetze kontrovers diskutiert: Verbot von
bleihaltiger Munition, Fütterungsverbot von Wildtieren, kein Abschuss mehr
von Hunden und Katzen, das Verbot der Bau- und Fallenjagd, Regelungen für
die Laufzeit von Pachtverträgen sowie die Etablierung eines
Wildtiermanagementsystems mit entsprechender wissenschaftlicher Begleitung.
Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, verweigern sich die Jäger selbst
aufwendig ausgehandelten Kompromissen, wie es aktuell gerade in
Baden-Württemberg passiert.
„Unabdingbare Voraussetzung für die Erreichung der nationalen und
europäischen Naturschutzziele ist es daher, dass Naturschutz noch stärker
als bisher als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und gelebt wird“,
so ein Fazit der Bundesregierung im Bericht zur Lage der Natur. Es ist mehr
als fragwürdig, ob die organisierte Jägerschaft als anerkannter
Naturschutzverband die gesamtgesellschaftlichen Ziele des Naturschutzes
unterstützt. Die irrationalen Debatten der letzten Monate machen einmal
mehr deutlich, dass es den Jägern vorrangig um die Verteidigung ihrer teils
anachronistischen Privilegien geht.
26 Jul 2014
## AUTOREN
Stefan Adler
## TAGS
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