# taz.de -- Doping im Gewichtheben: Ein Heben und Nehmen | |
> Der Sport ist verseucht und hat eine der höchsten Dopingraten. Das | |
> Kontrollsystem der dominanten Nationen funktioniert nicht. | |
Bild: Der Dopingverdacht stößt mit: Ob der Mexikaner Bredni Roque Mendoza sau… | |
Es sind Meldungen, die so typisch sind fürs Gewichtheben. Der Pole Tomasz | |
Zielinski ist wegen einer positiven Dopingprobe von den Spielen | |
ausgeschlossen worden; der Europameister der Klasse bis 94 Kilogramm hätte | |
am Samstag an die Gewichte gehen sollen. Noch vor der Eröffnungsfeier | |
erwischte es den zypriotischen Heber Antonis Martasidis. Die Russen sind | |
gar nicht dabei in der Messehalle 2 im Olympiazentrum „Riocentro“, wo | |
gerissen und gestoßen wird. Kasachen wiederum durften starten, obwohl sich | |
auch in deren Verband Dopingfälle häuften. Der Inkonsequenz des | |
Weltverbandes IWF haben sie nun schon zwei olympische Bronzemedaillen zu | |
verdanken. | |
Und so geht es weiter mit negativen Nachrichten von positiven Tests: Noch | |
einmal elf Gewichtheber sind bei nachträglichen Dopingtests der | |
Sommerspiele 2012 auf Doping getestet worden. Unter ihnen sind sechs | |
Silber- und Bronzemedaillen-Gewinner. Man hatte die Proben von damals in | |
der Kühltruhe aufgehoben für den Fall, dass die Methoden zur Analyse einmal | |
besser sein werden. Insgesamt haben die Gewichtheber 31 positive Proben bei | |
der zweiten Welle der Nachtests der Spiele 2008 in Peking und 2012 in | |
London produziert. Eine olympische Siegerehrung im Gewichtheben – das ist | |
eigentlich eine Farce. Die Medaillen sind offensichtlich nur Leihgut. | |
Keine Frage, der Sport ist verseucht. Er hat weltweit eine der höchsten | |
Dopingraten. Die Muskelmast mit Anabolika ist zu verlockend, als dass man | |
auf sie verzichten wollte. Und doch scheint es Athletinnen und Athleten zu | |
geben, die das Hanteltraining lieben, trotz des miesen Images. | |
Sie stellen sich freiwillig einer Konkurrenz, die auf die schützende Hand | |
von Verbandsfunktionären und mitunter korrupten Dopingkontrolleuren | |
vertrauen kann. Das Gebot der Fairness und der Chancengleichheit? Perdu. Da | |
bricht eher die 2,20 Meter lange Hantelstange entzwei, als dass hier alle | |
Sportler das gleiche Ausgangsniveau haben – im pharmakologischen Sinne. | |
## Als 16-Jährige das erste Mal gesperrt | |
Da ist zum Beispiel Sabine Kusterer, 25, die ihren Wettkampf in der Klasse | |
bis 58 Kilogramm schon hinter sich hat. Sie hat gewonnen, allerdings nur | |
die B-Gruppe. Sämtliche Konkurrentinnen aus der A-Gruppe landeten vor ihr. | |
Platz zehn. Damit ist Kusterer sehr zufrieden, zumal sie eine Bestleistung | |
auf der Heberplattform brachte. „Das Publikum schreit einen bei Olympia | |
hoch, das ist leider selten, deswegen ist hier zu sein etwas ganz | |
Besonderes“, sagte sie nach ihrem Wettkampf, bei dem sie insgesamt 210 | |
Kilogramm in die Höhe gewuchtet hat. „Ich habe alles aufgesogen.“ | |
Vorn waren zwei Thailänderinnen, Sukanya Srisurat (240 kg) und Pimsiri | |
Sirikaew (232 kg). Auf Platz drei die Taiwanesin Kuo Hsing-Chun (231 kg). | |
Srisurat ist schon einschlägig vorbestraft. Sie wurde vor fünf Jahren als | |
16-Jährige (!) positiv auf ein anaboles Steroid getestet und vom | |
Weltverband IWF für zwei Jahre gesperrt. Die Sanktion lief im Mai 2013 ab. | |
Sabine Kusterer hat eine ganz klare Meinung zu den Hebekünsten der | |
Asiatinnen. „Alle, die über 220 Kilogramm heben, sind verdächtig“, sagt | |
sie. „Wenn ich neben meinen Konkurrentinnen stehe und man hört die tiefe | |
Stimme, dann weiß ich, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich hoffe | |
darauf, dass sie noch erwischt werden und es ein kleines Happy End gibt.“ | |
Anrüchig ist sicher auch der Weltrekord der Chinesin Wei Deng, die in der | |
Klasse bis 63 Kilo Körpergewicht 262 Kilo Eisen stemmte. | |
Es hat nichts mit Neid zu tun oder fehlendem Respekt vor der Leistung | |
anderer, nein, Kusterer spricht aus Erfahrung. Deshalb weiß sie auch, dass | |
es kein Happy End geben wird, solange es ein Kartell der Dopingvertuscher | |
in vielen Ländern gibt. Wer weiß schon, ob die Antidopingagentur in | |
Thailand einen sauberen Job macht? „Ich erwarte mir klarere Worte vom | |
Weltverband“, fordert die Athletin. „Ich habe den Eindruck, die dominanten | |
Nationen werden nicht ganz so streng kontrolliert wie Sportler aus dem | |
Westen.“ | |
Kusterer hat in den vergangenen Wochen viel geopfert für ihren Sport. Sie | |
hat über fünf Kilo abgenommen und ist in die nächst untere Gewichtsklasse | |
gewechselt. Nicht mehr als 1.800 Kalorien pro Tag durfte sie bei einem | |
strammen Trainingstag zu sich nehmen. Vor dem Wettkampf in Rio aß sie | |
mittags immer nur ein bisschen Reis mit Apfel, damit sie das Gewichtslimit | |
nicht überschreitet. Das alles ist ihr der Sport wert – außerdem hat er für | |
sie noch einen positiven Nebeneffekt: „Gewichtheben ist keine schlechte | |
Sportart für Frauen, ich bekomme immer viele Komplimente für meinen | |
Hintern.“ | |
Almir Velagic, 34, liebt die Arbeit an den Gewichten genauso wie Kusterer. | |
Gerade in diesen Tagen, wo die Form stimmt, hat der Superschwergewichtler | |
(Klasse ab 105 kg) großen Spaß. „Das ist wie bei einem Fußballer, der aufs | |
leere Tor schießen darf.“ Er ist schon das dritte Mal bei Olympia dabei. | |
Zweimal ist er auf Platz acht gelandet, obwohl er seine Leistung in London | |
im Vergleich zu Peking um 13 Kilo gesteigert hat. | |
„Es ist schon immer so gewesen, dass ich mir meine Konkurrenten anschaue | |
und denke: Eigentlich dürfte der hier nicht am Start sein“, sagt der | |
150-Kilo-Mann, der während unseres Gesprächs zwei Ladungen Palatschinken | |
verdrückt. Velagic muss essen, sehr viel essen. 8.000 Kalorien am Tag. Das | |
geht nur mit zusätzlichen Eiweißdrinks und Kohlehydrate-Shakes. Diese | |
Mittel sind erlaubt – im Gegensatz zu den üblichen Verdächtigen in | |
Pillenform: Nandrolon, Metandienon, Stanozolol oder Metenolon. | |
## „Sobald ein Doper gesperrt ist, kommt ein neuer nach“ | |
„Wir Gewichtheber wachsen mit Dopingmeldungen auf. Das ist leider so | |
selbstverständlich wie Wasser trinken“, sagt er. Ihn wundert vor allem, | |
dass „die Leute, die jetzt nachträglich erwischt wurden, in den sozialen | |
Netzwerken so tun, als sei gar nichts passiert, die posten weiter ihre | |
Bilder vom Training, das ist schon unglaublich.“ Dann sagt er mit einem | |
Kopfschütteln: „Wenn mir das passiert wäre, ich würde mich irgendwo | |
einschließen im Keller und alle Türen verriegeln.“ | |
Wenn alle ehrlich gehoben hätten, dann hätte Velagic, der mit seiner | |
Familie 1992 vor den Bürgerkriegswirren in Bosnien nach Deutschland | |
geflohen ist, vielleicht ein paar Medaillen mehr gewonnen in seiner | |
Karriere. Bei Kontinentalmeisterschaften ist ihm das gelungen, aber sobald | |
die ganze Welt mithebt, wird Velagic distanziert. Das muss einen doch kirre | |
machen? „Wenn das Antidopingsystem mal greifen würde, ergäbe sich für mich | |
schon eine Chance“, antwortet er. „Das Problem ist: Sobald ein Doper | |
gesperrt ist, kommt schon ein neuer nach.“ | |
Doch die Chancen für Velagic stehen jetzt bei den Olympischen Spielen so | |
gut wie nie, weil ein paar der besonders dreisten Pharmafreunde diesmal | |
nicht dabei sind. Velagic könnte, mit ein wenig Glück und der | |
entsprechenden Tagesform, eine Bronzemedaille gewinnen. Er weiß auch schon, | |
wie: „Im entscheidenden Moment muss ich die Eier haben, 250 Kilogramm zu | |
stoßen, meine Kraftwerte sind so gut wie noch nie.“ Und sollte er Vierter | |
werden oder Fünfter, muss er nur die Nachtests in ein paar Jahren abwarten. | |
10 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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