Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sziget-Festival in Budapest: Der Suff und die Politik
> Beim Popfestival Sziget geht es um Flucht und Migration – nur leider
> nicht auf den Hauptbühnen. Da performen David Guetta und Rihanna.
Bild: Die meisten kommen, um sich inmitten der Kakophonie zahlloser Bühnen hem…
Über Deutsche, die nach Ungarn auswandern, weil es hier keine Flüchtlinge
gibt und kaum Muslime, spricht man auch auf dem Sziget-Festival in
Budapest. „Glauben Sie, dass das stimmt?“, fragt einer der freiwilligen
Helfer, der dafür sorgt, dass auf der Europestage alles reibungslos läuft.
Im ZDF war zumindest [1][über zwei deutsche Ungarn-Auswanderer berichtet
worden], kann ich ihm erzählen. „Es klingt, als hätte sich Viktor Orbán
das ausgedacht“, antwortet der 21-jährige Politologie-Student.
Das Sziget-Festival hat sich der rechtspopulistische Ministerpräsident
nicht ausgedacht. Aber er hat auch nichts dagegen. Fast eine halbe Million
Besucher zählt das Festival, das seit 24 Jahren jeweils für eine Woche auf
eine Donauinsel inmitten der ungarischen Hauptstadt einlädt.
Das Land Ungarn, das Roma ghettoisiert, Rassismus und Antisemitismus
befeuert, Pressefreiheit einschränkt und Zäune gegen Flüchtlinge baut,
braucht seine internationalen Festivaltouristen, um die Wirtschaft am Leben
zu erhalten. Im August gehört das alte jüdische Viertel in Budapest
tatsächlich den Touristen. Man sieht zwar auch solche ohne
Festival-Bändchen. An dem roten Logo mit dem Motto „Island of Freedom“ aber
kommt in der prächtigen Stadt niemand vorbei.
Was genau diese Freiheit sein soll, die die Veranstalter meinen, geht etwas
unter zwischen den Tausenden saufenden Jungs und Mädchen. Die sind hier,
weil Rihanna, David Guetta und KIZ spielen. Die meisten kommen, um sich
inmitten der Kakophonie Dutzender Bühnen hemmungslos zu besaufen. Trotzdem
sind die Macher des Sziget stolz darauf, nicht ein Festival wie jedes
andere zu sein.
„Wir protestieren gegen Orbáns Politik und die Faschisten“, sagt eine
Freiwillige, die am Stand der „Einwanderungsbehörde“ Pässe verteilt. Wer
bei allen im „Passport“ angegebenen 23 Orten seinen Pass hat stempeln
lassen, wird offizieller „Bürger von Sziget“. Die Stempel bekommt man nicht
an der von großen Unternehmen gesponserten Hauptbühne oder der
Telekom-Bühne, sondern bei kleinen, abseits liegenden Bühnen wie dem
„EU-Meeting Point“.
## Panels über Flucht und Migration
Im „Tent without borders“, organisiert vom Nationalmuseum für Geschichte
der Einwanderung Paris und dem Ethnografischen Museum Budapest, werden
Informationen und Panels über Flucht und Migration geboten. Journalisten,
Akademiker und Aktivisten diskutieren über die schwierige Situation der
Flüchtlinge in Ungarn und im Rest der EU.
Interessieren tut es allerdings kaum jemanden. Auch der Journalist Balázs
Weyer, der erläutert, dass Musik auch Migrationsgeschichten erzählt und
selbst der in den siebziger Jahren populär gewordene Táncház, die weltweit
als ungarische Folklore bekannt gewordene Tanzhausbewegung, aus Field
Recordings im rumänischen Transsylvanien entstand, findet nur eine Handvoll
Zuhörer.
Doch dann füllt sich das kleine Zelt überraschenderweise. Der Berliner
Autor İmran Ayata und der Münchner DJ Bülent Kullukcu stellen ihr Album
„Songs of Gastarbeiter“ vor. Sie erzählen die Geschichten türkischer
Einwanderer, die ihre Erfahrungen als Migranten in Deutschland in Musik
verarbeiteten. Eine Gruppe junger Briten ist begeistert, vor allem von der
Geschichte, wie Ayata und Kullukcu den Sänger Ozan Ata Canani, Mitglied der
Band Die Kanaken, überredet haben, seinen Song „Deutsche Freunde“ 30 Jahre
später noch mal neu aufzunehmen. Ayku, wie sich Ayata und Kullukcu nennen,
werden bejubelt.
Man wünscht sich, die Organisatoren würden einen Vortrag wie diesen mal auf
der Mainstage vor David Guetta oder wenigstens auf der World-Music-Stage
vor Goran Bregovićeinplanen. Dann würde man sich auf dem Sziget vielleicht
auch über Deutsche unterhalten, die aus der Türkei einwanderten und Zeilen
dichteten wie: „Sei ein Freund, dann hast du Freunde. Sei ein Lächeln, das
bringt Glück. Du verschenkst ja nie ein Lächeln. Es kommt schnell zu dir
zurück.“
16 Aug 2016
## LINKS
[1] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2808192/Auswanderer-am-Balaton
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Ungarn
Budapest
Festival
Schwerpunkt Flucht
Sziget
Kneipe
Ungarn
Lesestück Recherche und Reportage
Soul
Ungarn
## ARTIKEL ZUM THEMA
Das Ende der Kneipe: Der letzte macht das Licht aus
Die letzte Kneipe in Hamburg-Ochsenwerder öffnet nur noch Dienstags. Dann
treffen sich ein paar Herren, die teilweise seit über 40 Jahren herkommen.
Luxemburgs Außenminister Asselborn: „Ungarn aus der EU ausschließen“
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn fordert Ungarns
EU-Ausschluss wegen der Flüchtlingspolitik. Ungarn reagiert prompt.
Clubmusik-Festival in Utrecht: Sharing is Caring
Das Stekker-Festival in Utrecht bringt Protagonisten der internationalen
elektronischen Musikszene für eine Werkstattwoche zusammen.
Neues Album von Frank Ocean: So werden Fans vergrault
Frank Ocean kündigte schon oft an, dass sein neues Album rauskommt – kam es
bis jetzt aber nicht. Fans glauben nun an den Montag.
Sziget-Festival in Ungarn: Die Insel der Freiheit
Auf dem Sziget-Festival in Budapest ist auch Nischenmusik willkommen.
Fragen zur ungarischen Politik hört man aber nur ungern.
Sziget-Kuratorin Pommier über Romamusik: "Der Zigeuner ist als Musiker beliebt"
Auf dem Sziget-Festival in Budapest gibt es eine Bühne nur für Romabands.
Ihre Musik ist trotz Anti-"Zigeuner"-Stimmung voll in Mode. Sponsoren
gibt's dafür leider keine, klagt Marina Pommier.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (6): Wie es klingt
Das Sziget-Festival in Budapest kommt dem lauten Stimmengewirr beim Turmbau
zu Babel ziemlich nahe. Unser Kolumnist kämpft sich durch ein Gewirr an
Tönen und Küssen.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (5): Wie es sich anfühlt
Nächtliche Qualen muss unser Kolumnist auf dem Sziget-Festival erleiden.
Männer ohne Licht pflügen sich rücksichtslos durch die Zeltwiese, wie ein
Ackerpflug durch die Erde.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (4): Wie es aussieht
Musik ist nicht alles: Auf dem Sziget tümmelt sich auch viel nackte und
junge Haut, die einen Spätzwanziger zum Lustgreis degradiert. Bei viel
Trinkgeld lächelt wenigstens noch die Barkeeperin.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (3): Wie es riecht
Über die Gezeiten auf der Obudai-Insel und die Zombies, die sich auf der
ständigen Suche nach frischen Red Bull-Fahnen herumtreiben.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (2): Wie es schmeckt
Auf dem Sziget-Gelände gibt es so ziemlich alles zu essen. Der kulinarische
Tempel ist allerdings der Auchan-Markt.
Kolumne Sziget-Festival Budapest (1): Das letzte Mal
Das Sziget-Festival in Budapest wird immer europäischer. Saufliedgrölende
Abiklassen, Lärmschutzärger und immer weniger Ecken und Kanten - Zeit,
langsam Abschied zu nehmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.