Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erster AfD-Bürgermeister: Der nette Herr Lupart
> Er ist 64 Jahre alt, 14 davon war er Bürgermeister im Vogtland. Ulrich
> Lupart belohnt die Sauberkeit seiner Bürger mit Wurst. Schwule mag er
> nicht.
Bild: Seit 2002 ist Lupart, 64, Bürgermeister – der einzige in Deutschland, …
Es geht ja mit den kleinen Dingen los. Als der Kreistag des
Vogtlandkreises, dem Ulrich Lupart seit 20 Jahren angehört, zum ersten Mal
tagt, steht Coca-Cola auf dem Tisch. „Ich wünsche, dass hier unsere
einheimischen Produkte auf den Tisch kommen“, sagt Lupart. Bad Brambacher
Sprudel zum Beispiel. Weg war die Cola. Identität ist wichtig, meint Ulrich
Lupart. 20 Jahre später hält er die Identität für gefährdeter denn je.
Aber, sagt Lupart, der ehemalige Boxer, „ich war schon immer ein Kämpfer“.
Reuth, im Vogtland. Grüne Hügel, 1.000 Einwohner, Vierländereck Sachsen,
Thüringen, Bayern, Tschechien. Seit 2002 ist Lupart, 64, gelernter
Heizungsmonteur, hier Bürgermeister. Der einzige in Deutschland, der
Mitglied der AfD ist. Im Juli trat er der Partei bei. Dafür verließ er die
Deutsche Sozialunion, eine Splitterpartei, „nationalkonservativ“, wie er
sagt. Mit Kusshand nahm ihn die AfD, der erfahrenes Personal fehlt.
In vier Wochen endet seine Amtszeit, denn Reuth fusioniert mit einer
anderen Gemeinde. Aus Kostengründen. Luparts Gemeindesekretärin heißt
Krause. „Kraus'chen“, sagt Lupart, „schauen Sie mal nach, wie oft ich
Schirmherr beim Skatturnier war.“ Er will seinen Abschiedsbrief schreiben,
für das Amtsblatt.
Auf seinem Schreibtisch steht kein Computer, E-Mails lässt er sich
ausdrucken. Eine goldene Standuhr mit Drehpendel, an der Wand Bilder der
Reuther Apfelblütenprinzessin. Er lässt die Tür offen. „Ich hab keinen
Schlips bei der Hitze umgemacht“, sagt er und schenkt Bad Brambacher
Holunderlimonade ein.
## Häkeldeckchen im Rathaus
14 Jahre lang ist Lupart jeden Dienstag und Donnerstag aus der Kreisstadt
Oelsnitz in das kleine Rathaus an der Reuther Hauptstraße gefahren, in dem
Häkeldeckchen auf den Tischen liegen und die Wände den Geruch vergangener
Jahrzehnte verströmen, zwischen dem „Deutschen Hof“ und dem Vogtländischen
Matratzenwerk. 979 Euro Aufwandsentschädigung hat er dafür im Monat
bekommen, oft gingen die Wochenenden drauf, aber er hat sich einen Namen
gemacht.
Ein Mann vom Naturschutzverband ruft an. „Haben Sie gelesen, ja?“, fragt
Lupart den Anrufer und er meint die Berichte über sich selbst. „Die AfD
wird den Altparteien Druck unter dem Kessel machen. So verkrustet, das ist
unvorstellbar.“ Später führt er mit seinem bronzefarbenen BMW-Kombi durch
das Dorf. Auf dem Kennzeichen stehen seine Initialen, ein Zerstäuber füllt
das Innere mit künstlichem Apfelgeruch. Apfelbäume säumen auch die Straße,
einige Neubauten, Einfamilienhäuser, bescheiden wohlhabend. Lupart hat die
Pro-Kopf-Verschuldung auf unter 1.000 Euro halbiert, die Einwohnerzahl
gehalten. Keine sechs Prozent Arbeitslose.
„Die Gemeinde ist von der Infrastruktur hervorragend aufgestellt“, sagt er.
Bahnhof, Fliesenleger, Ärztehaus, Baustoffe, Schuster, Fleischer. „Das hat
sonst keine Gemeinde dieser Größe in der Gegend.“ Am Ortsausgang liegt ein
Reyclingwerk. „Ich lege Wert darauf, dass hier immer gefegt ist, das sage
ich den Leuten auch.“ Wer 100 Kippen aufsammelt, dem gibt Lupart eine
Bratwurst aus. In der Dorfmitte zwei Wohnblöcke, die Wände neu gestrichen,
auf dem Dach Solaranlagen. 2015 hat Lupart die 40 Wohnungen an einen
privaten Investor verkauft. „Für eine kleine Gemeinde waren die ein
unvorstellbarer Aufwand.“ Den Investor hat er verpflichtet, zu renovieren
und drei Jahre die Mieten nicht zu erhöhen.
Das ist die rationale Seite von Ulrich Lupart. Und dann gibt es noch diese
andere Seite. Auch da, wo kein Ausländer ist, sei eine „gefühlte Angst,
ganz stark“. Hunderttausende hat Merkel reingelassen. „Da können gute
Bürger, aber auch Verbrecher dabei sein, die das System hier eliminieren
wollen“, sagt Lupart. Isis-Kämpfer vielleicht. „Und es weiß ja keiner, wa…
da Schluss ist. Die Obergrenze gibt es ja nicht.“
Es ist eine Angst, die Menschen wie Lupart in seinem sattgrünen,
wohlgeordneten Mittelgebirgsidyll Sätze sagen lässt wie: „Wenn es kracht,
dann wäre es ein Bürgerkrieg.“ Er ist nicht der Einzige, der dieses Wort in
den Mund nimmt. Seine Parteivorsitzende Frauke Petry hat es kürzlich fallen
lassen, rechte Milizionäre in anderen EU-Staaten sprechen davon, auf
Pegida-Demos und auf Facebook wird immer munterer über Landesverteidigung
gegen die eigene Regierung fantasiert.
Wie muss man sich das vorstellen? „Das würde hier nicht in Deutschland
losgehen, weil der Magen der Bürger noch zu voll ist“, sagt Lupart. Und
wenn, dann eher im Osten. „Wir sind 1989 auf die Straße gegangen, die
DDR-Bürger würden das jetzt eher wieder machen. Die Westler sehen die
Gefahr nicht so.“ Vielleicht in Tschechien. „Die wollen die Krone
behalten.“ Oder in Frankreich: „Weil da ein anderer Nationalstolz ist“,
sagt Lupart. „Uns hat man den weggenommen, weil wir das Hakenkreuz auf der
Stirn tragen. Wir haben als Deutsche immer noch dieses Büßerhemd des
Nationalsozialismus an. Ich verabscheue den Nationalsozialismus. Aber ich
darf nicht patriotisch sein, weil ich dann gleich ein Nazi bin. 75 Jahre
nach Kriegsende muss doch mal Schluss sein.“
## Lieber D-Mark als Euro
Lupart genehmigte den Bau einer Windkraft-, Solar- und Biogasanlage. Mit
den Erlösen baute er eine stillgelegte Schule zu einem neuen Kindergarten
aus. Er ist sein ganzer Stolz. Im ersten Stock gibt es eine Sauna. „Für die
Kleinen drehe ich auf bis 65 Grad,“ sagt Frau Ritter, die Kindergärtnerin.
Das Holz, sagt Lupart, „darum habe ich gebettelt, bei einem Sponsor. Den
Rest habe ich mit meinem Bauhof erledigt.“ Als er im Gemeinderat den Plan
für die Kindersauna präsentierte, „haben die gesagt, ‚das ist ja nicht
normal‘.“ Aber er hat sie überzeugt.
Denn er, sagt Lupart, nehme die Menschen mit. Das sei der Unterschied zu
den etablierten Politikern. Zu Merkel. Die habe das Volk nicht mitgenommen.
„Alles wird den Bürgern vorgesetzt.“ Die Flüchtlinge. Europa. Der Euro.
„Wenn ich vor 20 Jahren mit D-Mark eingekauft habe, da war der Korb voll,“
sagt Lupart. „Ich war auf meine D-Mark stolz, als Ex-DDR-Bürger.“ Der Euro
aber biete „keine Identifikation“. Genau wie die EU. Sie werde zerbrechen,
glaubt er. „Ein Pole und ein Italiener lassen sich nicht zusammenbringen.
Die haben ganz andere Identitäten.“
Er würde sich ein „Europa der Vaterländer“ wünschen. „Eines, das mein …
meine Sprache, meine Esskultur so lässt.“ Keines, das selbst Gurken und
Bananen normieren will. Die EU-Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung
von Qualitätsnormen für Gurken ist seit 2009 außer Kraft. Der Wut auf die
EU ist noch da. „Das steigert sich jetzt alles, jetzt kommt es zum
Knalleffekt“, sagt Lupart.
Zu DDR-Zeiten hielt Lupart Distanz zur SED, sagt er. Er sei mit der
Nomenklatura aneinandergeraten, die Silberhochzeit seines
republikflüchtigen Bruders durfte er nicht besuchen. 1990 besetzte er das
Gebäude der SED-Kreisleitung in Oelsnitz, die Demonstranten hissten die
Deutschlandfahne auf dem Dach. Bald darauf konnte er nachlesen, wer ihn
alles bespitzelt hatte. Nach der Wende „gab es Angebote aus der CDU“. Aber
die hatte „ihre einschlägige Vergangenheit“ als Blockpartei. Und so hält
Lupart etablierte Parteien für „richtig dicken Filz“. „1989 habe ich die
Wende mit herbeigeführt. Und jetzt will ich auch die neue Wende mit
herbeiführen.“ Seit zwei Jahrzehnten sitzt Lupart in politischen Gremien.
„Trotzdem komme ich von außen“, sagt er. „Ich habe gelernt, dass man
arbeiten muss. Wer arbeitet denn im Bundestag?“
## Vorbilder? Bosbach und Wagenknecht
Überhaupt, Berlin: „Eine schöne, aber verbrauchte Stadt.“ Die Stadt der
abgehobenen Politik. Die Stadt, in der die Polizei „bestimmte Gebiete nicht
mehr betreten kann“, ein Beamter habe es ihm selbst gesagt. Die Stadt mit
dem einstigen schwulen Bürgermeister. „Ich habe was dagegen, dass der sich
hinstellen kann und sagen: Ich bin schwul und das ist gut so“, sagt Lupart.
Er stellt sich das anders vor: „Mann, Frau, Liebe, Kind, 45 Jahre
verheiratet.“ So wie er selbst. „Das ist für mich die Zukunft. Hoffentlich
kommt das wieder.“ Doch es gebe zu wenige Vorbilder unter den Politikern.
Gerhard Schröder, mehrere Frauen. Der koksende Richter Ronald Schill. „Das
ist die liberale Welt, die das alles zulässt.“
Wer bleibt als Vorbild übrig? „Zum Beispiel Wolfgang Bosbach.“
Pflichtbewusst, prinzipientreu. Oder Sahra Wagenknecht. „Die ist gradlinig.
Überzeugend. Das hat nichts mit rechts und links zu tun“, sagt Lupart.
„Mich interessiert: Was nützt meinem Vaterland Deutschland?“
Er hält an der einzigen Tankstelle im Dorf. Es gibt frische Eier. „Die
kriegt man in der Stadt nicht.“ Im Regal liegt die lokale Bild-Zeitung.
„Erster Flüchtling tritt in Sachsen-CDU ein“ ist die Titelschlagzeile.
Das Wahrzeichen Reuths ist eine Linde auf einem Hügel. Lupart fährt hinauf
und steigt aus. „Ein herrlicher Blick, was?“ Ein Blitz hat die Linde
gespalten. „Aber sie wächst langsam wieder zu, sie baut sich selbst wieder
zu. Ein Kämpfer ist die Linde.“ Lupart ist mit der Volksmusikerin Stefanie
Hertel befreundet. Für eine MDR-Volksmusiksendung haben sie und ihr Vater
an der Reuther Linde „'s ist Feierobnd“ gesungen.
„Das war, als die Sonne unterging. Das sah gut aus“, sagt Lupart. 2009 hat
er den „Tag der Vogtländer“ nach Reuth geholt, das größte Trachtenfest in
der Region. „‚Das schafft ihr nicht‘, hat der Landrat gesagt“, sagt Lup…
Reuth sei zu klein. „Aber am Ende kamen 20.000 Leute und der Trachtenverein
Triebel trug ein Schild vorweg: ‚Triebel grüßt Luparts Reuth‘“, sagt
Lupart. Dann hebt er Müll auf und legt ihn in den Abfalleimer. „Gut, dass
wir hier waren.“ Es geht ja mit den kleinen Dingen los.
4 Oct 2016
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt AfD
CDU
Schwerpunkt AfD
Bodo Ramelow
Schwerpunkt AfD
Usedom
Bulgarien
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Konservativer Kreis in Sachsen-Anhalt: Bei der CDU geht's um die Wurst
In Sachsen-Anhalt gründet die CDU einen Konservativen Kreis, der zu einer
offiziellen Parteigliederung werden soll. Seine Mitglieder essen: Wurst.
Debatte Deutsche Einheit: Der Preis der Freiheit
Dumme Ossis wählen die AfD? Vorsicht! Haben sie Hass und Verachtung für
Schwächere nicht im Westen gelernt? Gedanken zum 9. November.
Bodo Ramelow präsentiert Rostbratwurst: Koschere Bratwurst löst Shitstorm aus
Auf dem Weimarer Zwiebelmarkt stellte der Thüringer Ministerpräsident seine
eigene Bratwurst vor. Im Netz gab es dafür viel Kritik.
Interview mit Wagenknecht und Petry: Ein rechtes Konsensgespräch
Sahra Wagenknecht und Frauke Petry haben der „FAS“ gemeinsam ein Interview
gegeben. Bei vielen Themen klingen die Positionen sehr ähnlich.
Politische Stimmung auf Usedom: Die Angst vor der Flut
Die Usedomer kämpfen um ihren Deich, für eine bessere Infrastruktur und
gegen Flüchtlinge. Auf der Suche nach den Motiven der Wähler auf Usedom.
Rechtsextreme Milizen in Bulgarien: Auf Flüchtlingsjagd
„Kennt man die Gefahr, kann man sich vorbereiten“, sagt Vladimir Rusev. Der
Ex-Militär organisiert den Einsatz freiwilliger Grenzpatrouillen.
Streit um Moscheebau: Unheimliche Allianzen
Der Bau einer Moschee in Erfurt ist für die Alternative für Deutschland ein
gefundenes Fressen. Sie mobilisiert dagegen und trifft dabei auf alte
Bekannte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.