# taz.de -- Neues rechtsextremes Bündnis in Dresden: Zittern vor Wut | |
> Hassreden, Bauerntheater, Rechtsrock: An der „Festung Europa“-Bühne in | |
> Dresden geben sich harte Nazis und biedere Bürger ein Stelldichein. | |
Bild: Sie ruft auf zu „konsequenter Vertreibungspolitik“, Flüchtlinge sind… | |
DRESDEN taz | Sie hat es nicht gemacht wie die Pegida-Aktivisten, die heute | |
die Spitzen des Staates heimgesucht haben, mit Pfiffen und Gebrüll. Tatjana | |
Festerling hält Abstand zum Stadtzentrum mit seinem Staatsakt, als seien | |
die Politiker dort schon keine Gegner mehr für ihre rechtsextreme, | |
transnationale Sammelbewegung namens „Festung Europa“, die jetzt, am | |
Nachmittag des dritten Oktobers, ihren ersten großen Auftritt haben soll. | |
Östlich der Einheitsfeier, am Schillerplatz im Stadtteil Blasewitz, | |
versammeln sich 300 Menschen unter der Loschwitzer Brücke am Elbufer. | |
Manche tragen „Rebellen für Deutschland“-T-Shirts. Kameradschaftsnazis sind | |
da, in Schwarz, mit spiegelnden Sonnenbrillen, Typen aus der Hooliganszene | |
und normale Bürger in Funktionsjacken. | |
Festerling ist unter den deutschen Rechtspopulisten sowas wie die | |
Marktführerin in Sachen Hatespeech. Keiner dreht so auf, wie sie. Die | |
frühere Werberin und Pressesprecherin, 52 Jahre, ist in der Pegida-Bewegung | |
groß geworden. Mittlerweile hat sie sich mit Pegida-Führer Lutz Bachmann | |
entzweit. Sie ruft auf zu „konsequenter Vertreibungspolitik“, Flüchtlinge | |
sind für sie „Ficki-Ficki-Refugees“ oder „Refugee-Islamisten“. Mit Erf… | |
hat sie deutsche Afghanistanveteranen aufgerufen, sich Bürgerwehren an | |
Europas Außengrenzen anzuschließen, „um die Schmach von Köln wieder | |
wettzumachen“. Fast zehn Prozent hat sie als Pegida-Kandidatin letztes Jahr | |
bei der Bürgermeisterwahl in Dresden bekommen. | |
## Im Tarnanzug auf Pirsch an Europas Außengrenzen | |
Festerling bietet, was es bisher nicht gab: Einen gemeinsamen Bezugspunkt | |
für die harte Naziszene und das bürgerliche Pegida-Milieu. Es geht ihr | |
nicht darum, rechte Positionen im bürgerlichen Lager anschlussfähig zu | |
machen, sondern Konservative nach Rechtsaußen zu ziehen. Sie sieht aus wie | |
die US-Rechte Sarah Palin, ähnlich wie die lässt sie sich im Tarnanzug | |
ablichten, auf der Pirsch mit bulgarischen Bürgerwehrlern. | |
Nach dem Zoff mit Bachmann zog es sie auf die europäische Ebene. Sie | |
besuchte Islamhasser und Rechtsextreme in ganz Europa und vereinigte sie | |
unter dem Label „Festung Europa“. Und heute holte sie sie nach Dresden. | |
Zum Beispiel die Schweriner AfD-Politikerin Petra Federau. Ihre Partei | |
hatte sie vom Listenplatz drei für die Landtagswahl in | |
Mecklenburg-Vorpommern gestrichen. Denn sie hatte verschwiegen, dass sie | |
für einen Escortservice arbeitete, der junge Frauen auch in arabische | |
Länder vermittelt haben soll. | |
## Walkürenblond und ausgegrenzt | |
Jetzt steht sie auf der „Festung Europa“-Bühne. In Schwerin schließen sich | |
Ladenbesitzer ein, „aus Angst vor kriminellen Ausländern“, berichtet sie. | |
Sie selbst – walkürenblond – werde zunehmend gefragt, „ob ich das mit | |
Absicht mache, blonde Haare tragen, um zu provozieren“. Deutschenhass | |
überall. „Aber soll ich mich dafür entschuldigen? Niemals.“ Mit der | |
moralischen Nazikeule habe die Welt den Deutschen die Flüchtlinge | |
aufgezwungen. | |
Und dann sagt sie zwei Sätze, die unter all dem noch herausragen: Patrioten | |
litten hierzulande unter „Ausgrenzung und Diffamierung. Wer die Geschichte | |
kennt, weiß, wir hatten das schon mal.“ | |
Nur eine Deutung ist da möglich: „Patriotische Deutsche“, will Federau | |
sagen, müssten Verfolgung fürchten, die jener ähnelt, die die Opfer des | |
Nationalsozialismus erlitten haben. „In dieser Regierung sitzen Leute, die | |
uns Deutsche hassen, die uns den Volkstod wünschen.“ | |
## Schafe, Rinder, Christenkinder | |
Um „damit“ Schluss zu machen, müsse Deutschland „sich endlich eine | |
Verfassung geben“. Nicht: eine andere, nicht: eine neue. Nein, überhaupt | |
erst mal eine. Die AfD-Politikerin verbreitet die pure Ideologie der | |
Neonazis, nach der die Bundesrepublik nichts ist als ein Vasallengebilde | |
der USA. | |
Der Moderator kündigt einen Gast an, der „vom allerersten Moment dabei war, | |
als der Widerstand gegen die Islamisierung losging“. Er meint die | |
„Hooligans gegen Salafisten“-Demo im Oktober 2014 in Köln. Der Gast ist | |
Hannes Ostendorf aus Bremen, Sänger der Band Kategorie C. Die ist so | |
eindeutig in der rechtsextremen Szene zu Hause, dass ihre Konzerte | |
normalerweise nur unter der Hand beworben werden. Festerling hat Ostendorf | |
ohne jede Scham als Teil des Kulturprogramms angekündigt. | |
Ostendorf hatte für die Demo in Köln ein Lied geschrieben, es hieß | |
„Hooligans gegen Salafisten“, für den Auftritt in Dresden hat er es extra | |
umgeschrieben: „Sachsen gegen Salafisten“. Ordner verteilen Zettel mit dem | |
Text. „Heute schänden sie Schafe und Rinder, morgen vielleicht schon | |
Christenkinder“, so geht es strophenlang, Grölgesang über Akustikgitarren. | |
Der Regen wird stärker, die Leute ziehen sich von der Bühne zurück und | |
stellen sich unter der Elbbrücke unter. „Kommt wieder nach vorne“, schreit | |
Ostendorf. „Ein Deutscher friert nicht, er zittert vor Wut.“ | |
## Nebenan sitzt ein Trainingshosennazi mit Kampfhund | |
„Hohoho“, rufen da die Rentner, die im Café Schillergarten bei | |
Halbliter-Feldschlösschen sitzen und das Konzert verfolgen, neben einem | |
Trainingshosennazi mit Kampfhund. | |
Ostendorf tritt ab und eine als Muslim verkleidete Gestalt mit Kaftan kommt | |
auf die Bühne. „Hast du den eingeladen?“, fragt der Moderator zur Seite. | |
„Was willst du hier?“, fragt er die Gestalt, die ihm die Antwort ins Ohr | |
flüstert. „Sex mit neunjährigen Kindern? Gibt’s hier nicht, hau ab'“, r… | |
der Moderator. Es ist das reinste Bauerntheater, aber den Leuten gefällt | |
es. Sie grölen: „Abschieben, abschieben!“ | |
Das Theater geht weiter mit Ingrid Carlqvist, einer schwedischen | |
Publizistin. Sie spricht auf Englisch, betont dabei jede Silbe, sie klingt | |
wie eine Oma, die den Enkeln das Märchen vom bösen Wolf erzählt. Der Wolf | |
heißt Islam, die Kinder gruseln sich. Schweden drohe der Zusammenbruch. | |
## „Multikulturelle Höllenlöcher“ | |
„Unsere Schulen waren die besten, nun sind es die Schlechtesten in Europa. | |
16-Jährige kennen nicht mal die vier Grundrechenarten.“ Dass daran die | |
Flüchtlinge Schuld haben sollen, sagt sie schon nicht mal mehr. Die | |
Politiker, sagt sie, „haben kein Recht, unsere Wohlfahrtstaaten in | |
multikulturelle Höllenlöcher zu verwandeln“. | |
„Richtig!“, ruft es zurück und im Schillergarten knallen die Biergläser a… | |
die Tische, um die Hände für den Beifall frei zu machen. „Wir sind das | |
Volk!“, rufen die Leute und Carlqvist ruft mit. | |
Das dänische Pendant zu Carlqvist heißt Tania Groth, Aktivistin der rechten | |
For-Freedom-Bewegung. Sie lässt wissen, dass „wir im Krieg sind mit dem | |
Islam“ , auch Dänemark sei mit „multikulturellem Horror infiziert“, dann | |
sagt sie: „Die Zeit zu reden ist vorbei. Wir müssen wütend und aktiv werden | |
und keine Angst haben, uns die Hände schmutzig zu machen.“ | |
Kaum verhohlene Aufrufe zur Gewalt | |
Wie soll man das anders verstehen denn als Aufruf zur Gewalt? Die | |
Biergläser knallen wieder auf die Tische, die Leute rufen „Widerstand!“, | |
einige schäkern mit den Kellnerinnen. Es ist piefigste | |
Sonntagnachmittags-Biergartenatmosphäre, Volksfeststimmung, es riecht nach | |
Bratwurst, nur das Wetter ist herbstlich, aber die Frage, ob sie Lust haben | |
auf Bürgerkrieg, kommt bestens an. | |
Dann kommt Festerling. Wer noch sitzt, steht jetzt auf, es regnet stärker, | |
aber unter der Brücke bleibt kaum einer. Das Aufrufen zum Endkampf haben | |
schon die Gäste übernommen, so kann sie sich visionär geben, als Führung | |
des Kampfes gegen die „Massenvernichtungswaffe Islam“, einer Bewegung, die | |
kleine Lichter wie Bachmann nicht nötig hat. Getrennt marschieren, | |
gemeinsam schlagen, sagt Festerling. | |
## Ein Bürgerkrieg, was sonst | |
Der Islam mache sich Europa zur Beute, die Folge sei, was sonst, ein | |
Bürgerkrieg, darauf läuft die ganze Hass-Show hier hinaus. „Entweder lassen | |
wir das von oben angerichtete Chaos mit uns machen oder wir sorgen für den | |
Kollaps des völlig verkommenen Systems.“ | |
Als der Militärmarsch abklingt, bestellen sich die Rentner und | |
Familienväter noch ein Stück Kuchen, die jungen Männer und Frauen ziehen | |
sich die schwarzen Kapuzen über die Köpfe. Sie entrollen eine | |
schwarz-weiß-rote Reichsflagge und formieren sich zum schwarzen Block. | |
Polizisten ziehen ein lockeres Spalier auf, dann gehen die Nazis los, | |
ungehindert, 150 vielleicht. „Hier marschiert der nationale Widerstand“, | |
schreien sie in den Regen. | |
An der Tramhaltestelle drängen sich die Leute in den Eingängen von Subways | |
und McDonald’s. Polizisten gehen voraus, die Nazis rufen: „Nationaler | |
Sozialismus, jetzt, jetzt, jetzt!“ Die Leute recken die Hälse, einige | |
lachen. | |
In der Tram schütteln die „Festung Europa“-Demonstranten ihre Schirme aus, | |
die Bahn zuckelt vor sich hin, denn die Nazis dürfen vor ihr herlaufen, und | |
so ist Zeit für Betrachtungen: „Pegida wird es immer geben“, sagt ein Mann, | |
dem nasse Strähnen auf dem Dreitagebart kleben. „Das ist wie eine Therapie. | |
Du schreist alles raus, dann bist du eine Woche wieder funktionsfähig.“ Das | |
Problem sei die knappe Zeit. Der Regimewechsel, er müsse schon bei der | |
nächsten Bundestagswahl kommen. Bei der darauf wäre es zu spät. „Bis dahin | |
haben sich die Kopftuchgeschwader verdoppelt. Wir haben keine fünf Jahre | |
mehr.“ | |
4 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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