# taz.de -- Flüchtlinge in Rostock: Ein Linker kuscht vor Neonazis | |
> Nach Protesten und Pöbeleien von rechts zieht der Sozialsenator die | |
> Einrichtung einer Asylunterkunft zurück. | |
Bild: Leere: Hier trafen sich bis vor kurzem deutsche Jugendliche und unbegleit… | |
BERLIN taz | Familien, aufgepasst! Eine Anzeige auf einem Portal für | |
Wohnungssuchende wirbt für eine 4-Zimmer-Wohnung in Rostock-Groß Klein. | |
Schlappe 380 Euro Kaltmiete soll sie kosten, Lage im Grünen, Balkon und | |
Aufzug inklusive. | |
Die 70 Flüchtlinge, die in diesem Jahr aus ihren Sammelunterkünften in ein | |
Haus mit Wohnungen für Großfamilien in den Stadtteil umziehen sollten, | |
hätten all dies sicher zu schätzen gewusst. Doch dazu wird es erst einmal | |
nicht kommen. | |
Denn der Rostocker Sozialsenator, Steffen Bockhahn (Linke), hat eine lange | |
geplante Unterkunft mit abgeschlossenen Wohneinheiten für bis zu 70 | |
Personen [1][bis auf Weiteres gestoppt]. Bockhahn bezieht sich auf | |
Sicherheitsbedenken der Polizei und des Landes-Innenministeriums von | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
In den letzten Wochen waren rechte Gruppen mehrfach vor einem im gleichen | |
Stadtteil gelegenen Begegnungszentrum für minderjährige unbegleitete | |
Flüchtlinge und deutsche Jugendliche aufgetaucht. Die 15 minderjährigen | |
Flüchtlinge, die zusammen mit deutschen Jugendlichen gegenüber dem Zentrum | |
in betreuten Wohngemeinschaften wohnten, wurden denn auch schon in der | |
Vorwoche auf andere WGs in Rostock verteilt. | |
## Kritik von Träger und Ortsbeirat | |
Ausgerechnet ein linker Senator kuscht also gegenüber dem rechten Mob, der | |
gegen Flüchtlinge pöbelt? Und das mitten [2][in einem Landtagswahlkampf], | |
in dem die Alternative für Deutschland mit dem Ziel antritt, stärkste Kraft | |
in Mecklenburg-Vorpommern zu werden? | |
Bockhahns jüngste Entscheidung hat denn auch Unverständnis hervorgerufen. | |
Etwa beim Trägerverein, der die Familien beherbergen wollte. „Da hätte man | |
nicht zurückweichen dürfen“, sagt Wolfgang Richter. Er war 1992 | |
Ausländerbeauftragter der Stadt und half die Bewohner des brennenden | |
Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen zu evakuieren. | |
Verstimmung auch beim Ortsbeirat von Groß Klein, der im vergangen Jahr | |
einstimmig für die Familienunterkunft gestimmt hatte, „Die Stadt knickt | |
ein“, so Vorsitzender Uwe Michaelis. | |
In Bockhahns Partei ist man ebenfalls enttäuscht. Hikmat Al-Sabty, | |
migrationspolitischer Sprecher der Linken, kämpft für ein Direktmandat in | |
Groß Klein. „Das Zeichen ist: Wer lange genug dasteht und pöbelt, bekommt | |
am Ende, was er will. Beschämend.“ Al-Sabty kritisiert allerdings nur | |
Bockhahns Rückzieher beim geplanten Familienzentrum. Die Entscheidung, die | |
Jugendlichen umzusiedeln, sei richtig gewesen. | |
## Rechte zeigen Präsenz | |
Tatsächlich hatte sich die Situation in der Rostocker Plattenbausiedlung | |
(Ausländeranteil 6 Prozent) zugespitzt. Stramme Neonazis machten über | |
Wochen gegen das Begegnungszentrum in Groß Klein mobil. 40 Anhänger kamen | |
im Juni zu einer Kundgebung. Erst vor zwei Wochen tauchten die | |
Rechtsextremen dann vermummt vor einer Sitzung des Ortsbeirats auf, riefen | |
dort dumpfe Parolen. | |
Zuvor schon wurden in einem Einkaufszentrum Flugblätter verteilt. Man sei | |
eine „neue Generation“, stand dort, wolle „einen Funken entzünden“. �… | |
euch auf einen spannenden Sommer gefasst.“ | |
Steuerte Groß Klein auf ein zweites Lichtenhagen zu? 1992 kam es in der | |
Plattenbausiedlung – von Groß Klein nur durch eine Brücke getrennt – zu | |
pogromartigen Szenen. Nein, widerspricht Richter. „Das war eine völlig | |
andere Dimension. Die zivilgesellschaftliche Atmosphäre in Rostock ist | |
heute eine andere.“ Er warne vor naheliegenden Parallelen. | |
Solche ziehen aber die Rechten. Mit einem Transparent – „Unser Kiez, unsere | |
Regeln“ – ließ sich kürzlich ein Dutzend Mitglieder just vor dem | |
Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen ablichten – dort, [3][wo 1992 die | |
Brandsätze flogen]. | |
## „Kindeswohl gefährdet“ | |
Dass ihnen die Stadt mit ihrer Entscheidung Vorschub leistet, ist Bockhahn | |
schmerzlich bewusst. Er sieht sich jedoch eher als Getriebener von | |
Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Den Vorwurf, Druck auf die Stadt | |
Rostock ausgeübt zu haben, weist das mecklenburg-vorpommersche | |
Landesinnenministerium zurück. | |
Es habe zwar „der Stadt Rostock geraten, die unbegleiteten minderjährigen | |
Ausländer aus der Einrichtung in Groß Klein zu nehmen, weil | |
Auseinandersetzungen die Sicherheit der Kinder, mithin das Kindeswohl | |
gefährden könnten“, sagte Ministeriumssprecher Michael Teich. Das sei | |
jedoch auf der Grundlage einer von der Rostocker Sozialbehörde erbetenen | |
Gefährdungsanalyse der Polizei geschehen. | |
„Die Versorgung und Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge | |
fällt natürlich in den Verantwortungsbereich des dortigen Rostocker | |
Sozialsenators“, betonte Teich. Die letztendliche Entscheidung habe daher | |
Senator Bockhahn ganz selbstständig getroffen. | |
## Schon früh Bedenken | |
Wie es heißt, soll die Polizeiinspektion Rostock bereits im Herbst | |
vergangenen Jahres in einer Bewertung der Gefährdungslage zu dem Schluss | |
gekommen sein, dass das Viertel nicht für die Einrichtung einer | |
Flüchtlingsunterkunft geeignet erscheint. Trotzdem habe die Stadt an ihren | |
Plänen festgehalten. Tatsächlich hätte es von der Polizeiinspektion Rostock | |
„von Anfang an Bedenken“ gegen die Standortwahl gegeben, „die das | |
Innenministerium auch teilte“, bestätigt Ministeriumssprecher Teich. | |
Ob und wann die Familienunterkunft eröffnet wird, ist derzeit ungewiss. Das | |
Thema sei nicht vom Tisch, meint Richter. | |
3 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-rechten-Protesten-in-Rostock/!5328826/ | |
[2] /!5320905/ | |
[3] /Kommentar-Aus-fuer-Asylheim-in-Rostock/!5328857/ | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Pascal Beucker | |
Konrad Litschko | |
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