# taz.de -- Unfallgefahren in Afrika: Die tödlichste Straße der Welt | |
> In Uganda sterben mehr Menschen im Straßenverkehr als an Malaria und | |
> Aids. Unterwegs mit einer Polizistin zwischen Kampala und Masaka. | |
Bild: Polizeikontrolle auf der Straße Kampala-Masaka | |
KAMPALA taz | „STOP – Polizeikontrolle!“, steht auf dem knallroten Schild | |
mitten auf der dreispurigen Fahrbahn. Dahinter liegt ein Nagelbrett. Mit | |
einer Handbewegung signalisiert Verkehrspolizistin Edith Nanteza dem | |
Kleinwagenfahrer, stehen zu bleiben. „Führerschein und Fahrzeugpapiere | |
bitte“, sagt sie bestimmt. Der zögert: „Ich muss Ihnen das erklären“, | |
stammelt er. Nanteza winkt ab, Ausreden lässt sie nicht gelten. „Keinen | |
Führerschein? Dann bitte aussteigen, Sie sind verhaftet!“ | |
Auf der Rückbank des Autos zanken Kinder. Die Frau des Fahrers auf dem | |
Beifahrersitz stillt ihr Baby. „Ich habe alle Papier in der Eile zu Hause | |
vergessen“, stammelt er, „mein Onkel ist überraschend gestorben, wir sind | |
auf dem Weg zu Beerdigung.“ | |
Aber die Polizistin bleibt eisern und winkt einen Kollegen herbei. Wortlos | |
setzt er sich auf den Fahrersitz und fährt das Fahrzeug samt Familie zum | |
örtlichen Gerichtsgebäude neben der Polizeistation. Dort wird der Vater | |
angeklagt und in eine Zelle gesperrt. Und Edith Nanteza holt ihr Handy | |
heraus, um ihrer Vorgesetzten in der Hauptstadt Kampala die Festnahme zu | |
melden. | |
Seit Anfang August ist Ugandas Verkehrspolizei landesweit im Dauereinsatz. | |
Die Kontrollen auf den Straßen wurden verstärkt, mit einer | |
Nulltoleranzpolitik will die Polizei Falschfahrer aus dem Verkehr ziehen. | |
Die Operation heißt Fiika Salama – „Gutes Ankommen!“ Seitdem fährt Nant… | |
in ihrem Streckenabschnitt entlang der Überlandstraße | |
Zwölf-bis-sechzehn-Stunden-Schichten. Tag und Nacht kontrolliert sie jedes | |
einzelne Fahrzeug, das vorbeikommt. „Ich bin quasi mit dieser Straße | |
verheiratet“, sagt sie. | |
## Verkehrsanzeigen im Minutentakt | |
Der Streckenabschnitt im Landkreis Mpigi, für den sie zuständig ist, ist | |
Teil der derzeit gefährlichsten Straße der Welt. Mehr als 200 Menschen | |
verloren allein im ersten Halbjahr 2016 zwischen Ugandas Hauptstadt Kampala | |
und der 130 Kilometer südwestlich gelegenen Kleinstadt Masaka ihr Leben. So | |
viele Tote gibt es selbst auf dem weltweit riskantesten Gebirgspass, dem | |
Yungas-Highway in den Bergen Boliviens, nicht in einem Jahr. Das | |
Todesrisiko ist bei Verkehrsunfällen nicht nur in Uganda, sondern auch in | |
anderen Ländern Afrikas höher als bei Malaria oder Aids. | |
Sarah Kwibikas Telefon im Polizeihauptquartier in Kampala klingelt | |
ununterbrochen. Sie ist die für die Operation Fiika Salama zuständige | |
Kommissarin, der Polizeichef hat sie beauftragt, Ugandas Straßen wieder | |
sicherzumachen. Im Minutentakt treffen bei ihr Anzeigen aus allen Ecken des | |
Landes ein. Über jeden Zwischenfall landauf, landab will sie sofort | |
informiert werden. Vier Unfälle werden ihr innerhalb einer Stunde | |
durchgegeben, „zum Glück ohne Todesfolgen“, sagt sie. 39-mal ruft | |
Verkehrspolizistin Nanteza an diesem Tag vom Checkpoint in Mpigi aus an, um | |
Festnahmen zu melden. | |
Als im Juli in einem Polizeibericht die extrem hohen Unfallzahlen | |
veröffentlicht wurden, ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung. In | |
regierungskritischen Tageszeitungen war sofort zu lesen, die Straße sei | |
aufgrund von Misswirtschaft schlecht konstruiert worden: Der Asphalt sei | |
bei Nässe glitschig, die Kurven zu spitz zulaufend – sprich: Korruption sei | |
schuld daran, dass auf Ugandas wichtigster Überlandstraße ein Massaker | |
stattfinde, wie es die Zeitungen nennen. | |
Die Vorwürfe kommen nicht von ungefähr: Auf Anweisung von Präsident Yoweri | |
Museveni waren im März, kurz nach den Wahlen, alle 700 Mitarbeiter der | |
Straßenbaubehörde wegen Korruptionsverdacht gefeuert worden. Das Parlament | |
setzte einen Untersuchungsausschuss ein. Der prüft, auf welche Weise die | |
Verträge über den Bau der zahlreichen Straßen landesweit zustande gekommen | |
sind, auch der Bau der Masaka-Straße. Demnächst soll der Ausschuss seinen | |
Bericht vorlegen. | |
## Ein Unfall, der das Land aufrüttelte | |
Am 2. Juli kam es auch zu einem Massenunfall in Edith Nantezas | |
Streckenabschnitt. Nahe dem Dorf Kampiringisa starben 21 Menschen, mehr als | |
40 wurden schwer verletzt. Mitte Juli starb auf derselben Straße bei einer | |
ähnlich schweren Kollision ein hochrangiger Kommissar der Verkehrspolizei, | |
mehr als 60 Menschen wurden verletzt. | |
Seitdem will Polizeikommissarin Sarah Kwibika nach jedem Unfall die Ursache | |
ganz genau herausfinden. „90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches | |
Versagen zurückzuführen“, sagt sie und zählt auf: zu schnelles Fahren, zu | |
langsames Fahren, riskante Überholmanöver in Kurven, von überladenen | |
Lastwagen gefallene Gegenstände auf der Fahrbahn, nicht fahrtüchtige | |
Fahrzeuge, Alkohol und Drogen am Steuer, Fahren ohne Führerschein. „Viele | |
Fahrer verhalten sich schlichtweg fahrlässig“, sagt sie. Das will sie jetzt | |
ändern. „Wir nehmen jetzt alle Falschfahrer fest, ohne Pardon – jeder muss | |
vor Gericht.“ | |
Dann klingelt wieder ihr Telefon: Edith Nanteza meldet einen schweren | |
Unfall. Die Kommissarin wird bleich, ihre Augen weiten sich. Als sie den | |
Hörer auflegt, glitzern Tränen in ihren Augen. „Eine der Verletzten ist | |
meine Cousine“, sagt sie und eilt ins Krankenhaus. | |
Die 130 Kilometer lange, frisch geteerte Überlandstraße schlängelt sich | |
zwischen Ugandas Hauptstadt Kampala und der Kleinstadt Masaka durch | |
Sumpflandschaften und Täler zwischen grünen Hügeln. Sie ist Teil der | |
Hauptverkehrsachse Ostafrikas. Von Kenias Ozeanhafen Mombasa aus kommend | |
führt sie quer durch Kenia und Uganda. In Masaka teilt sie sich und führt | |
in den Süden nach Tansania und nach Südwesten an die ruandische Grenze; von | |
da aus weiter nach Burundi und in den Ostkongo. Mehr als 20.000 Fahrzeuge | |
rollen hier täglich entlang, darunter zahlreiche schwer beladene Lastwagen. | |
Jedes Reiskorn, jeder Liter Benzin, jedes Plastikteil aus China wird über | |
diese Haupthandelsroute ins Innere des Kontinents transportiert. Die Straße | |
versorgt Ruanda, Burundi, Ostkongo und den dicht besiedelten Süden Ugandas. | |
Noch vor zehn Jahren war sie voller kratertiefer Schlaglöcher, durch die | |
man nur in Schrittgeschwindigkeit fahren konnte. Von 2009 an wurde auf der | |
Strecke fast sechs Jahre lang gebuddelt und geteert. Die wichtigste | |
Handelsstraße der Region wurde mit internationalen Hilfsgeldern und | |
Krediten der Weltbank ausgebaut: Sie wurde auf drei Spuren erweitert und | |
die Schlaglöcher mit frischen Asphaltschichten versiegelt. Jetzt darf und | |
kann man bis zu 100 Stundenkilometer schnell fahren. Doch seitdem häufen | |
sich die tödlichen Unfälle. Riesige Laster schleichen, meist überladen, | |
durch die Dörfer und werden riskant überholt. Die Lebensader der | |
Ostafrikanischen Union wurde zur Todesstraße. | |
Die frisch errichteten Leitplanken am Straßenrand sind an unzähligen | |
Stellen bereits komplett demoliert und aus der Verankerung gerissen. So | |
auch nahe des Orts Kampiringisa, wo sich der Massenunfall am 2. Juli | |
ereignete. Ein missglücktes Überholmanöver war ihm vorausgegangen. Der | |
Asphalt ist noch immer schwarz vom Ruß des Feuers. Verkehrspolizistin | |
Nanteza seufzt betroffen, wenn sie von diesem Unfall berichtet. Sie war im | |
Dienst, als in ihrem Streckenabschnitt die Fahrzeuge ineinander rasten. | |
Einen solch schlimmen Unfall wie an diesem Samstag habe sie noch nicht | |
gesehen, sagt sie, dabei ist sie seit zwölf Jahren bei der Verkehrspolizei. | |
## Taxifahrer nennen sie „Massaker-Straße“ | |
Die 40-Jährige trägt eine schneeweiße Uniform. Nach Schichtende sitzt sie | |
in ihrem Büro in der heruntergekommenen Polizeistation der Kleinstadt | |
Mpigi, der Kreisstadt des gleichnamigen Bezirks, durch den der Highway | |
durchführt. Es sind die einzigen geteerten 45 Kilometer im Kreis. Doch | |
damit haben sie und ihre 29 Kollegen genug zu tun. | |
Sie zeigt auf die selbst gezeichneten Grafiken, die neben ihrem | |
Schreibtisch an der schmutzigen Wand kleben. 337 „schockierende Unfälle“ in | |
Mpigi hat sie im Jahr 2015 darauf verzeichnet, dabei starben 160 Menschen. | |
346 Unfälle waren es im Jahr 2014. 93 Tote. Und in diesem Jahr? Nanteza | |
kramt ein Blatt Papier hervor, auf dem die Zahlen der einzelnen Monate | |
stehen, und rechnet sie zusammen: 110 Tote auf diesen 45 Kilometern allein | |
in diesem ersten Halbjahr. Den Unfall am 2. Juli nicht mit eingerechnet. | |
„Diese Straße ist sehr tödlich“, sagt sie. Sie steht auf und geht nach | |
draußen. Der Parkplatz hinter der Polizeistation sieht aus wie ein | |
Schrottplatz: Dutzende zerbeulte, ausgebrannte, zerfetzte und zerdrückte | |
Wracks. Eine Ziegenherde klettert über die Karosserie eines demolierten | |
Kleinlasters. Zu jedem der Schrottfahrzeuge kann Edith Nanteza eine | |
grauenvolle Geschichte erzählen. | |
Jeder Unfall beweist auch, wie schlecht Ugandas Infrastruktur im Notfall | |
ist. Sie berichtet von Schwerverletzten, die am Unfallort starben, weil der | |
Krankenwagen nicht rechtzeitig eintraf; von Fahrzeugen, die völlig | |
ausbrannten, weil kein Feuerwehrauto zur Verfügung stand. Auch die | |
Unfallfahrzeuge vom 2. Juli liegen hier herum: der komplett zerdrückte | |
Kleinwagen, aus dem sie nur zerfetzte Leichenteile bergen konnte; der Lkw, | |
der sich komplett überschlagen hatte; die beiden Minibus-Taxen, in denen je | |
14 Menschen dicht gedrängt ohne Anschnallgurt umhergewirbelt wurden. | |
Drei Monate lang warten die Unfallwagen hier auf ihre Besitzer zur | |
Abholung, sagt Nanteza. Wenn niemand komme, würden sie an einen | |
Schrotthändler verkauft. Die meisten bleiben liegen. „Die Eigentümer dieser | |
Fahrzeuge sind alle tot. Das hier ist ein Autofriedhof.“ | |
## Zusammengedrückt wie Ziehharmonikas | |
Den Unfall an jenem Samstag im Juli wird auch Joseph Kawuma niemals | |
vergessen. Er habe sein Leben nachdrücklich verändert, sagt der Taxifahrer, | |
der in Mpigi am Straßenrand im Schatten eines Baums hockt und auf Kunden | |
wartet. „Seitdem fahre ich viel vorsichtiger“, sagt er. Es war schon spät | |
am Nachmittag, die Sonne stand tief und blendete ihn, als er seine letzte | |
Tour der Woche in Ugandas Hauptstadt Kampala antrat. Er kam gerade von der | |
Beerdigung seines Onkels in Masaka und hatte 15 Passagiere in seinem | |
weiß-blauen Minibus-Taxi sitzen. Kawuma freute sich auf das Wochenende mit | |
seinen fünf Kindern und der Frau, er wollte am Abend Fußball schauen. | |
Doch dann, kurz hinter dem kleinen Dorf Kampiringisa, rund 50 Kilometer vor | |
Kampala, nahm seine Tour ein schreckliches Ende: Ein Lastwagen lag quer | |
über der Fahrbahn, die Reifen wiesen zum Himmel. Zwei weiß-blaue | |
Minibus-Taxen – dieselben Modelle wie Joseph Kawumas Taxi – lagen | |
zusammengedrückt wie Ziehharmonikas am Straßenrand. Ein weißer Kleinwagen | |
war in der Mitte zerteilt, als hätte man einen Laib Brot | |
entzweigeschnitten. Der Motor war Dutzende Meter weit in den Straßengraben | |
geschleudert worden. „Es floss so viel Blut über die Straße“, sagt Kawuma. | |
Er stammelt, seine Augen zeigen immer noch Entsetzen. Leichenteile hätten | |
in Fetzen auf dem Asphalt gelegen, „überall hörte man Schreie“. Seit dies… | |
Tag heißt die Masaka-Straße bei den Taxifahrern die Massaker-Straße. | |
Joseph Kawuma hielt an, um zu helfen. Sein erster Gedanke sei gewesen: „Oh | |
Gott, das hätte auch mein Taxi treffen können“, sagt er. Er hatte die | |
Telefonnummer des Kreiskrankenhauses gespeichert. „Aber es war weit und | |
breit kein Krankenwagen verfügbar. Wir haben also vorbeifahrende Autos | |
gestoppt und die Verletzten eingeladen, damit sie sie ins Krankenhaus | |
bringen“, erzählt der 37-Jährige. | |
Er erinnert sich, wie aus dem nahe gelegenen Dorf Kampiringisa die | |
Einwohner zusammengelaufen kamen. Die Sonne ging rasch unter. „Einige | |
klauten den Toten in der Dämmerung ihre Wertsachen aus den Taschen – das | |
war einfach unglaublich“, stottert Kawuma. Es habe fast eine Stunde | |
gedauert, bis endlich die Polizei am Unfallort eingetroffen sei. Da hatten | |
er und andere Helfer die Verletzten schon im Taxi zur Klinik gebracht. | |
Diese Unfall rüttelte das Land auf. 21 Tote! 17 Menschen starben in den | |
Fahrzeugtrümmern, vier weitere später im Krankenhaus. Dazu die über 40 | |
schwer Verletzten. | |
„Seitdem schulen wir unsere Mitglieder in Sachen Sicherheit, | |
Erste-Hilfe-Maßnahmen“, sagt Kawuma, der auch zum Vorstand des | |
Taxifahrerverbands in Mpigi gehört. „Wir zahlen Beiträge ein, damit wir im | |
Notfall die Krankenhauskosten unserer Mitglieder bezahlen können, denn wir | |
haben ja keine Versicherung.“ Dann steigt er in sein blau-weißes | |
Minibus-Taxi am Straßenrand und fährt auf der Todesstraße Richtung Kampala | |
davon, langsam und vorsichtig, seinen Führerschein an der | |
Windschutzschreibe griffbereit eingeklemmt für die Verkehrskontrolle. Er | |
lobt die Operation Fiika Salama. | |
Das Kreiskrankenhaus von Mpigi wirkt sauber und gepflegt. Hinweisschilder | |
lotsen die Patienten in die Orthopädie, zur Geburtenklinik, zum Labor. In | |
der Unfallchirurgie vergipst Krankenschwester Rachel Namara gerade einem | |
Mann das linke Bein. Er ist mit dem Motorrad verunglückt. „Das ist nur ein | |
leichter Bruch, denke ich“, sagt sie und drückt ihm eine Krücke in die | |
Hand. Der junge Mann lächelt tapfer, als er sich vom Krankenbett hangelt. | |
„Mehr kann ich nicht für ihn tun, wir haben hier ja nicht einmal ein | |
Röntgengerät“, sagt sie entschuldigend. Schwerverletzte verweise sie daher | |
direkt ins staatliche Krankenhaus Mulago nach Kampala, 40 Kilometer | |
entfernt. „So eine Situation wie im Juli sollte nie wieder eintreten“, sagt | |
sie. | |
Ihre Schicht war gerade zu Ende. Als sie im Schwesternzimmer ihren Kittel | |
auszog, hörte sie vom Parkplatz her Schreie. Innerhalb weniger Minuten | |
schleppten Leute Dutzende schwer Verletzte an, einer hatte eine offene | |
Schädelfraktur. In der Notaufnahme gibt es nur drei Betten, die übrigen | |
Patienten mussten auf dem Boden liegen. Blut verfärbte den Zement. | |
Rachel Namara war allein in der Schicht. „Ich musste erst einmal meine | |
Kollegen aus anderen Abteilungen zusammentrommeln, bevor ich mich um die | |
Wunden kümmern konnte“, sagt sie. Dann zeigt sie auf ein paar Pappkartons | |
in der Ecke. „Mullbinden“ steht darauf. Doch der Karton ist schon lange | |
leer. „Wir hatten keine Verbandsmaterialien, keine Handschuhe, nicht einmal | |
genügend Blutreserven, um Erste Hilfe zu leisten“, sagt sie. Vier der | |
Verletzten starben in ihrer Notaufnahme. „Vielleicht wären sie noch am | |
Leben, wenn wir besser ausgestattet gewesen wären.“ | |
Sie zeigt auf den Parkplatz. Dort stehen zwei Krankenwagen, mehr gibt es | |
nicht für den ganzen Landkreis mit mehr als 200.000 Einwohnern. Am Tag des | |
Unfalls im Juli war einer davon in der Werkstatt, der andere hatte kein | |
Benzin im Tank. | |
In der Zwischenzeit hat unterhalb des Krankenhauses, neben Joseph Kawumas | |
Taxistand, ein Minibus gehalten. Frauen in langen Gewändern und Männer in | |
Priesterroben steigen aus. Sie halten Kruzifixe, eine Bibel und eine | |
Flasche Weihwasser bereit. Während Pfarrer Medad Birungi die Hände gen | |
Himmel streckt und Gott anfleht, die bösen Geister entlang der | |
Teufelsstraße zu vertreiben, huscht ein weiterer Pfarrer über die Fahrbahn | |
und tröpfelt heiliges Wasser auf den Asphalt. | |
## Weihwasser verdampft in der Mittagshitze | |
Die Frauen beten mit flehenden Stimmen. Sie stammen aus Kenia, Südafrika, | |
Sambia und Uganda. Gemeinsam touren sie quer durch den Kontinent, um | |
Afrikas Todesstraßen zu segnen. „Wir glauben, dass Hexenmeister Tier- und | |
Kindesopfer unter dem Asphalt begraben haben, um die Leute in den Tod zu | |
locken“, sagt der Pastor und gießt erneut Wasser auf die Fahrbahn. In der | |
Mittagshitze verdampft es sofort. „Das ist der Beweis, diese Straße ist | |
Teufelswerk!“, predigt er. „Amen!“, antworten die Frauen im Chor. | |
Als die Geschichte von den Teufelsaustreibungen entlang des Highways am | |
nächsten Tag in den Medien kursiert, schreibt der Vorsitzende des Verbands | |
der Wirtschaftsschulen in einem Leserbrief. „Was sagen diese | |
Teufelsaustreibungen entlang der sogenannten Massaker-Straße über uns | |
Ugander aus?“, fragt er darin provokant und antwortet selbst: „Wir sind | |
eine Gesellschaft voller rücksichtsloser und fatalistischer Leute, die | |
nicht in der Lage sind, wissenschaftliche Methoden anzuwenden, um unsere | |
Probleme zu lösen.“ Er lobt den Ansatz der Verkehrspolizei, die | |
Verkehrssünder auf ihren Leichtsinn hinzuweisen, anstatt den Scharlatanen | |
Raum zu geben, die Ursachen im Aberglauben zu suchen. | |
Einige Stunden sind seit der Festnahme des Familienvaters ohne Führerschein | |
vergangen. Auf dem Gelände des Bezirksgerichts in Mpigi öffnet | |
Verkehrspolizistin Edith Nanteza die engen Gefängniszellen. 39 Männer, | |
darunter er, treten in den Hof und marschieren im Gänsemarsch zum | |
Gerichtssaal. Die Richterin ruft die Angeklagten einzeln auf. Eine | |
Staatsanwältin verliest die Delikte. Die meisten der Fahrer wurden ohne | |
gültigen Führerschein erwischt. | |
Der Familienvater, den Verkehrspolizistin Nanteza am Vormittag aus dem | |
Verkehr gezogen hatte, bekennt sich schuldig. Seine Fahrerlaubnis sei | |
abgelaufen, und er habe nicht rechtzeitig eine neue beantragt, gibt er zu. | |
Dafür muss er eine Strafe von 100.000 Schilling zahlen, umgerechnet rund 26 | |
Euro – viel Geld für ugandische Verhältnisse. Er habe seine Lektion | |
gelernt, sagt er reumütig, als er aus dem Gerichtssaal tritt. | |
Verkehrspolizistin Nanteza steht auf dem Parkplatz der Gerichts und lächelt | |
dem verurteilten Verkehrssünder aufmunternd zu. „Es ist doch alles nur im | |
Sinne der Sicherheit“, sagt sie und wünscht: „Fiika Salama!“, gutes | |
Ankommen. | |
4 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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