# taz.de -- 17. Comic-Salon in Erlangen: Politik, in Bildern und Sprechblasen | |
> Sie zeichnen gegen Erdoğan und für Frauenrechte in Indien: In Erlangen | |
> prangerten ZeichnerInnen Missstände an – und ihre eigene prekäre Lage. | |
Bild: Feministische Comics aus Indien beim 17. Internationalen Comic-Salon in E… | |
ERLANGEN taz | Wo, verflixt, liegt Yopougon? Wer die Comics von Marguerite | |
Abouet gelesen hat, weiß es. Es ist ein quirliges Viertel in Abidjan, | |
Elfenbeinküste. Die 1971 dort geborene, heute in Paris lebende Autorin hat | |
die Szenarios zur Comicreihe über ihre bekannteste Figur, die hübsche | |
„Aya“, geschrieben, ebenso zu den Serien „Akissi“ und „Bienvenue“. … | |
geht es um ein buntes Ensemble unterschiedlichster Figuren. | |
Die Abouet gewidmete Ausstellung auf dem diesjährigen [1][Comic-Salon in | |
Erlangen] zeigt, wie lebensnah ihre Geschichten sind. Durch ihren | |
leichtfüßigen Humor in Verbindung mit ebensolchen Bildern verschiedener | |
Zeichner entstehen so Comics voller Lebensweisheit. | |
Der alle zwei Jahre stattfindende Internationale Comic-Salon Erlangen ist | |
vor allem ein Seismograf für die Entwicklung der deutschsprachigen | |
Comicszene. Neben der für die Fans wichtigen Comicmesse, bei der man rare | |
antiquarische Comics kaufen oder Lieblingszeichner persönlich treffen | |
konnte, verteilten sich zum diesjährigen 17. Salon auch zahlreiche | |
sehenswerte Ausstellungen über die mittelfränkische Stadt, die die ganze | |
Vielfalt der Kunstform abbildeten und auch thematisch auf der Höhe waren. | |
Während die Attentate auf die Redaktion des Satireblatts Charlie Hebdo nur | |
am Rande thematisiert wurden, ist in der Türkei zu Zeiten des „Kalifen | |
Erdoğan“ Realsatire Alltag. Aber gibt es dort satirische Comics? Wer | |
annahm, dass die Türkei auf diesem Feld ein Entwicklungsland wäre, musste | |
seinen Irrtum angesichts der Ausstellung „Istanbulles“ eingestehen. | |
## Indische Frauen fordern ihre Rechte ein | |
Zahlreiche Exponate zeigten ein reiches Kompendium einer heute lebendigen | |
Comicszene, die in den 1970er bis 80ern ihre Blüte erlebte. Vor allem in | |
satirischen Comiczeitschriften wie Girgir („Spaß“), die Millionen Leser | |
erreichte, entwickelten Künstler wie Oğuz Aral oder Galip Tekin einen | |
derben humoristischen Stil, der an die brachiale Komik des französischen | |
„Fluide Glacial“-Magazins erinnert. | |
Ebenso aufschlussreich: die benachbarte Ausstellung zu indischen Comics. | |
Zunehmend erkennen Künstler deren Ausdrucksmöglichkeiten, um politische | |
Missstände zu thematisieren. So entstanden auch Comics von Frauen | |
(Teilausstellung „Drawing the Line – Indian Women fight back“), die | |
zeichnerisch ihre Rechte einfordern. | |
Die Flüchtlingsthematik wurde von der Fakultät Gestaltung der Hochschule | |
Augsburg aufgegriffen. Für die „Geschichten aus dem Grandhotel“ | |
recherchierten die Studenten in einer Flüchtlingsunterkunft ihrer Umgebung. | |
Es entstanden Geschichten, die berühren und formal überzeugen. | |
Stargast des Salons war der 1947 geborene japanische Zeichner Jiro | |
Taniguchi. In der ihm gewidmeten zentralen Ausstellung „Der träumende Mann“ | |
werden nicht nur Originalseiten seiner meditativen Graphic Novels um durch | |
Städte flanierende, ihren Erinnerungen nachspürende Protagonisten gezeigt, | |
für die er hierzulande bekannt ist. Auch die Qualität seiner frühen | |
Genrearbeiten um Boxer oder Samurais wird deutlich, grafisch werden | |
Einflüsse frankobelgischer Meister wie Moebius sichtbar. Heute ist | |
Taniguchi im Westen bekannter als in Japan, wo jüngere Mainstream-Zeichner | |
verehrt werden. | |
## Deutsche Zeichner verdienen zu wenig | |
Die deutsche Mangaka-Zeichnerszene wurde ebenfalls in einer Ausstellung | |
gewürdigt, wobei jede/r ZeichnerIn sich um einen individuellen grafischen | |
oder auch thematischen Stil bemüht, dabei jedoch auch oft genretypischen | |
Klischees verhaftet bleibt. Nicht zuletzt widmete sich ein nach Vorbild | |
eines Saloons gestalteter Raum dem 70-jährigen Lucky Luke. In guten | |
Reproduktionen einiger Originalzeichnungen ließ sich die raffinierte | |
Arbeitsweise von Morris erkennen, die sich hinter der Leichtigkeit seiner | |
Zeichnungen verbirgt. | |
Zahlreiche Podiumsdiskussionen hinterfragten kritisch Gegebenheiten der | |
deutschen Comicszene oder benannten Spannungen zwischen den Lagern. So ist | |
die wirtschaftliche Lage vieler Comiczeichner prekär. Über Crowdfunding | |
oder Webcomics versuchen Zeichner, ihre Leserschaft zu vergrößern und neue | |
Einnahmequellen zu finden, suchen Alternativen im Ausland. | |
An Kunsthochschulen werden Zeichner höchstens bei | |
Graphic-Novel-Experimenten unterstützt, eine echte professionelle | |
Ausbildung für Zeichner klassischer Comics und für Szenaristen, wie sie in | |
den funktionierenden Märkten in den USA oder dem frankobelgischen Raum | |
existieren, sucht man vergebens. Ebenso werden fast ausschließlich als | |
Graphic Novels klassifizierte Comics mit Preisen ausgezeichnet, was manchem | |
Zeichner, aber auch Comicfan sauer aufstößt. | |
## Preis für Comic über DDR-Zwangsarbeit | |
Auch bei der diesjährigen Preisverleihung zeigt sich die Dominanz der | |
Graphic Novels. Birgit Weyhes Geschichten „Madgermanes“ über | |
mosambikanische (Zwangs-) Arbeiter in der DDR wird als „Bester | |
deutschsprachiger Comic“ ausgezeichnet – dank der originellen, | |
allegorischen Bildsprache der Künstlerin eine würdige Auszeichnung. Ebenso | |
erhält Katharina Greve zu Recht für ihre innovative wie witzige | |
[2][Webserie „Das Hochhaus“] den Preis für den „Besten Strip“. | |
Barbara Yelin wurde als „Beste deutschsprachige Künstlerin“ ausgezeichnet, | |
obwohl ihr Werk noch überschaubar ist. Offenbar werden jüngere Vertreter | |
der Sektion „Graphic Novel“ bevorzugt, während ältere Künstler wie Andre… | |
(Andreas Martens), ein Meister des fantastischen Erzählens, nach langer | |
Zeit in Deutschland wiederentdeckt wird, in Erlangen aber noch keinen Hut | |
gewann. | |
Künstlerisch vollendete, im besten Sinne europäische Werke wie Alfreds | |
„Come Prima“ oder auch „Ozean der Liebe“ von Panaccione/Lupano gingen b… | |
Preis um den „Besten Internationalen Comic“ leer aus, während die zwar | |
stimmungsvolle, aber inhaltlich recht banale kanadische Coming-of-Age-Story | |
„Ein Sommer am See“ der Geschwister Jillian und Mariko Tanaki zum | |
Meisterwerk stilisiert wurde. | |
Voll in Ordnung geht es, den „Sonderpreis für ein herausragendes | |
Lebenswerk“ der Comicrevoluzzerin Claire Bretécher („Die Frustrierten“, | |
„Agrippina“) zu verleihen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen | |
konnte. | |
30 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.comic-salon.de/de | |
[2] http://www.das-hochhaus.de/ | |
## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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