# taz.de -- Rechtsextreme Milizen in Bulgarien: Auf Flüchtlingsjagd | |
> „Kennt man die Gefahr, kann man sich vorbereiten“, sagt Vladimir Rusev. | |
> Der Ex-Militär organisiert den Einsatz freiwilliger Grenzpatrouillen. | |
Bild: Die Privatmilizen suchen an der Grenze zu Griechenland und der Türkei na… | |
VARNA/BURGAS/MALKO TARNOWO taz | Als es wieder passiert, klingelt eines | |
seiner drei Telefone auf dem vollgeaschten Tisch. Vladimir Rusev legt den | |
Kopf zurück, der Blick geht ins Leere, der Schnauzbart hebt sich. Dann legt | |
er auf. „Wieder Frankreich“, sagt er. | |
Zwei Stunden zuvor haben Islamisten in der Normandie eine Kirche überfallen | |
und den Pfarrer getötet. Zwei Attentäter, die Polizei hat sie erschossen, | |
steht auf den Nachrichtenseiten. | |
„Stimmt nicht“, sagt Rusev. | |
Bitte? | |
„Sie hatten noch zwei Helfer, die konnten fliehen.“ | |
Die Agenturen schreiben davon nichts. | |
„Aber unsere Kontakte haben es mir gerade gesagt.“ | |
Welche Kontakte? | |
„Geheimdienst. Polizei. Ehrliche Leute, die helfen, dass wir in Frieden | |
leben können.“ | |
Ein Vormittag bei der Veteran Military Union Vassil Levski (VLMU), | |
Bulgariens größter Bürgerwehrtruppe, nach eigenen Angaben 26.000 Mitglieder | |
stark, viele davon aus den Reihen des Militärs oder Polizei. „Freiwillige | |
Grenzpatrouillen zum Schutz von Europas Südgrenze und dem Vaterland“, so | |
nennen sie sich. | |
## Ein Zusammenschluss extrem rechter Gruppen | |
Abgrundtief misstrauen sie Medien und Staat, seit neuestem sind sie mit | |
extrem rechten Gruppen aus ganz Europa zu einer Allianz vereint. Gegründet | |
wurde sie unter anderem von Tatjana Festerling. Die einstige | |
Pegida-Aktivistin hat die einzelnen Initiativen miteinander vernetzt und | |
dem Bündnis ein Label verpasst: „Fortress Europe“. | |
Rusev ist der Chef, ein pensionierter Kommandant der bulgarischen Armee, | |
etwa 60 Jahre alt. Er hat den Schädel rasiert, in der Mitte ist ein | |
Streifen stehengeblieben. Er trägt eine Militärhose, im Kragen steckt eine | |
Porsche-Sonnenbrille. Ein Facebookprofil, das er mitbetreibt, trägt den | |
Namen „Viktor Kalashnikov“, das Balkan Investigative Reporting Network | |
schreibt, er habe in der Ukraine auf Seiten der Russen gekämpft. | |
Das Hauptquartier der Bürgerwehr ist da, wo er ist, und jetzt ist es das | |
Dachgartencafe im Picadilly Park Einkaufszentrum von Varna. Es läuft | |
Technopop, kahlrasierte Männer und stark geschminkte Frauen sitzen auf | |
schwarzen Ledersofas, um einen Tisch hockt ein halbes Dutzend von Rusevs | |
Milizionären in Zivil. | |
Sie rauchen Zigaretten und auf ihren Smartphones lesen sie die Nachrichten | |
vom Anschlag in der Normandie am Morgen, und jenem in Ansbach, zwei Tage | |
zuvor. Der Ansbach-Attentäter hätte nach Bulgarien abgeschoben werden | |
sollen. | |
## An der Facebook-Front gegen die Volksverräter | |
Da kommt er, der Krieg, den sie hier schon lange erwarten. | |
„Das wird jetzt immer schlimmer“, sagt Rusev. „Die Anschläge werden jetzt | |
häufiger, mit höheren Opferzahlen.“ | |
Er spricht, ohne vom Laptop aufzublicken, tippt seine Version des | |
Geschehens ein, an der Facebook-Front gegen die Volksverräter. In der | |
Gedankenwelt der Milizionäre ist Europa in höchster Gefahr: Erdogan, der | |
IS, das US-Kapital, jüdische Finanziers wie George Soros, alle wollen es | |
zerstören. Ihre Waffe: Die Flüchtlinge. Sie ruinieren Wirtschaft, | |
Sozialsysteme, Staatsfinanzen. Und sie bringen den Dschihad. | |
Es gebe Berichte, sagt Rusev, er habe sie über pensionierte Polizisten | |
bekommen. Laut Informationen von CIA und BND seien demnach „10 bis 30 | |
Prozent“ der Immigranten IS-Schläfer. „Trainiert, willig zu | |
Selbstmordattentaten.“ | |
Die Regierungen Europas: Unfähig oder gekauft. Die Medien: Sicher gekauft. | |
Der Anschlag von München? | |
„Lächerlich, dass die Deutschen sagen, der Attentäter war rechtsradikal“, | |
sagt Rusev. Seine Leute hätten herausgefunden, dass er aus Nordsyrien | |
stammt. Ein IS-Schläfer. „Zwei der Toten waren seine Mittäter. Die Polizei | |
hat sie erschossen, die Medien verheimlichen das.“ | |
Warum? | |
„Es soll nicht rauskommen, dass es eine dschihadistische Gruppe war.“ | |
Warum? | |
„Das macht die Menschen wehrlos. Kennt man die Gefahr, kann man sich | |
vorbereiten. Kennt man sie nicht, gibt es mehr Opfer.“ | |
## Furchterregende Sturmhauben | |
800 Freiwillige der VLMU patrouillieren zu jeder Zeit entlang der Grenze | |
zur Türkei und Griechenland, behauptet Rusev. Drei Tage zuvor war er das | |
letzte Mal selbst dort. Er zeigt Bilder, Milizionäre in Kampfanzügen, mit | |
furchterregenden Sturmhauben. Die würden sie nur aufsetzen „wenn Fotos | |
gemacht werden“. Der IS habe „ein Kopfgeld“ auf sie ausgesetzt. | |
Ihre Videos zeigen sie beim „Feldtraining“, wie sie es nennen, im Wald, mit | |
Gewehren. „Das sind Airsoft-Waffen“, Druckluftwaffen, die bei einem | |
taktischen Geländespiel eingesetzt werden. „Wenn wir an die Grenze gehen, | |
sind wir unbewaffnet.“ Warum die Schießübungen? „Wir wollen vorbereitet | |
sein, falls wir das Land verteidigen müssen.“ Gegen? „Es könnte eine | |
Aggression aus Richtung Türkei geben.“ | |
Zudem müssten sie mit Angriffe der Migranten rechnen. „Alle, die illegal | |
kommen, haben Drogen genommen. Kokainpaste“, er reibt den Finger am | |
Zahnfleisch, „so haben sie mehr Ausdauer. Und viele haben Waffen.“ | |
2012 hat Rusev der Regierung ein „Ultimatum gestellt“, sagt er. Sie sollte | |
einen Zaun gegen die Immigranten bauen. Seit 2015 gibt es den, aber „der | |
ist nur fürs Fernsehen, den können sie einfach durchschneiden.“ Der Zaun | |
ist 95 Kilometer lang, die Grenze zur Türkei und Griechenland misst 750 | |
Kilometer. | |
## 28 seltene Amphibienarten | |
Also fahren Rusevs Freiwillige los, mit Autos, Schlafsäcken, | |
Antimückenspray und Nachtsichtgeräten. Sie patrouillieren vor allem im | |
Nationalpark von Strandzha. 28 seltene Amphibienarten soll es hier geben, | |
die EU hat ein paar Radwanderwege bezahlt. Straßen gibt es nur wenige. | |
Stundenlang kann man in unberührten Eichenwäldern herumfahren. | |
Die Grenze ist unmarkiert, am einzigen offiziellen Übergang rosten Autos | |
vor sich hin, wohl von Verhafteten zurückgelassen. Die meisten Flüchtlinge, | |
die es trotz des geschlossenen „humanitären Korridors“ auf dem Balkan nach | |
Mitteleuropa schaffen, kommen hier entlang. In der Woche nach dem Putsch in | |
der Türkei hat die Regierung in Bulgarien 500 Flüchtlinge verhaftet, doch | |
längst nicht alle werden aufgegriffen. | |
Malko Tarnowo, 3.000 Einwohner, ist die einzige Stadt im Strandzha-Gebirge. | |
Auf dem Dach der orthodoxen Kirche glänzen goldene Schindeln. Zwischen | |
hohen Linden quillt ein Bach hervor, im Schatten sitzen ein paar Frauen und | |
bieten gestickte Deckchen an. Ein Jeep parkt neben der Stadtverwaltung. | |
Zwei Grenzpolizisten steigen aus. Das schwarze „Border Police“ T-Shirt | |
steckt in der Armeehose. Die Frau öffnet ihren Zopf, sie setzen sich an | |
einen Tisch des einzigen Cafes und bestellen Frappée. Ihre Nachtschicht ist | |
vorbei, ein Anwohner setzt sich zu ihnen. Die Situation sei „schlecht“, | |
sagen sie. „Zwei Millionen sind nach Europa rein, keiner weiß, wie viele | |
Kriminelle das sind.“ Dann brechen die Polizisten auf. | |
## Arabische Warnschilder kleben an den Bäumen | |
Zurück bleiben die Einheimischen, die die Sache selbst in die Hand nehmen. | |
Die Milizionäre um Rusev schlafen im Wald, kleben Schilder an die Bäume: | |
„Die Balkanroute ist zu, kehrt um“, auf Arabisch. | |
Mit dabei war vor kurzem auch die Deutsche Festerling. Sie postete Bilder | |
von sich mit vermummten Männern im Gebüsch. Danach rief sie die „Männer | |
Europas, möglichst Veteranen aus Militär und Polizei“ auf, sich den | |
Milizionären anzuschließen und sich der „Massenvernichtungswaffe Islam“ | |
entgegenzustellen. Die Polizei leitete ein Ermittlungsverfahren wegen | |
„Anwerbens für einen fremden Wehrdienst“ ein. | |
Was tun sie, wenn sie Flüchtlinge treffen? | |
„Sie sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten,“ sagt Rusev. „W… | |
stellen ihnen Fragen, wir klären sie auf, dass sie illegal sind und | |
zurückgehen sollen.“ | |
Und wenn sie das nicht tun? | |
„Wir tun ihnen nichts,“ behauptet er. „Wir rufen dann die Polizei.“ | |
## Afghanische Flüchtlinge, mit Kabelbindern gefesselt | |
Berichte über Misshandlungen von Flüchtlingen durch die bulgarische Polizei | |
sammelt die NGO Bordermonitoring.eu seit langem. Nach ihrer Zählung starben | |
seit 2015 mindestens sieben Flüchtlinge an der bulgarischen Grenze, meist | |
unter ungeklärten Umständen. Den Bürgerwehren war lange keine Gewalt | |
nachzuweisen, was auch daran liegen kann, dass Flüchtlinge sie für | |
Polizisten hielten. | |
Neben Rusevs VLMU gibt es drei weitere Milizen: Die „Organisation für den | |
Schutz der bulgarischen Bürger“ (OPBC), den „Nationalen Bulgarischen | |
Widerstand“ und das „Bürgergeschwader für den Schutz der Frauen und des | |
Glaubens“ des Milizionärs Peter Nizamov. Sie eint die Feindschaft gegen | |
Flüchtlinge, Türken, Roma und Muslime, die 13 Prozent der bulgarischen | |
Bevölkerung ausmachen. | |
Dennoch stehen nach einer Umfrage 55 Prozent der Bulgaren hinter den | |
nationalistischen Milizen. Am 6. April verlieh der Chef der Grenzpolizei | |
der OPBC einen Orden. Am 9. April dankte Ministerpräsident Boyko Borissov | |
den Bürgerwehren für ihre „willkommene Hilfe“. | |
Doch dann tauchte im Internet ein Video auf. Es zeigt, wie Nizamov im | |
Strandza-Gebirge zwei afghanische Männer auf dem Boden mit Kabelbindern | |
fesselt, ihre Köpfe packt, sie schüttelt und „No Bulgaria“, „Go back | |
Turkey“ sagt. Sie seien getreten und geschlagen worden, sagen sie | |
hinterher. Es gab internationale Proteste. Die Regierung ließ Nizamov | |
daraufhin in seinem Haus in Malko Tarnowo unter Arrest stellen. Mitte Juli | |
kam er gegen eine Kaution von 1.500 Euro frei. Die Hauptverhandlung steht | |
demnächst an, ihm drohen mehrere Jahre Haft. | |
## Besuch von Tatjana Festerling | |
Auch ihn besuchte die Pegida-Frau Tatjana Festerling kürzlich im | |
Hausarrest. „So sieht ein Freiheits-Kämpfer aus!“ postete sie .Und während | |
sie nach den Anschlägen in Deutschland der Kanzlerin ein „blaues Wunder“ | |
androht und vor dem Reichstag „Islamverbot jetzt“ fordert, sitzt ihr | |
Kamerad Rusev in seinem improvisierten Hauptquartier am Cafétisch und | |
postet auf Facebook gegen die angeblichen Lügen der Presse an. | |
Dass der Türkei-Deal hält, glaubt er nicht. „Erdogan wird 3 bis 5 Millionen | |
Migranten grünes Licht geben“, sagt er. Das werde zu einem Bürgerkrieg | |
führen. „Vielleicht schon nächstes Jahr.“ | |
4 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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