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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Zacken aus der Krone der Schöpfung
> Wir leben nun im „Anthropozän“. Dabei sind Menschen nur Eintagsfliegen,
> die den Planeten so abrocken, dass sein Weiterbetrieb fraglich ist.
Bild: Wer ist wohl die Krone der Schöpfung?
Der Film hat alles, was eine gute Hollywood-Geschichte so braucht: Teenager
auf Abwegen, eine rührselige Familiengeschichte, ein bisschen Liebe und vor
allem computeranimierte Monster. Wir saßen mit unseren Kindern vor
„Jurassic World“ und sahen zu, wie ein Kapitalist schmierig-gierig für
seinen Dino-Zoo extra wilde Urviecher aus dem Reagenzglas zaubert, die dann
selbstverständlich außer Kontrolle geraten.
Für die Flugsaurier, Riesenkrokodile, T-Rexe und Schlimmeres sind die
Zoobesucher dann nur noch Essen auf zwei Beinen. Als die Superechsen
losschlagen, sind die taffen Tierwärter, die Polizisten und die Muttis,
Papis und Kinderlein nur noch panische, schreiende Opfer.
So sehen wir uns gern: Wenn die Natur zu(rück)schlägt, werden aus stolzen
Eroberern ganz schnell bibbernde Menschenkinder. Natürlich ist es
andersherum: Der Mensch schlägt zu, die Natur hängt in den Seilen. Seit
dieser Woche ist das nun auch offiziell: Die zuständige Arbeitsgruppe des
Internationalen Geologenkongresses erklärte auf ihrer Sitzung in Kapstadt,
wir lebten jetzt im „Anthropozän“.
Das „Menschheitszeitalter“ wird so genannt, weil Homo sapiens sapiens
inzwischen zu einer prägenden geologischen Kraft geworden ist: Wir ändern
die Temperatur und die chemische Zusammensetzung von Meeren und Atmosphäre,
wir kippen die Kreisläufe von Phosphor und Stickstoff, wir rotten Tiere und
Pflanzen schneller aus als jeder Meteorit. Und wir „reichern“ die Umwelt
mit Plastik, Aluminium und Radioaktivität an, die noch lange nach unserem
Verfallsdatum an uns erinnern werden.
Das ist schon mal ein Erdzeitalter wert. Aber das „Anthropozän“ sagt
tatsächlich noch mehr aus als das ewige Jammern darüber, dass wir den Ast
absägen, auf dem wir sitzen – weil unsere Vorfahren das schon ahnten, haben
sie ja damals die Bäume verlassen. „Menschenszeit“ heißt tatsächlich, da…
wir im Sediment des Planeten unsere Spuren hinterlassen, die die kleinen
grünen Männchen von Alpha Zentauri in ein paar Millionen Jahren bei
Probebohrungen finden werden: Flugasche, die sich ablagert, Radionukleide
aus den Atomtests, Alufetzen und Mikroplastik. Unsere Visitenkarte: „I was
here – and ruined the place“.
## Der Begriff „Anthropozän“ zeugt von gewaltiger Hybris
Der Begriff „Anthropozän“ mag geologisch logisch sein, er zeugt aber auch
von gewaltiger Hybris. Denn das Menschenzeitalter dauert – noch diskutieren
die Wissenschaftler – erst ein paar hundert Jahre, vielleicht auch erst
seit 1850. Für ein Erdzeitalter eigentlich kein Alter. Schon das Holozän,
die aktuelle Periode, ist mit 12.000 Jahren eine Art Frischling.
Andere Perioden wie Karbon, Jura oder Kreidezeit dauerten gern mal so 60
bis 70 Millionen Jahre. Auch die vielbelachten Dinosaurier (kleines Hirn,
großer Schwanz – hihihi!) stampften 170 Millionen Jahre durch den
Schachtelhalmwald. Um das trotz großem Hirn und kleinem Schwanz
nachzumachen, brauchen wir noch ein bisschen Nachhilfe in Nachhaltigkeit.
Aber faszinierend sind wir schon. Wenn die gesamte Lebensdauer des Planeten
ein Tag wäre, erschienen wir (also eine Urform von uns, die mehr an einen
Schimpansen als an Horst Schimanski erinnert) in den letzten vier Sekunden.
Und in dieser Zeit, in der der Weltgeist einmal ein- und einmal ausatmet,
haben wir die Pyramiden gebaut, die „Odyssee“ geschrieben, das
Spannbettlaken erfunden und eine Sonde zum Pluto geschickt.
Und unseren Planeten so abgerockt, dass sein Weiterbetrieb fraglich ist und
nicht mal mehr der Papst uns als „Krone der Schöpfung“ titulieren will. Was
für ein unfassbar kreatives, umtriebiges, aggressives und großartiges Wesen
dieser Homo sapiens doch ist. Deshalb unterstütze ich auch die Idee, die
Zeitrechnung für das Anthropozän mit den ersten Atombomben 1945 beginnen zu
lassen. Wir haben einfach einen unglaublichen Knall.
4 Sep 2016
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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