# taz.de -- Regionalligist Energie Cottbus: Wo früher großer Fußball war | |
> Energie Cottbus spielte jahrelang in der Bundesliga. Nun kicken die | |
> Lausitzer drei Ligen tiefer. Doch einige der alten Probleme sind immer | |
> noch da. | |
Bild: Zu große Tribüne für die Regionalliga Nordost: Energie spielt gegen de… | |
COTTBUS taz | Cottbus hat an Farbe verloren. Von ganz weit oben betrachtet | |
muss es wie ein verblasstes Bild aus alten Tagen wirken. Drei, zwei Stunden | |
vor Spielbeginn wird Cottbus zwar ein wenig röter und ein wenig weißer. | |
Aber lange nicht mehr so intensiv wie früher, als sich die Menschen aus der | |
strukturschwachen Region in großer Zahl in der Brandenburger Kleinstadt | |
scharten, wenn die Klassenduelle ihres geliebten Klubs Energie Cottbus | |
gegen die millionenschweren Klubs wie Borussia Dortmund oder Bayern München | |
anstanden. | |
An ganz besonderen Tagen wurden hier einst aus notorischen Verlierern große | |
Gewinner. Nichts war in dieser Region so positiv identitätsstiftend wie | |
Siege von Energie. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde zum Ehrenmitglied. | |
Und mit vielen kostengünstig verpflichteten Profis aus Osteuropa konnte | |
man den FC Bayern gar zweimal bezwingen. | |
An diesem Tag aber ist der FC Schönberg zu Gast. Ein Klub aus einer | |
4.300-Seelen-Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern. Seit dieser Saison muss | |
sich der Absteiger Energie Cottbus mit Klubs wie Meuselwitz, Auerbach oder | |
eben Schönberg in der Regionalliga Nordost messen. | |
Vereinzelt oder in kleinen Grüppchen treffen an diesem kalten Wintertag am | |
Bahnhof aus den umliegenden Orten die Anhänger von Energie Cottbus ein. Zu | |
erkennen an ihren rot-weißen Fanutensilien. Auch aus Innenstadt macht sich | |
der eine oder andere mit dem Vereinsschal um den Hals auf den Weg ins | |
Stadion der Freundschaft. Immerhin 4.131 Menschen wollen noch die | |
Viertligapartie sehen. Die meisten Teams in dieser Klasse spielen vor | |
durchschnittlich 400 Zuschauern. | |
## Von Alternativlosigkeit profitieren | |
„Geil auf Fußball“, so hat das Stadionmagazin Energie Echo getitelt. Es ist | |
der etwas verzweifelt wirkende Versuch, das Geschäft mit den Emotionen am | |
Laufen zu halten. Im Kleinen funktioniert das noch erstaunlich gut. „Die | |
Nordwand“, wie man hier in Cottbus die Tribüne hinter dem Tor nennt, die | |
von den Ultras besetzt wird, bröckelt zwar, hält aber. Trotz des wenig | |
ansehnlichen Kicks der Heimmannschaft pfeift hier keiner. Dabei müssen sich | |
alle bis zur 74. Minute gedulden, ehe der brasilianische Winterzugang | |
Marcelo Freitas das einzige Tor des Tages erzielt. Nach dem Schlusspfiff | |
feiert man auf der Nordwand erstaunlich ausgelassen den Pflichtsieg gegen | |
den Provinzverein. | |
„Die Erwartungen sind auf Normalmaß heruntergekocht worden“, sagt Präside… | |
Michael Wahlich in der Halbzeitpause mit Blick auf die Fans. Und er räumt | |
ein, dass der Verein von einer gewissen Alternativlosigkeit profitiert: | |
„Trotz Bundesliga-Turnen und Zweitligaeishockey hat die Lausitz nicht | |
übermäßig viel an sportlichen Höhepunkten zu bieten. Deshalb ist Energie | |
bislang dauerhaft das Aushängeschild geblieben.“ | |
Wahlich, der sein Amt erst im Sommer angetreten hat, sitzt auf einem der | |
wenigen gepolsterten roten Klappsesseln im Stadion. Die Tribünen gegenüber | |
und rechts von ihm sind unbesetzt. Eigentlich hätten im Stadion, dessen | |
letzte Umbaumaßnahme 2009 vollendet wurde, 22.500 Zuschauer Platz. Den | |
Verein drückt eine Schuldenlast von über 6 Millionen Euro. Die Rasenheizung | |
des Trainingsplatzes blieb diesen Winter aus. „Mit dem Abstieg aus der | |
dritten Liga haben wir 800.000 Fernsehgeld, 500.000 Sponsoreneinnahmen und | |
300.000 Zuschauererlöse verloren“, rechnet Wahlich vor. | |
Zwei Minuten hatten Energie Cottbus im Mai zum Klassenerhalt gefehlt. Dann | |
gab man in der 89. Minute eine 2:1-Führung gegen die zweite Mannschaft von | |
Mainz 05 aus der Hand. Es war der dritte Abstieg seit 2009. Die Folgen sind | |
fataler denn je, da in der Regionalliga die Aufstiegschancen äußerst gering | |
sind. Selbst der Erste muss am Ende der Saison in die Relegation. Und mit | |
vier Punkten Abstand auf den Spitzenreiter Jena müssen die Cottbuser selbst | |
um diese vage Option bangen. | |
## Auf Schrumpfkur | |
In Cottbus steht Trainer Claus-Dieter Wollitz, der schon einmal den Klub zu | |
Zweitligazeiten betreute, nun in der Verantwortung. Der 51-Jährige wurde | |
als Retter für die letzten fünf Drittligaspiele engagiert und ließ sich | |
dann zum Bleiben überreden. Er sei leidenschaftlich und emotional, sagt | |
Wollitz, aber nicht überheblich. Er hätte sich die Aufgabe gar nicht | |
zugetraut, wenn er schon im Sommer die derzeitige finanzielle Situation | |
gekannt hätte. Jetzt sei er so „in ein Ding“ reingekommen. Er hätte einen | |
Auftrag, den man eigentlich gar nicht erfüllen könne. „Hier ist nicht nur | |
Druck auf dem Kessel. Hier ist eigentlich schon nach 12 Uhr.“ | |
Vor der Saison musste Wollitz ein komplett neues Team zusammenstellen, das | |
zum Aufstieg verpflichtet ist. Dabei konnte man nur drei Spieler unter | |
Vertrag nehmen, die schon einmal auf höherem Niveau gespielt haben. Michael | |
Wahlich erklärt: „Wir können sicherlich nicht fünf Jahre Regionalliga | |
spielen. Da sind möglicherweise die Sponsoren und Zuschauer nicht mehr da.“ | |
Die vierte Liga sei ernüchternd, räumt er ein. | |
Martin Bock, der Leiter des Fanprojekts in Cottbus, berichtet: „Es gab | |
schon auch ein böses Erwachen in der Fanszene bei den ersten | |
Auswärtsspielen. Da gibt es dann manchmal eben nur zwei Dixiklos und einen | |
Bratwurststand.“ | |
Von der Schrumpfkur in Cottbus scheint nur das Fanprojekt verschont | |
geblieben zu sein. Vor zwei Jahren stockte das Land Brandenburg seine | |
Mittel von 10.000 Euro auf 40.000 Euro auf. Die Stadt steuert 100.000 Euro | |
bei, und der DFB legt noch einmal 140.000 Euro dazu. Knapp vier | |
Vollzeitstellen lassen sich dadurch finanzieren. Mitarbeiter Sven Graupner | |
versteht die unveränderte Unterstützung auch als eine Anerkennung der | |
eigenen Arbeit: „Wir werden als Vermittler, Dolmetscher und Moderator | |
zwischen Fans und Institutionen aktiv in Anspruch genommen.“ Zudem hat sich | |
das Projekt bewusst breit aufgestellt: „Wir machen hier etwas Neues“, sagt | |
Graupner. „Wir sind Anlaufstelle für alle Jugendlichen in der Stadt. Bei | |
uns mischen sich die Subkulturen. Warum sollen wir warten bis die | |
Jugendlichen ins Stadion kommen.“ | |
## Weniger Zuschauer, extreme Stimmen | |
Die stabilen Subventionen für das Fanprojekt haben möglicherweise aber auch | |
mit der Erfahrung zu tun, wie schnell in Teilen der Cottbus Fanszene Dinge | |
aus dem Ruder laufen können. Erst im Herbst beim Spiel gegen den SV | |
Babelsberg 03, der von einer linken Fanszene unterstützt wird, verschafften | |
sich 150 Rechtsextreme Zugang zur Haupttribüne und skandierten | |
antisemitische Parolen. Der Hitlergruß wurde gezeigt. | |
Auch wenn Präsident Wahlich darauf verweist, dass dieses Spiel | |
gewaltbereite Extremisten angezogen hat, die sonst nicht zu den Spielen von | |
Cottbus kommen, ist ein Problem offenkundig: Mit dem Abstieg sind die | |
Zuschauer weniger und die extremen Stimmen dadurch hörbarer geworden. | |
Die Ultravereinigung Collectivo Bianco Rosso 2002, die nach dem | |
Erscheinungsverbot von Inferno Cottbus 1999 die vernehmbarste Gruppierung | |
mit starkem rechten Hang ist, hat Anfang Februar via Facebook die guten | |
alten Zeiten hochleben lassen. Unter anderem das Relegationsspiel gegen | |
Hannover 96, bei dem große Teile des Cottbuser Publikums mit rassistischen | |
Ausfällen gegen die schwarzen Spieler Asamoah und Addo dunkelste | |
Bundesligageschichte schrieben. „Gerald Asamoah und Otto Addo (…) werden | |
später von den schlimmsten Erlebnissen ihrer Karriere berichten“, schwelgt | |
Collectivo Bianco Rosso in Erinnerung. | |
Fanprojektleiter Bock warnt vor klischeehaften Zuschreibungen. Bei den | |
jüngsten Vorfällen hätte es in der Cottbuser Anhängerschaft auch viele | |
gegeben, die versucht hätten, rechte Parolen zu übersingen. Man ermutige | |
die jungen Fans auch zum demokratischen Engagement. Nach dem jüngsten | |
Abstieg haben sich bei Energie Cottbus 600 Vereinsmitglieder neu | |
angemeldet. | |
An den Unannehmlichkeiten der Regionalliga mag sich Trainer Claus-Dieter | |
Wollitz sowieso nicht länger aufhalten. Das interessiere am Ende keinen, | |
wenn man seine Ziele nicht erreiche. Er sagt: „Du musst immer im Hier und | |
Jetzt funktionieren.“ | |
18 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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