# taz.de -- Diskuswerfer Robert Harting: Der loyale Junge aus Cottbus | |
> Für Robert Harting, den Olympiasieger von 2012, steht am Freitag die | |
> Qualifikation an. Einen Siegestanz kann er sich nicht mehr vorstellen. | |
Bild: Diskuswerfer Robert Harting 2012 in London. Und am Samstag? | |
Er ist ja längst unanfechtbar. Hat vor vier Jahren in London olympisches | |
Gold gewonnen. Eine Erlösung, diesen Titel wollte er immer. Der wertvollste | |
Sieg für einen Leichtathleten: Robert Harting, 31 Jahre, geboren 1984 in | |
Cottbus, muss seither gar nichts mehr. | |
Tatsächlich lief er damals, weinend und lächelnd zugleich, wie eine | |
Superkörpermaschine zur Tribüne, herzte dort Angehörige und gab, vor Kraft | |
beinahe platzend, den Fotografen das Futter, auf das sie so gierten: | |
Harting zerriss sein Trikot – wie 2009 in Berlin bei der WM. Röhrend | |
freudig wie ein Hooligan, so schien es. Das hatte schon damals starke | |
Anziehungskraft. | |
Quatsch: Harting ist gerade dies nicht, ein Gewaltliebhaber. 2009 gewann er | |
seine erste fette Meisterschaft, verscherzte es sich aber mit vielen | |
Sportjournalisten, weil er seinen Trainer Werner Goldmann in Schutz nahm. | |
Der wird mit dem DDR-Sportsystem in Verbindung gebracht: Harting hielt | |
loyal zu ihm. Das hat ihm auch Respekt eingetragen. | |
Nun beantwortet er die Frage, ob er nicht nach dem Gold von London schon | |
satt sei: „Eigentlich nicht. Ich bin nicht gleichgültig. Ich freue mich auf | |
Rio. Weil ich jetzt mental andere Voraussetzungen erfülle. Es ist kein | |
großartiger Druck mehr da.“ | |
## „Ich hatte es nicht leicht“ | |
Harting spricht immer in überlegten Sätzen. Er will nicht als Rüpel | |
begriffen werden. Er ist auch sowieso das Gegenteil, eher ein schüchterner | |
Junge, der jedes Wort wägt. Langsam kommen seine Sätze, auch dieser: „Rio �… | |
das ist schon jetzt eher berauschend als erfüllend. Der erlebte Unterschied | |
zwischen heute und damals: Sich auf etwas ohne Druck freuen zu können. Das | |
macht es nicht leicht, aber leichter und realisierbarer.“ | |
Harting würde seinen Weg vielleicht so beschreiben: Ich hatte es nicht | |
leicht, aber dann habe ich mich zusammengerissen. Dabei wollte ich mich | |
nicht dem System unterwerfen. Und er würde damit das Westsystem meinen, die | |
Bücklinge, Beflissenen, die Flüsterer und Übelnehmer, all die Funktionäre | |
und Wasserträger, die mit der Energie eines Robert Harting fremdeln. Man | |
könnte sagen: Mit dieser gewissen Scheu, die sich hinter Sprüchen und | |
körperlicher Wucht verbirgt. | |
Er sagt wörtlich zum Wettkampf in Rio – heute die Qualifikation, am Samstag | |
Nachmittag das Finale, falls er es erreicht: „Gold blättert schnell ab. Ich | |
kann mir kein großartiges Tänzchen mehr vorstellen. Der sportliche Wert | |
zählte für mich dieses Jahr wie noch nie. Dieses Jahr geht es um die | |
sportliche Auseinandersetzung. Das ist wichtig. Nicht wie früher, da ging | |
es um Medaillen und Prestige und Respekt. All diese Sachen, die man als | |
Sportler nicht gebrauchen kann.“ | |
Und er erzählt auf die Frage, was ihn überhaupt antreibe, diese Geschichte: | |
„Ich erinnere mich an eine Situation, wie Jürgen Schulte und Lars Riedel in | |
meiner Stadt geworfen und dafür Anerkennung bekommen haben, die waren | |
berühmt wie Bolle.“ | |
Damals also in Cottbus, die DDR war vorbei, ihr Alltag stand unter Verdacht | |
– und einer wie Robert Harting bewunderte die beiden Goldmedaillengewinner | |
Made in DDR. Das wollte er auch. „Anerkennung ist ein Gut, das ich in | |
meiner Kindheit nicht zu spüren vermochte. Mir fehlte sowohl soziale als | |
auch soziologische Anerkennung.“ Wieder so eine seltsam abweisende | |
Formulierung, aber sie bedeutet: Ich wollte auch Anerkennung, und zwar mit | |
meiner Art, nicht als Schoßhündchen der Funktionäre, kastriert – sportlich | |
wie mental. Harting kann es sich leisten, dies alles nun auch sein zu | |
können, die Medaillen seiner Karriere sind seine Schutzwälle. | |
## Fremdschämen für Bach | |
Nun kann er umso vernehmlicher öffentlich mitteilen, dass er sich für | |
IOC-Chef Thomas Bach wegen dessen lavierender Amtsführung zur | |
Staatsdopingfrage Russlands schäme. Er kann aufs Korn nehmen, wen er will – | |
und es sind immer solche, die mächtiger sind als er. Er weiß, dass man ihm | |
nichts kann: Robert Harting ist ein Star, der einzige im deutschen | |
Olympiateam, mit dem sich das Publikum identifiziert. Das hat etwas stark | |
Anziehendes, weil neben ihm alle wie Kunstprodukte sich ausnehmen. | |
Lohnt sich der Kampf gegen illegale Substanzen zur Leistungssteigerung | |
überhaupt noch? Sollte man Doping nicht freigeben? Harting verneint fast | |
tonlos: „Nein, weil der Sport ein Repräsentant des Zuschauers sein soll. | |
Wenn ein Zuschauer einen Sportler im Fernsehen sieht, der durch Doping erst | |
stark geworden ist, hat das für ihn keinen Projektionscharakter mehr. Er | |
kann sich nicht identifizieren.“ Nach zwei Schritten auf diesem kleinen | |
Spaziergang in Kienbaum, dem Olympialeistungszentrum, fügt er an: „Ohne | |
diese Bindung geht der emotionale Charakter verloren. Sport wäre dem | |
Zuschauer gleichgültig.“ | |
Der Kampf um Identifikation ist ein zäher. Einer der kleinen Schritte. | |
Harting war und ist wichtiger Teil der Dopingbekämpfer und lobt die Erfolge | |
gegen die chemischen Manipulationen: „Die Maßnahmen gegen Russland sind ein | |
Erfolg, ein kleiner nur, aber immerhin.“ | |
Er weiß auch das: Kämpfen lohnt sich. Und ziemlich gut ist möglich, dass er | |
sich in Rio noch mehr genießt – und siegt. | |
11 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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