| # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Gewissen in teurem Alkohol eingelegt | |
| > Ein grünes Paradies mit E-Autos und einem Herz für den Regenwald – leider | |
| > befeuert von zu billigem und zu teurem Öl. Von wegen Norwegen. | |
| Bild: Lysefjord im Süden Norwegens | |
| Bssssssss. Es summt schon wieder. Keine Mücken. Von denen gibt es in diesem | |
| skandinavischen Sommer erstaunlich wenige. Was da sanft säuselnd im Stau | |
| vor Oslo rechts auf der Busspur an uns vorbeizieht, ist keine stachelige | |
| Nervensäge, sondern eine E-Kiste mit ganz schön hohem Neidfaktor. | |
| Jedenfalls für den Lenker eines ungewaschenen, stinkenden Diesel-Zafira mit | |
| mörderischem Stickoxidausstoß. Ich blicke auf einen an uns vorbeiwuschenden | |
| weißen Tesla. | |
| Ein Urlaub in Norwegen, ganz ohne Hintergedanken, aber plötzlich mit der | |
| Frage: Ist das hier das grüne Paradies? Kann man der Rettung der Welt näher | |
| kommen als bei Menschen, die reich genug sind, sich von morgens bis abends | |
| ökologisch korrekt zu verhalten? | |
| Zum Beispiel die Elektroautos. Schon in Kopenhagen waren die Renaults, BMWs | |
| und Teslas mit Stromantrieb so gegenwärtig wie in Berlin die Hundeköttel. | |
| In Oslo gibt es noch mehr Stromer und Aufladestationen, selbst vor dem | |
| Provinzsupermarkt parkt ein Tesla. Offenbar geben viele Norweger lieber mit | |
| der E- statt mit der A-, B- oder C-Klasse an. | |
| Auch sonst taucht das Land der Fjorde in Öko-Rankings regelmäßig ganz vorn | |
| auf: Die Norweger verprassen irrsinnig viel Geld, um Regenwälder in der | |
| ganzen Welt zu schützen. Ihre einstige Regierungschefin Gro Harlem | |
| Brundtland hat 1987 die erste gute Definition von „Nachhaltigkeit“ | |
| gefunden. Heute schicken sie ihren Exminister Erik Solheim als Chef der | |
| UN-Umweltorganisation nach Nairobi und liefern der Energiewende ihren | |
| Ökostrom, wenn in Dunkeldeutschland die Sonne nicht scheint. Die | |
| Stromversorgung? 100 Prozent öko, auch bei unserem Besuch fällt die | |
| Wasserkraft immer und überall vom Himmel. Schwenken Sie bei einer | |
| Umweltkonferenz die rote Fahne mit dem blauweißen Kreuz – jeder spendiert | |
| Ihnen ein Bier! | |
| ## Kapital aus dreckigen Geschäften | |
| Auf gut Norwegisch: Øl. So nennen die Nordlichter ihr Bier, um das | |
| schlechte Gewissen in teuren Alkohol einzulegen. Denn woher kommt das Geld | |
| für den Klimaschutz zu Hause, die Rettung des Amazonas und die Subventionen | |
| für die E-Mobile? | |
| Genau: aus dem Gas und Öl, das der Staatskonzern Statoil ausbeutet und das | |
| aus fünf Millionen bitterarmen Fischern die Ölscheichs Europas gemacht hat. | |
| Der Staat hat aus dem dreckigen Geschäft über 700 Milliarden Euro auf der | |
| hohen Kante, um seine sozialökologischen Blütenträume zu finanzieren. Jetzt | |
| debattiert das Land, ob es die Öl- und Gasmilliarden in seinem Staatsfonds | |
| nicht besser aus der Kohle abzieht – eine Schizophrenie, ähnlich groß wie | |
| die Braunkohleförderung beim Energiewendestreber Deutschland. | |
| Ist Norwegen etwa doch nicht der Heilige Gral der Gutgrünen in | |
| Gummistiefeln? Plötzlich fällt mir auf, dass hier nie jemand das Licht | |
| ausschaltet! Dass es an der Supermarktkasse Plastiktüten umsonst gibt! Und | |
| dann war da noch dieses Restaurant, das mit Hvalkjøtt-Middag also | |
| Walfleisch, warb. Voller Zweifel betrete ich die öffentliche Bibliothek im | |
| Provinznest Gran. Hier können wir alles kostenlos tun, was wir zum | |
| Überleben brauchen: uns aufwärmen, deutsche oder englische Bücher | |
| ausleihen, Tee trinken, auf die Toilette gehen oder im Internet surfen. | |
| Am Zeitschriftenstand erwarten mich zwei Überraschungen. Erstens: Eine der | |
| besten Tageszeitungen des Landes heißt Der Klassenkampf. Zweitens: In der | |
| norwegischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique findet sich ein zweiseitiger | |
| Artikel zum Freihandel mit Umweltgütern: „Grønnvasket frihandel“. Autor: | |
| Bernhard Pötter. Es ist ein kleiner Schock, sich selbst in einer Sprache zu | |
| lesen, die man weder spricht noch schreibt. Irgendjemand muss meinen Text | |
| übersetzt haben. | |
| Vergessen Sie meine Bemerkungen über das Öl. Norwegen ist ein tolles, ein | |
| wirklich fantastisches Land. | |
| 12 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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