# taz.de -- Sziget-Festival in Ungarn: Die Insel der Freiheit | |
> Auf dem Sziget-Festival in Budapest ist auch Nischenmusik willkommen. | |
> Fragen zur ungarischen Politik hört man aber nur ungern. | |
Bild: Das Sziget-Festival 2014: Seifenblasen statt politischer Fragen. | |
Ivan & The Parazol sind ein junges Quintett aus Budapest, das recht wilden | |
Garagenrock spielt. Dieses Jahr durfte die Band das Sziget eröffnen, | |
Ungarns größtes Festival, das jedes Jahr auf einer Donauinsel in Budapest | |
stattfindet. Zum Interview haben Ivan & The Parazol in einen Privatclub in | |
Budapests 6. Bezirk gebeten. | |
Erschienen sind Sänger Iván Vitáris und Schlagzeuger Bálint Simon, beide | |
mit langen Haaren und Filzhüten auf dem Kopf. Mit leuchtenden Augen | |
erzählen sie von ihrem Auftritt als Vorband von Deep Purple in der | |
Budapester Sportarena. Als die Frage aufkommt, wie es sich denn so lebe als | |
junger Rockmusiker unter der Fidesz-Regierung von Viktor Orbán, grätscht | |
der Manager energisch dazwischen: Keine Fragen zu Politik! | |
Dénes Pécsi-Sabó ist selbst höchstens Ende zwanzig. Er ist Weinhändler, die | |
Band managt er aus Leidenschaft. Doch seine Leidenschaft für Rock ’n’ Roll | |
scheint sehr unpolitisch zu sein. Auf Nachfrage gibt er zu, dass man | |
derzeit in Ungarn sehr vorsichtig sein müsse, was man öffentlich äußert. | |
Sein Maulkorb für die Band habe damit aber nichts zu tun, die Jungs seien | |
Musiker, ihre politische Haltung ihre Privatsache – ziemlich enttäuschend | |
für eine sonst so rebellisch auftretende Band. | |
Tatsächlich reagieren viele ungarische Musiker genervt, wenn man sie nach | |
der politischen Stimmung im Land fragt. Nur weil sie eine nationalistische | |
Regierung haben, wollen sie nicht über Politik statt über Musik reden | |
müssen. Und wenn ein Ausländer kritische Fragen zu Orbáns Politik stellt, | |
wird das oft als arrogant empfunden: „Halten Sie mich bitte nicht für ein | |
Fidesz-Sprachrohr, aber unsere Regierung wurde schon ein zweites Mal | |
demokratisch gewählt, und das sollte man respektieren“, lautet die Reaktion | |
von Misi Rosonczy-Kovács, Geiger in der Roma-Band Romengo. | |
## Musik ohne Politik | |
Misi ist der einzige Nicht-Rom in der Band, er gibt das Interview, da seine | |
Kollegen kein Englisch beherrschen und er selbst gut Deutsch spricht. Wie | |
es denn sein könne, dass Roma in Ungarn ihres Lebens nicht mehr sicher | |
sind, andererseits auf der Bühne als Musiker verehrt werden? Das könne er | |
auch nicht erklären, aber: „Zu sagen, dass Roma in Ungarn ’gejagt‘ werde… | |
zeichnet ein falsches Bild. Auch wenn es, wie leider überall in Europa, | |
eine dumme kleine Minderheit gibt, die aber nichts mit der Regierung oder | |
ihren Anhängern zu tun hat.“ Außerdem seien sie Musiker und keine | |
Politiker. „Wir vertreten Ungarn und die Roma durch unsere Musik, nicht | |
durch politische Aussagen.“ | |
Eine dumme kleine Minderheit? Der rechtsextreme Jobbik ist immerhin | |
drittstärkste Kraft im ungarischen Parlament. Misi betont, dass seine | |
Aussagen mit den Roma-Bandmitgliedern abgestimmt seien. Romengo haben auch | |
beim diesjährigen Sziget-Festival gespielt, auf der World Village Stage – | |
einer Fusion der Weltmusik – und der Roma-Bühne. Zwölf Jahre gab es eine | |
eigene Roma-Bühne beim Sziget, bis letztes Jahr. | |
Da hatte man sogar endlich einen Sponsoren für die Bühne gefunden: Ein | |
türkischer Raki-Hersteller warb mit seinem Namen, nachdem elf Jahre lang | |
niemand mit dem Begriff „Roma“ in Zusammenhang gebracht werden wollte. | |
Zusammen mit dem queeren „Magic Mirror“-Zelt war die Roma-Bühne dem | |
Fidesz-Bürgermeister István Tarlós, der in Budapest seit 2010 regiert, aber | |
ein Dorn im Auge. Die Stadt hatte dem Festival sogar Geld angeboten, wenn | |
man dafür die Roma-Bühne abschaffe, aber das Sziget, das sich komplett | |
privat finanziert, hat das entrüstet abgelehnt. | |
## Eine Menge Geld | |
Die Französin Marina Pommier kuratiert seit 13 Jahren die Roma-Musik beim | |
Sziget. Sie ist enttäuscht, dass sie statt einst vier Roma-Bands nur noch | |
eine pro Abend buchen kann. Aber sie betont: „Es hat keinen politischen | |
Hintergrund, dass es diesmal kein eigenes Roma-Zelt mehr gibt. Wir haben | |
dafür jetzt eine andere größere Bühne, und die Bands können länger | |
spielen.“ | |
Auch Fruscina Szep, Programmdirektorin des gesamten Festivals, äußert sich | |
deutlich: „Es ist verdammt noch mal sehr wichtig, dass diese Menschen und | |
diese Kulturen auf dem Sziget präsent sind. Und solange ich dafür die | |
Energie und die Möglichkeiten habe, wird es auch so bleiben.“ Nur dürfte | |
die Programmdirektorin bei diesem privatwirtschaftlich organisierten | |
Riesenevent kaum das letzte Wort haben. Rund 20 Millionen Euro beträgt das | |
Budget des Sziget, tatsächlich finanziert es sich etwa zu 40 Prozent aus | |
Sponsorengeldern. | |
Seit der Amtszeit von Budapests Bürgermeister Tarlós erhebt die Stadt für | |
die achttägige Nutzung der Donauinsel, auf der sich ein alter, etwas | |
heruntergekommener Park befindet, eine Miete von umgerechnet rund 400.000 | |
Euro. | |
Eine Menge Geld für ein Festival, das ein großes musikalisches Kunst- und | |
Nischenprogramm genauso bedient, wie es die ganz großen Namen bucht – | |
dieses Jahr etwa Queens Of The Stone Age, Placebo oder Lilly Allen. Die | |
Organisatoren wehren sich auf subtile Weise: Seit letztem Jahr trägt das | |
Festival den Untertitel „Island Of Freedom“, und das Programmheft, das alle | |
Besucher mit dem Ticket in die Hand gedrückt bekommen, ist gestaltet wie | |
ein Reisepass. | |
Viele der internationalen Besucher werden das vor allem als Freibrief zum | |
Spaß verstehen, für einige, vor allem ungarische Jugendliche – sie bilden | |
knapp ein Drittel der Besucher – dürfte darin aber eine tiefere Bedeutung | |
stecken. | |
Auch Bürgermeister Tarlós meldet sich in dem Heft mit einem Grußwort: Über | |
das Festival verliert er keine Silbe, er begrüßt lediglich die abertausend | |
jungen Leute aus aller Welt, die sich doch bitte seine schöne Stadt | |
anschauen sollen. Schon richtig, ihre Wähler sollte die Fidesz noch lange | |
nicht auf dem Gelände des Sziget-Festivals vermuten. | |
18 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Dirk Schneider | |
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