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# taz.de -- Kolumne Sziget-Festival Budapest (4): Wie es aussieht
> Musik ist nicht alles: Auf dem Sziget tümmelt sich auch viel nackte und
> junge Haut, die einen Spätzwanziger zum Lustgreis degradiert. Bei viel
> Trinkgeld lächelt wenigstens noch die Barkeeperin.
Bild: Bein, Po und Brust werden eins mit den Klängen.
Musikfestivals sind immer auch Körperfestivals. Das Zuschaustellen und
Begucken von Bein, Po und Brust verwebt sich mit dem Geflecht der Klänge
und wird somit ein elementarer Bestandteil des Feierns.
Das Sziget ist etwas besonderes, weil schon allein die reine Größe des
Geländes ein Laufsteg der Sonderklasse ist. Und auf dem bietet sich dem
Betrachter vor allem eines: die Spannkraft des männlichen Kőrpers in seinen
frühen Zwanzigern. Ältere Herren ab 27 Jahren müssen hier das Zen lernen.
Sonst sind sie verloren.
Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit, es gibt kaum eine Wiese und selten
eine Straße, in denen sich nicht nackte Adonis-Abbilder tummeln. Manche
balgen sich vor Mädchengruppen um die Aufmerksamkeit der einen Schönen zu
erregen. Andere ergeben sich auf den Tischen der Bars der Exstase. Und
weitere stehen einfach wie Statuen an den Rändern der langen Wege und
starren je nach Zustand glutäugig oder blutäugig wie Speerfischer in die
plappernden Schwärme der Vorbeiziehenden und als warteten sie darauf mit
einem gezielten Verführerblick ihre Beute zu erlegen. Und man selbst
schwimmt im Strom wie ein großer, weißer Wal.
Ja, es ist so: Unter den Blicken dieser geschmeidigen Capoeira-Tänzer muss
man eine schreckliche Verwandlung seiner selbst erleben. Der Gang wird
schwerer, die Beine scheinen sich mit Blei zu füllen und bei jedem Schritt
ein dumpfes Poltern irgendwo im Erdreich zu verursachen. Bisher noch als
relativ wohlgeformt wahrgenommene eigene Proportionen verschieben sich
diagonal in alle Dimensionen und das eigene Gewicht verdoppelt sich mit
jedem Schritt. Irgendwo unter und neben sich, vernimmt man die leisen Rufe
der Sterbenden und Verletzten: Hilfe, der Marschmallow-Ma.... arghhh...
Es ist die Hölle. Da hilft auch das schnelle Abspulen des
Mein-erfülltes-Leben-Mantras nichts: Meine Freundin ist göttlich, mein Job
macht mir Spaß, ich habe viel besseren Sex als ihr Junggerten, und wenn ich
wöllte, dann könnte ich mir zwei MacBooks kaufen und sie vor Euren Augen
zertrümmern. Hilft nichts, denn diese Augen sagen: Na und? Du bist alt.
Das, was Du Körper nennst, ist bereits dabei sich aufzublähen und zu
verwesen. Und wenn Du auch nur einem Mädchen hinterherschaust, dann soll
man Dich Lustgreis rufen.
Das wahrhaft Miese daran: Es gibt keinerlei Pointe. Man kann die
Halluzination ein Hefeteig zu sein, nicht abschütteln. Man muss sie
ertragen, dabei lächeln, ein Bier für 480 Forint bestellen. Und es Schluck
für Schluck trinken - trotz der Kalorien. Danach am besten ein Schaschlik.
Oder eine fettige Wurst. Sich die ungarischen Schilder angucken,
beispielsweise das am Wanderzirkus (Vändorwurstli). Daran denken, dass
Ungarisch aussieht wie die Sprache der Hobbits und klingt wie die Sprache
der Elfen. Hm, interessant, hat Tolkien für die Sprache seiner Elfen nicht
auch ungarisch oder finnisch... Die Assoziationskette ist der einzige
Ausweg aus den Fesseln des eigenen Unförmigkeitsgefühls.
Lerne dies, oh Balddreißigjähriger. Oder Du wirst zeitlebens nur noch vor
Bierzelten sitzen - Strohhalme im Ohr, eine biertriefende Plastegirlande um
den Hals, einen Hut in Elchform auf dem Kopf und in Gesellschaft Deiner
Freunde, die genauso aussehen. Zaghaft lächelst Du der Barkeeperin zu. Und
wenn Du genug Trinkgeld gibst, dann lächelt sie vielleicht sogar zurück.
Folgende Bands wird der Autor heute (13.8.09) sehen: Miss Platnum, The Ting
Tings, Bloc Party, Fat Boy Slim, Tricky oder Satyricon.
13 Aug 2009
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Ungarn
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