| # taz.de -- Fluchtwege nach Europa: Balkanroute noch gefährlicher | |
| > Noch immer sind tausende Migranten auf dem Balkan unterwegs. | |
| > Grenzschließungen zwingen sie, auf riskantere Routen über Bulgarien | |
| > auszuweichen. | |
| Bild: Geflüchtete an der ungarisch-serbischen Grenze. Noch immer sind Tausende… | |
| BUDAPEST ap | Grenzen sind dicht, Zäune errichtet, und Flüchtlinge werden | |
| von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt. Dennoch reisen weiterhin | |
| Tausende Migranten und Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Westeuropa durch | |
| Ungarn. | |
| Seit Jahresbeginn nahmen die ungarischen Behörden fast 11.000 Menschen | |
| wegen des Versuchs in Gewahrsam, den Stacheldraht an den Grenzen zu Serbien | |
| und Kroatien zu überwinden. Die meisten von ihnen setzten nach Angaben der | |
| Regierung und von Hilfsorganisationen später ihre Reise nach Österreich, | |
| Deutschland und andere Ziele in Europa fort. | |
| Anstatt über den Seeweg von der Türkei nach Griechenland kamen einige der | |
| Neuankömmlinge über die [1][gefährliche Route von der Türkei durch | |
| Bulgarien und dann nach Serbien]. Dort trafen täglich etwa 100 Menschen | |
| ein. Zwar beträgt die Zahl der in Ungarn ankommenden Migranten nur noch | |
| einen Bruchteil des Ausmaßes auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im | |
| vergangenen Jahr. Doch der Zustrom hält an, weswegen sich die | |
| österreichische Regierung gezwungen sah, ihre Kontrollen an der Grenze zu | |
| Ungarn wieder einzuführen. | |
| Aus Sicht der Vereinten Nationen hat sich die Gesamtlage indes kaum | |
| verbessert. „Einen Zaun vor Flüchtlingen zu errichten kann nicht die | |
| Antwort sein, es hat das Problem selbst nicht gelöst“, sagt Babar Baloch, | |
| Mitteleuropa-Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. „Egal, welchen | |
| Kurs die ungarische Regierung einschlägt – sie hilft damit weder sich | |
| selbst noch den Flüchtlingen oder der EU.“ | |
| Die Regierung in Budapest hält den Zaun dagegen immer noch für einen | |
| Erfolg. „Die vorübergehende Grenzversiegelung – landläufig als Zaun | |
| bezeichnet – hat die Erwartungen erfüllt, denn seit ihrer Errichtung ist | |
| die Zahl unerlaubter Grenzüberschreitungen drastisch gesunken“, sagt | |
| Regierungssprecher Zoltan Kovacs. | |
| ## Gefährlicher Weg über Bulgarien | |
| Laut Polizeistatistik ging die Zahl der an der Grenze festgenommenen | |
| Flüchtlinge von fast 47 000 zwischen Januar und April 2015 zurück auf 10 | |
| 309 im gleichen Zeitraum dieses Jahres. Die meisten der Asylsuchenden kamen | |
| aus Afghanistan, Pakistan und dem Irak, gefolgt von Marokko, dem Iran, | |
| Syrien und Algerien. Im vergangenen Jahr hatte Syrien noch die Liste | |
| angeführt und lag vor Afghanistan und dem Kosovo. | |
| Einige der Neuankömmlinge sitzen in einem Aufnahmelager in der Stadt | |
| Bicske, gut 40 Kilometer westlich von Budapest, und schmieden Pläne. Der | |
| Schüler Matiullah aus der ostafghanischen Stadt Dschalalabad etwa will es | |
| bis nach Deutschland schaffen und dort weiter zur Schule gehen. Seinen | |
| Nachnamen will er aus Sorge um seine Familie in der Heimat nicht nennen. Er | |
| hat drei jüngere Geschwister, sein Vater ist Polizist. | |
| „Ich bin mit dem Einverständnis meines Vaters weggegangen, weil Daesch mich | |
| entführen wollte“, erklärt er und verwendet dabei die arabische Abkürzung | |
| für die Terrormiliz Islamischer Staat. „Wenn ich in Ungarn bleibe, habe ich | |
| Angst, dass ich zurückgeschickt werde.“ Der Urdu sprechende Jugendliche hat | |
| nach eigenen Worten mehr als einen Monat gebraucht, um Ungarn zu erreichen. | |
| Schleuser hätten ihn über eine Route durch den Iran, die Türkei, Bulgarien | |
| und Serbien dorthin gebracht. | |
| Bulgarien gilt als gefährlichere Strecke als Griechenland. Denn dort steht | |
| nicht nur ein Grenzzaun, sondern es gibt auch Berichte über | |
| flüchtlingsfeindliche Bürgerwehren und Schikanen durch die Polizei. | |
| Die Regierung in Budapest räumt ein, dass die Mehrheit der Asylsuchenden in | |
| Ungarn nicht im Land bleiben will. Obwohl bei den Behörden seit Anfang des | |
| Jahres fast 13 400 Asylanträge eingingen, hielten sich nur weniger als 2300 | |
| der Antragsteller Anfang Mai noch in den Aufnahmezentren auf. „Während | |
| immer mehr (Flüchtlinge) die Entscheidung über ihre Anträge abwarten, sieht | |
| eine beträchtliche Zahl Ungarn weiterhin als Transitland an“, sagt | |
| Regierungssprecher Kovacs. | |
| ## Kaum Aussicht auf Asyl | |
| Für Hilfsgruppen und Unterstützer der Vertriebenen ist das keine | |
| Überraschung. „Flüchtlinge glauben nicht, dass sie große Chancen haben, in | |
| Ungarn Asyl zu erhalten“, sagt Marta Pardavi, Mitvorsitzende der | |
| Menschenrechtsorganisation Ungarisches Helsinki-Komitee. Bis Ende März | |
| gewährte Ungarn Statistiken zufolge 154 Menschen Asyl oder einen anderen | |
| internationalen Schutzstatus. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 508 | |
| Menschen. | |
| „Es ist offensichtlich, dass Ungarn die Flüchtlinge hier nicht haben will“, | |
| sagt UNHCR-Sprecher Baloch. „Es versucht, die Verantwortung abzuschieben | |
| anstatt sie angesichts der anhaltenden Flüchtlingskrise in Europa zu | |
| teilen.“ | |
| Wegen der Überfüllung von Aufnahmeeinrichtungen wie in Bicske eröffnete | |
| Ungarn in der vergangenen Woche ein Zentrum in der östlichen Stadt Kormend | |
| an der Grenze zu Österreich wieder. Dort können bis zu 300 Menschen in | |
| Großzelten untergebracht werden. | |
| Österreich verschärfte unterdessen – kurz nach der Wiedereinführung der | |
| Grenzkontrollen zu Ungarn Ende April – seine Patrouillen in dem Gebiet. | |
| Falls sich die Maßnahmen als effektiv erweisen, wird die Zahl der in Ungarn | |
| festsitzenden Migranten ansteigen. | |
| „Die Situation derzeit ist zu bewältigen, auch wenn die ungarischen | |
| Einrichtungen überfüllt sind“, sagt Menschenrechtlerin Pardavi. „Dieser | |
| Trend könnte sich ändern, wenn Österreich die ungeregelte Einreise von | |
| Flüchtlingen, die ihre Anträge in Ungarn gestellt haben, nicht mehr | |
| toleriert. Es wird einfach keinen Platz mehr für alle geben.“ | |
| 8 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Fluchtwege-nach-Europa/!5297523/ | |
| ## AUTOREN | |
| Pablo Gorondi | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Balkanroute | |
| Ungarn | |
| Bulgarien | |
| Fluchtrouten | |
| Flüchtlinge | |
| Ungarn | |
| Bulgarien | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| EU-Flüchtlingspolitik | |
| EU-Kommission | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Europäische Union | |
| Afghanische Flüchtlinge | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Fluchtrouten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bericht über die Balkan-Route: Geflüchtete willkürlich misshandelt | |
| Ein gemeinsamer Bericht dreier Organisationen legt jetzt offen: Auf der | |
| Balkan-Route sind Flüchtlinge oft systematischer Gewalt und Brutalität | |
| ausgesetzt. | |
| Schleuser riskiert Menschenleben: Flüchtlinge in der Kälte ausgesetzt | |
| Bei Rosenheim ließ ein Schleuser seinen Transporter mit 19 Migranten | |
| einfach auf einem Parkplatz stehen – bei eisigen Temperaturen. | |
| Flüchtlinge auf der Balkanroute: Ungarn plant zweiten Grenzzaun | |
| Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban fürchtet ein Scheitern des | |
| Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Deshalb will er den bestehenden Zaun | |
| ergänzen. | |
| Rechtsextreme Milizen in Bulgarien: Auf Flüchtlingsjagd | |
| „Kennt man die Gefahr, kann man sich vorbereiten“, sagt Vladimir Rusev. Der | |
| Ex-Militär organisiert den Einsatz freiwilliger Grenzpatrouillen. | |
| Pentagon spricht von 45 Prozent: IS-Territorien im Irak zurückerobert | |
| Nach Angaben des Pentagon hat die Anti-IS-Koalition 45 Prozent des | |
| IS-Territoriums im Irak zurückerobert. In Syrien seien es zwischen 16 und | |
| 20 Prozent. | |
| Interaktive Grafik: Neue Wege nach Europa | |
| Aktuelle Daten des UNHCR zeigen, dass sich eine neue Fluchtroute etabliert. | |
| Wie eine Balkanroute über Bulgarien entsteht. | |
| Flüchtlingspolitik in Europa: EU-Parlamentarier für Schengen | |
| Abgeordnete im EU-Parlament fordern ein Ende der Grenzkontrollen. Die | |
| Kommissionspläne über ein neues Asylpaket kritisieren sie als unzureichend. | |
| Flüchtlinge in Griechenland: Verzweifelter Protest | |
| Einige Flüchtlinge in Griechenland treten in den Hungerstreik. Andere | |
| wollen sogar zurück zur türkischen Küste schwimmen. | |
| Menschenrechtler kritisieren Türkei: Grenzer töten syrische Flüchtlinge | |
| Türkische Grenzwachen gehen mit Schusswaffen gegen Flüchtlinge aus Syrien | |
| vor, sagt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. | |
| Kommentar Flüchtlingspolitik der EU: Ablasshandel statt Reform | |
| Die EU wollte ihre Flüchtlingspolitik neu ordnen, scheitert aber: Die | |
| vorgeschlagenen Mechanismen sind unausgegoren und realitätsfern. | |
| Die neue Balkanroute: Ungarns Transitzone | |
| Flüchtlinge warten an der Grenze zu Serbien darauf, ins Land gelassen zu | |
| werden. Alleinreisende Männer haben schlechte Chancen. | |
| Fluchtwege nach Europa: Die neue Balkanroute | |
| Laut UNHCR schaffen es täglich zwischen 30 und 40 Flüchtlinge aus | |
| Griechenland über Bulgarien nach Serbien. Vermutlich sind es mehr. | |
| Essay Linke und Flüchtlingspolitik: Jeder einzelne Mensch zählt | |
| Mit der Abschottung Europas sind auch viele Linke erleichtert, weil weniger | |
| Flüchtlinge kommen. Aber für Flüchtlinge bedeutet sie neues Leid. | |
| Interaktive Grafik zu Fluchtrouten: Wie sich die Wege verschieben | |
| Die EU-Grenzpolitik will Flüchtlinge von Europa fernhalten. Doch es | |
| entstehen neue Routen. Wie politische Entscheidungen die Wege nach Europa | |
| verändern. |