# taz.de -- Ditib-Koordinator über deutsche Kritik: „Hysterisch und irration… | |
> Ist der türkische Moscheenverband Ditib das Sprachrohr der | |
> Erdoğan-Regierung? Fragen an den Koordinator Murat Kayman. | |
Bild: Islam-Unterricht in Deutschland 2010 – noch heute ein heikles Thema | |
taz.am wochenende: Herr Kayman, die deutsche Politik geht zu Ihrem Verband, | |
der türkisch-muslimischen Religionsgemeinschaft Ditib, auf Distanz. | |
Verstehen Sie das? | |
Murat Kayman: Mich erstaunt das, denn an unserer praktischen Arbeit hat | |
sich nichts geändert. Das ist unfair und unangemessen. | |
Ditib wird nachgesagt, der verlängerte Arm des türkischen Präsident Erdoğ | |
an zu sein. Ist das falsch? | |
Man muss uns daran messen, was wir für eine Arbeit in Deutschland leisten | |
und ob diese Anknüpfungspunkte für eine solche Unterstellung bietet. Ich | |
meine, das tut sie nicht. | |
Nach dem Putschversuch in der Türkei hat Ditib nicht das beste Bild | |
abgegeben. Da gab es zum einen die stark politisierte Freitagspredigt, zum | |
anderen in manchen Moscheen Anfeindungen gegen angebliche | |
„Vaterlandsverräter“. Wie gehen Sie damit um? | |
Eine Woche nach dem Putschversuch war die Gemeinde sehr aufgewühlt, das | |
musste man in der Freitagspredigt aufgreifen – und zwar in einer Art und | |
Weise, die signalisiert: Wir können eure Empörung und eure Betroffenheit | |
nachvollziehen. Wenn man sich alle Predigten des gesamten letzten Jahres | |
anschaut, dann kann von einer Politisierung nicht die Rede sein. | |
Es gibt den Vorwurf: Ditib habe nicht genug getan, um die Wogen zu glätten. | |
Wir haben in allen Gemeinden zur Mäßigung und Besonnenheit aufgerufen und | |
deutlich gemacht: Niemand darf aus den Moscheen ausgeschlossen werden, die | |
Moscheen sind nicht der Ort für politischen Meinungsstreit. Dort, wo es | |
Grenzüberschreitungen gab, haben wir sofort interveniert. Daran sollte man | |
uns messen und nicht, wenn in einer von 900 Gemeinden mal etwas | |
schiefläuft. | |
Ditib steht für „türkische-islamische Union der Anstalt für Religion“ und | |
untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Ihre | |
Abhängigkeit vom türkischen Staat ist doch nicht zu leugnen, oder? | |
Unsere Gemeinden sind unabhängige Vereine nach deutschem Recht. In den | |
Aufsichtsräten und religiösen Beiräten unseres Verbandes, und nur dort, | |
sitzen auch Vertreter der türkischen Religionsbehörde – und zwar als | |
Theologen. Diese Kompetenz ist uns wichtig. Und in religiösen Fragen gibt | |
es natürlich eine Bindung an die türkische Religionsbehörde. Denn das ist | |
unsere theologische und spirituelle Quelle, mit einer jahrhundertealten | |
Tradition, und die ist nun einmal in der Türkei behördlich organisiert. | |
Darüber hinaus sehe ich keine Abhängigkeit, Kontrolle oder Einflussnahme. | |
Wirklich? Der Ditib-Vorsitzende wird aus Ankara entsandt und ist zugleich | |
türkischer Botschaftsrat. | |
Man muss für dieses Amt eine hohe theologische Kompetenz und Autorität | |
mitbringen. Aber der Ditib-Vorsitzende wird nicht per ordre de mufti aus | |
der Türkei entsandt, sondern muss erst mal von der Mitgliederversammlung | |
des Bundesverbandes gewählt werden, die sich zum großen Teil auch aus den | |
Landesverbänden und damit den Mitgliedsgemeinden zusammensetzt. | |
Niedersachsen setzt die Verhandlungen über einen Staatsvertrag mit den | |
islamischen Verbänden aus, und Nordrhein-Westfalen rückt von Ihrem Wunsch, | |
als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, ab. Worauf führen Sie den | |
Kurswechsel zurück? | |
Insbesondere im CDU-Lager gibt es die Befürchtung, die Wählerschaft könnte | |
sich der AfD zuwenden, und von dieser Angst lassen sich auch die anderen | |
Parteien anstecken. Also signalisiert man: Auch wir greifen hart gegen | |
Muslime durch. Doch indem man solche rechtspopulistischen Narrative | |
kopiert, holt man sie in die Mitte der Gesellschaft. | |
Insbesondere der islamische Religionsunterricht ist umstritten: Von allen | |
Parteien heißt es jetzt: Wer Ditib einbindet, lässt Erdogan ins | |
Klassenzimmer. Rheinland-Pfalz hat die Verhandlungen mit Ditib deshalb auf | |
Eis gelegt. | |
Überall dort, wo Ditib bereits am Religionsunterricht beteiligt ist – zum | |
Beispiel in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen –, läuft das | |
rechtlich genau so, wie er unserer Verfassung entspricht. Die religiösen | |
Inhalte müssen mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften | |
übereinstimmen. Der Unterricht im Klassenzimmer aber obliegt der Aufsicht | |
der zuständigen Fachministerien und wird von Lehrern und Lehrerinnen | |
erteilt, die Beamte oderAngestellte dieser Länder sind. Und denen | |
unterstellt man jetzt, sie seien nicht ihrem Dienstherrn gegenüber loyal, | |
sondern einer ausländischen Macht und Herrn Erdoğan? Das ist ein Beispiel | |
dafür, wie hysterisch und irrational die Debatte geführt wird. | |
Die 900 Imame, die in den Ditib-Moscheen predigen, werden von der | |
türkischen Religionsbehörde Diyanet nach Deutschland entsandt. Wäre es | |
nicht besser, sie kämen von hier und würden die hiesige Kultur besser | |
kennen? | |
Die Gemeinden brauchen einen Imam, der ein theologisches Studium absolviert | |
hat und die Glaubenstraditionen dieser Gemeinde pflegen kann, und er muss | |
generationsübergreifend Akzeptanz finden. Dieses Modell hat seine Wurzeln | |
in den 1980er Jahren, und man muss sich in der Tat Gedanken machen, wie man | |
es an die sich wandelnden Bedürfnisse der Gemeinden anpassen kann. Ich sehe | |
aber momentan keine Alternative zu den Imamen aus der Türkei. | |
Auch jüngere Mitglieder Ihrer Moscheegemeinden wünschen sich Imame, die | |
zumindest der deutschen Sprache mächtig sind. | |
Darauf haben wir reagiert. Seit etwa zehn Jahren gibt es ein | |
Ausbildungsgprogramm für junge Abiturienten aus Deutschland, die für ein | |
theologisches Studium in die Türkei gehen, um später als Absolventen in | |
ihren Heimatgemeinden in die Rolle eines Imams hinein zu wachsen. | |
An mehreren deutschen Universitäten wurden Studiengänge für islamische | |
Theologie eingeführt. Könnten von dort die Imame von morgen kommen? | |
Dort werden keine Imame ausgebildet, sondern Theologen oder Theologinnen. | |
Das ist auch gut so. Das bedeutet aber auch, dass diese Absolventen durch | |
die Religionsgemeinschaften für die konkreten gemeindlichen Aufgaben | |
weiter ausgebildet werden müssen. Unser Grundgesetz sagt ganz klar: | |
Religionsgemeinschaften verleihen ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates. | |
Sie allein entscheiden, wer tauglich ist und wer sich für ihre religiösen | |
Dienste eignet. Die Finanzierung ist ein weiterer Faktor, der für unsere | |
Gemeinden wichtig ist. Wer hier kein seriöses Alternativmodell anbieten | |
kann, sollte sich mit Forderungen zurückhalten. | |
Ditib selbst sagt, man strebe langfristig eine finanzielle Unabhängigkeit | |
von der Türkei an. Wäre eine Moschee-Steuer eine Alternative? | |
Unsere Gemeinden sind nicht wirtschaftsstark. Die erste Generation der | |
Gastarbeiter hat nicht über große Einkünfte verfügt und in den | |
Folgegenerationen liegt die Arbeitslosigkeit über dem Bundes-Durchschnitt. | |
Und um das Besteuerungsrecht zu erhalten, muss man auch den Status einer | |
öffentlich-rechtlichen Körperschaft haben, also Religionsgemeinschaft sein. | |
Den Vorschlag, eine Moscheesteuer zu erheben, höre ich oft von den gleichen | |
Leuten, die uns absprechen, richtige Religionsgemeinschaften zu sein. Das | |
schließt sich aber gegenseitig aus. | |
In Österreich hat man die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland | |
untersagt und Ditib-Imame nach Hause geschickt. Wie funktioniert es da | |
jetzt? | |
Das österreichische Islamgesetz, das hier manchem als Vorbild vorschwebt, | |
wurde vom Kultusministerium durchgeboxt und man hat einige Imame | |
öffentlichkeitswirksam in die Türkei zurück geschickt um zu zeigen: Jetzt | |
greifen wir durch. Gleichzeitig bemüht sich das Ministerium jetzt, die | |
gleichen Imame über Umwege doch wieder nach Österreich zu holen, weil es | |
sieht: ohne sie geht es nicht. Also sollen die Imame zunächst in andere | |
europäische Länder gehen, bevor sie nach Österreich kommen, damit man dort | |
sagen kann: der Imam kommt nicht aus der Türkei, sondern zum Beispiel aus | |
Frankreich oder den Niederlanden. Das ist doch absurd. | |
Der Grüne Volker Beck meint, die islamischen Verbände müssten sich komplett | |
neu aufstellen und politische oder nationale Merkmale ablegen, um als | |
Religionsgemeinschaften anerkannt zu werden. Ditib als | |
türkisch-sunnitischer Verband erfülle dieses Kriterium nicht. | |
Die Rechtslage ist da eindeutig: Der Staat darf den Gläubigen nicht | |
vorschreiben, ob sie sich in einer oder mehreren Religionsgemeinschaften | |
organisieren, selbst wenn Lehre oder Praxis absolut identisch sind. Die | |
islamische Glaubenslandschaft ist so vielfältig, dass es natürlich auch | |
kulturelle, regionale und sprachliche Unterschiede in der Tradition gibt. | |
Eine mehrheitlich türkeistämmige Gemeinde wird möglicherweise andere Feste | |
haben oder eine andere Art, sie zu begehen, als eine nicht-türkische, und | |
in manchen theologischen Fragen auch andere Ansichten. All das muss man | |
respektieren. | |
Hätte es nicht Vorteile, wenn die Muslime mit einer Stimme sprechen würden? | |
In Sachfragen lässt sich oft schnell Einigkeit erzielen. Beim islamischen | |
Religionsunterricht zum Beispiel haben sich alle sunnitischen | |
Religionsgemeinschaften darauf geeinigt, dass sie die gleiche Lehre | |
vertreten sehen wollen, und an einem Strang gezogen, teilweise auch unter | |
Einbindung der schiitischen Glaubensrichtung. Ob aber eine organisatorische | |
Einheit sinnvoll ist, das müssen die Religionsgemeinschaften für sich | |
selbst beantworten. | |
Was spricht dagegen? | |
Mich stört, dass all diese Vorhaltungen nur muslimischen Gemeinden gemacht | |
werden. Die große Heterogenität etwa der christlichen Kirchen und Gemeinden | |
wird ausgeblendet. Es gibt schließlich auch eine russisch-orthodoxe Kirche, | |
die syrisch-orthodoxen Christen und viele andere, die einen eigenen Status | |
besitzen. | |
Nicht nur Ditib, auch [1][Sie selbst stehen in der Kritik. In FAZ und | |
Focus] warf Ihnen ein Islamwissenschaftler aus Freiburg jetzt sogar vor, | |
verklausuliert zum Mord an ihm aufgerufen zu haben. Was sagen Sie dazu? | |
Das ist ein Lehrstück für die Methoden mancher Islamkritiker. Man versucht, | |
alle etablierten islamischen Religionsgemeinschaften als gefährlich, | |
gewaltaffin, radikal und extremistisch darzustellen, mit absolut unbelegten | |
Behauptungen, und das macht man auch mit Einzelpersonen wie mir. Damit will | |
man die Sachkritik in den Hintergrund drängen und mich mundtot machen. | |
Er sagt, Sie hätten ihn als Ibaditen und damit womöglich als Abtrünnigen | |
bezeichnet, was ihn in Gefahr brächte. | |
Ich habe vermutet, er könne Ibadit sein, um mir seinen Hass auf Sunniten | |
und islamische Verbände zu erklären. Nichts anderes habe ich bezweckt. Ein | |
Islamwissenschaftler sollte wissen, dass in der Tradition, in der Ditib | |
steht, niemand für abtrünnig erklärt wird, dass wir eine solche Praxis | |
vollkommen ablehnen und Ibaditen auch nicht als außerhalb des islamischen | |
Glaubens stehend betrachten. Deshalb erhebt er seinen Vorwurf gegen mich | |
wider besseren Wissens. | |
Wie reagieren Sie auf seinen Vorwurf? | |
Ich habe signalisiert, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten, wenn | |
der Vorwurf zurückgezogen wird und eine öffentliche Entschuldigung folgt. | |
Das ist bislang nicht passiert. Deswegen prüft jetzt das zuständige | |
Wissenschaftsministerium in Stuttgart meine Beschwerde, ob dieses Gebaren | |
eines Hochschullehrers dienstrechtlich in Ordnung ist. Wichtiger ist mir | |
aber, dass es zu einer gesellschaftlichen Diskussion kommt, wie legitim | |
solche Methoden im Meinungsstreit sind. Denn das ist versuchter Rufmord. | |
27 Aug 2016 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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