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# taz.de -- Debatte Selbstfahrende Autos: Smart Crash
> Die Industrie verspricht, dass schon bald autonome Autos fahren. Doch
> statt ausgereifter Technik gibt es nur „Beta-Versionen“ – ein
> gefährlicher Trend.
Bild: Wurde die Software vom TÜV geprüft? Autofahrer im Tesla
Seit zehn Jahren entwickeln wir an der Freien Universität Berlin autonome
Fahrzeuge. Am Anfang habe ich alle deutschen Autofirmen angeschrieben und
um ein Fahrzeug mit Drive-by-wire, das heißt mit Anschluss zu unseren
Rechnern, gebeten. Die Antwort war ausnahmslos: „kein Interesse“. Es wurde
mir versichert, die Kunden lieben das Fahren so sehr, dass autonome
Fahrzeuge keine Zukunft hätten.
Heute dagegen kann es der Autoindustrie nicht schnell genug gehen. Die
verschiedenen Unternehmen überschlagen sich mit Bekanntmachungen. Ford hat
gerade gemeldet, dass ab 2020 autonome Fahrzeuge als Massenware abgesetzt
werden sollen. Vor zwei Jahren hatte Tesla das vollautonome Fahrzeug ab
2017 versprochen. Auch Volvo wollte 2014 hundert autonome Fahrzeuge ab
kommendem Jahr in dem Gebiet um Göteborg testen. Und Uber, der Taxifunk des
21. Jahrhunderts, behauptet frech, bereits in wenigen Monaten Fahrroboter
auf die Straßen bringen zu können.
Wer den heutigen Stand der Technik kennt, weiß, dass dies nur heiße Luft
ist. Allerdings illustriert die Ankündigungswelle eine neue Realität bei
der Autoindustrie. Was wir heute erleben, ist die Kollision dieser Branche
– die „Industrie der Industrien“ des 20. Jahrhunderts – mit dem IT-Sekt…
der neuen „industry of industries“.
Während ehedem in der Autoindustrie vom Prototyp bis zum Serienprodukt
locker fünf bis zehn Jahre ins Land gehen konnten, muss heute im Tempo der
IT-Industrie geliefert werden. Jedes neue Auto enthält bereits so viel
Elektronik, dass ich meinen Freunden sage, sie kaufen in Wirklichkeit eher
einen Roboter als ein neues Auto. Die Elektronikindustrie testet nicht
jahrelang, es wird sofort geliefert, als „Beta-Version“, wenn es sein muss.
Ein Handy gibt es ja auch jedes Jahr neu, weil es sonst „veraltet“ ist.
## Unfall war vorprogrammiert
Keine anderes Unternehmen hat die Computerisierung des Autos so radikal
forciert wie Tesla in den USA. Bei ihren elektrischen Fahrzeugen wird
Software bereits im Beta-Stadium geliefert und der Kunde kann
Software-Updates über Nacht ins Auto herunterladen. Das Auto, das man heute
fährt, ist vielleicht ein anderes als das von gestern.
Was uns dann zur Rechtsprechung führt: In Deutschland, wo man ohne den TÜV
nicht mal eine Schraube an der Stoßstange ändern darf, kann man dann einen
Tesla über Nacht in ein selbst fahrendes Auto für die Autobahn verwandeln,
ohne dass jemand den Wagen überprüft? Offenbar ja, denn die neue Software
für den Tesla-„Autopiloten“ wurde weltweit über das Internet geliefert,
ohne dass sich der TÜV in Deutschland gemeldet hätte.
Vielen in der deutschen Autoindustrie war klar, dass dies nicht sehr lange
gut gehen würde. Bereits der Name der Software ist komplett irreführend.
Tesla redet vom „Autopiloten“, was beim Fahrer sofort die Assoziation vom
Autopiloten ähnlich wie in Flugzeugen erzeugen kann. Es handelt sich bei
der Software allerdings nur um einen Spurhalteassistenten, also um ein
Programm, das die Spur vor dem Auto erkennt und die Lenkung so steuert,
dass es in der Mitte fährt. Solche Spurhalteassistenten werden in
Deutschland seit mindestens 2009 serienmäßig angeboten, aber nur als
Hilfestellung für den Fahrer vermarktet.
Im Mai dieses Jahres war es dann so weit. Bei einem Unfall in den USA hat
ein Tesla-Fahrer das Auto beim Fahren mit dem Autopiloten nicht überwacht –
wie es gefordert wird – und ist bei einer Kollision mit einem abbiegenden
Lkw umgekommen. Was ist passiert? Die Schwarz-Weiß-Kamera des Fahrzeugs
konnte den weißen Lkw nicht von den weißen Wolken im Hintergrund trennen.
Die Elektronik im Fahrzeug hat sich dann auf die Messungen vom Radar
verlassen. An der Kreuzung war der Lkw nur von der Seite sichtbar,
allerdings war die Plattform so hoch und der Räderabstand so groß, dass der
Bordrechner aus den Radarmessungen eine Brücke zu erkennen glaubte.
Das Unglück hätte vermieden werden können, wenn der Fahrer sich an die
„Spielregeln“ gehalten hätte. Diese besagen, dass ein Auto jederzeit von
einem Fahrer überwacht werden muss. Dies bedeutet, dass auch dann, wenn das
Auto die Spur automatisch hält und der Fahrer die Hände nicht am Steuer
hat, er jederzeit bei Gefahr übernehmen können muss. Das Auto fährt selbst,
aber ich als Fahrer bin immer noch für das Auto und mögliche Unfälle
verantwortlich.
## Fahrer sind keine Nannys
Tesla versichert sich gegenüber dem Fahrer, indem er diese Regel per Klick
im Bordrechner bestätigen muss. Das so etwas natürlich nicht ausreicht, ist
jedem klar. Wenn man bereits beim eigenem Fahren manchmal einschläft, was
wird dann geschehen, wenn man nur noch der Kopilot ist?
Infolge des Unfalls hat Mobileye, die Firma, die die Spur- und
Objektkennung samt Videokamera für Tesla liefert, die Zusammenarbeit
aufgekündigt. Teslas Tempo bei der Einführung der neuen Technologie wollte
sie nicht mehr mittragen.
Die deutsche Autoindustrie sollte gar nicht erst in Versuchung geraten, bei
der Einführung von ungetesteten Funktionen so schnell wie Tesla sein zu
wollen. Als Faustregel gilt, dass 5 Prozent der Kunden jede Innovation
kaufen, auch wenn sie gar nichts bringt. Genau sie sind auch die Kunden von
Tesla, die unfertige Produkte annehmen. Die deutschen Hersteller aber wären
gut beraten, für die restlichen 95 Prozent zu entwickeln – und da kann man
keine Stufen überspringen. Bevor man in der Lage ist, in den Städten
autonome Fahrzeuge einzusetzen – als Sammeltaxis, die dann den Verkehr
spürbar reduzieren –, muss diese Technologie jahrelang und über Millionen
und Abermillionen von Kilometern getestet werden.
Die heutigen sogenannten Autopiloten, bei denen der Fahrer noch als Nanny
des Fahrzeugs unterwegs ist, sind in dieser Form unbrauchbar. Man kann eher
an etwas anderes denken, wenn man selber fährt, als wenn man eine Maschine
überwachen muss. Wenn die Technologie so weit ist, dass das Auto zum
öffentlichen Transportmittel wird und der Fahrer zum Passagier, dann können
wir die Straßen von geparkten Autos befreien und den Fußgängern und
Radfahrern zurückgeben. Dann hätten wir tatsächlich die Autopie.
24 Aug 2016
## AUTOREN
Raul Rojas
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