| # taz.de -- Die neue Balkanroute: Ungarns Transitzone | |
| > Flüchtlinge warten an der Grenze zu Serbien darauf, ins Land gelassen zu | |
| > werden. Alleinreisende Männer haben schlechte Chancen. | |
| Bild: Flüchtlinge im Niemandsland zwischen serbischer und ungarischer Grenze | |
| Röszke taz | „Mein Name ist Salim, das heißt auf Persisch gesund – aber | |
| meine Seele ist gebrochen.“ Der 23 jährige afghanische Flüchtling mit den | |
| Mandelaugen steht im Niemandsland zwischen Serbien und Ungarn. Er spricht | |
| fließend Englisch. Um ihn herum lehnen erschöpfte junge Männer am | |
| Grenzzaun. Seit zehn Tagen warten sie hier auf den Einlass in Ungarns | |
| Transitzone bei Röszke. Eine Frau sitzt in sich zusammengesunken auf dem | |
| Boden, nur ein vierjähriges Kind springt lustig herum. Es stinkt. | |
| Hier gibt es keine sanitäre Anlagen und einen einzigen Wasserhahn. Man will | |
| nicht daran denken, wie eine Frau, die menstruiert, mit dieser Situation | |
| umgeht. Die Zelte der Flüchtlinge sind aus Müll, Decken hat ihnen das | |
| UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gegeben. Auch Essen und Wasser kommt vom | |
| UNHCR, genauso wie die ärztliche Versorgung im Notfall. | |
| Dabei ist die Transitzone nur wenige Meter entfernt. Hier lassen ungarische | |
| Grenzpolizisten pro Tag 20 Asylsuchende das Land betreten und einen | |
| Asylantrag stellen. Die Einrichtung sieht aus wie ein Hühnerkäfig: ein paar | |
| hundert Meter langer schmaler Zaunstreifen mit 50 bis 60 | |
| Containerwohnungen. Außer einem Bett und sanitären Anlagen gibt es hier | |
| nichts, nicht einmal WLAN. Nach Angaben des ungarischen Helsinki-Komitees | |
| für Menschenrechte entspricht das den Zuständen in einem Gefängnis. | |
| Es kann lange dauern, bis man von hier aus in ein Flüchtlingslager gelangt. | |
| Bei Familien mit Kindern geht es schneller; ein allein reisender Mann wie | |
| Salim hat schlechte Karten. Sein Asylverfahren wird noch in der Transitzone | |
| in die Wege geleitet. Wird er abgelehnt, muss er eigentlich nach Serbien | |
| zurück. Doch Serbien will keine Flüchtlinge zurücknehmen. Also bleibt den | |
| ungarischen Behörden nur übrig, ihn trotz Ablehnung in ein ungarisches | |
| Flüchtlingslager zu bringen. | |
| ## 9.514 Einreisen trotz Zaun | |
| Offiziell können Asylsuchende Ungarn durch die Transitzone betreten – oder | |
| inoffiziell durch Überschreiten des Grenzzauns. Letzteres taten zwischen | |
| Januar und Ende April 9.514 Menschen. Der erste offizielle Asylantrag wurde | |
| am 21. Februar gestellt. Seitdem wurden fast 3.000 Anträge eingereicht, vor | |
| allem von Afghanen, Pakistanern, Irakern – und seit der Abschluss des | |
| EU-Türkei-Pakts auch immer mehr Syrern. | |
| Salim hat Schmerzen im Bein. Ein Taliban habe ihn angeschossen, erzählt er. | |
| „Meine Familie hat Geld zusammengekratzt und mich nach Europa geschickt, | |
| damit ich euch erzähle, wie schrecklich es uns geht.“ Er hat einen | |
| Universitätsabschluss und eine Tante in Österreich. Zu der will er. | |
| ## Angelogen von Schleppern | |
| Salim ist noch vor der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze nach | |
| Europa gereist. In Slowenien wurde er zurückgewiesen. Danach hat er zwei | |
| Monate im Flüchtlingslager im serbischen Preševo gewartet. Dort haben ihn | |
| Schlepper angelogen: Sie sagten, dass es an der serbisch-ungarischen Grenze | |
| ein Flüchtlingslager gäbe, wo die Einreise nach Ungarn leicht wäre. | |
| Salim ist frustriert. Immer wieder werden Familien mit Kindern in die | |
| Transitzone gelassen. Sie haben Vorrang vor allen anderen, auch vor | |
| Kranken. Die UNHCR-Mitarbeiter berichten von einem Flüchtling, der auf | |
| Dialyse angewiesen ist – und trotzdem tagelang im Niemandsland warten | |
| musste. Familien werden auseinandergerissen, wenn die tägliche Quote | |
| überschritten ist. Allein reisende Männer wie Salim bleiben immer wieder | |
| draußen. | |
| Es liegt im Interesse der ungarischen Regierung, dass die Asylsuchenden ein | |
| möglichst schlechtes Bild ihres Landes erhalten. Menschenrechte spielen | |
| keine Rolle. Vor Kurzem wurde ein Syrer mit einem amputierten Bein im | |
| ersten Obergeschoss eines Flüchtlingsheims untergebracht. Auf die Frage, | |
| warum er nicht im Erdgeschoss bleiben durfte, wurde ihm beschieden: „Wenn | |
| du es mit einem halben Bein aus Syrien nach hier geschafft hast, dann | |
| schaffst du es auch ins Obergeschoss.“ | |
| ## Flüchtlinge kommen weiter | |
| Trotzdem werden weiter Flüchtlinge nach Ungarn kommen, prognostiziert | |
| UNHCR-Sprecher Ernő Simon. „Solange es in Syrien Krieg gibt und im Irak, in | |
| Afghanistan und in Afrika bewaffnete Konflikte und Krisen, müssen sie | |
| weiter um ihr Leben fürchten und fliehen.“ Ob der EU-Türkei-Pakt den | |
| Flüchtlingsstrom erfolgreich eindämmen kann, sei fragwürdig. „Das | |
| Kernproblem ist nicht, wie Asylsuchende aufgehalten werden können, sondern | |
| wie die Türkei ihnen ein menschenwürdiges Leben sichern kann, damit sie die | |
| tödliche Reise übers Meer nicht antreten müssen.“ | |
| Für Salim gibt es kein Zurück. Er harrt weiter vor der Transitzone aus. Für | |
| die ungarische Regierung heißt es weiterhin, durch eine Politik des | |
| zögerlichen Durchwinkens den Anschein zu erregen, tatkräftig das eigene | |
| Land vor Flüchtlingen zu schützen. | |
| 4 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Frenyo | |
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