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# taz.de -- Gesellschaftsbezogene Clubmusik: Nicht mehr so weitermachen
> Vorstellungen von idealisierter Natur: In aktuellen Alben von Stimming,
> The Field, Thylacine und Pantha Du Prince gibt es Momente der Weltflucht.
Bild: Pantha Du Prince in Los Angeles
Was kann am Wummern des Basses schon politisch sein? Sind Assoziationen mit
seiner rhythmischen Gleichmäßigkeit nicht eher bedrohlich? Wer sich in
aktuellen Veröffentlichungen elektronischer ProduzentInnen auf die Suche
nach der Politik in der Musik macht, muss genau hinhören. Auf das, was
jenseits des Sounds passiert, und auf den Kontext, in den Künstler ihre
Werke stellen.
Dort entdeckt man eine überraschende Übereinkunft: Sie sind auf der Flucht,
ihr Programm ist Eskapismus. Dieser Befund ist zunächst nicht sehr
aussagekräftig, wird doch den Hedonisten weltweit immer wieder vorgeworfen,
mit dem Lob des Rauschs die politische Debatte zu meiden. Und doch zielen
Formen von Eskapismus bei mehreren aktuellen Elektronikalben auf Utopien
jenseits des Nachtlebens.
Da wäre zum Beispiel Martin Stimming, der als Künstleralias seinen
Nachnamen nutzt und sich auf die Feinheiten der elektronischen
Klangerzeugung versteht. „Alpe Luisa“ heißt sein neues Album, nach seinem
Entstehungsort, einer Hütte in den Dolomiten.
Zwischen Kühen, Ziegen und Schafen hat Stimming House-Sound produziert, der
leicht klingt, konzentriert und sorgfältig arrangiert. Warum muss man sich
dafür in die Einsamkeit des Hochgebirges begeben? Er sei auf der Flucht vor
Reizüberflutung der Wohlstandsgesellschaft gewesen. Dies versucht er von
Beginn an auch seinen HörerInnen nahezulegen: „Alpe Luisa“ eröffnet mit
field recordings: Fliegen brummen, Kuhglocken bimmeln, ein Gebirgsbach
plätschert. An diese Geräusche schmiegt Stimming behutsam seine Töne.
Es ist paradox: Die Wurzeln seiner Musik liegen im Ort der Reizüberflutung
schlechthin, dem Club. In ihrer aktuellen Form präsentiert sie sich aber
als Gegenprogramm. Die soziale Utopie des Clubs, zu der die Vorläufer
dieser Tracks unweigerlich gehörten, wird aufgegeben, um sich in Einsamkeit
klanglich einer idealisierten Natur anzuverwandeln. Diese Anverwandlung
gibt Stimming an die HörerInnen weiter – als Aufforderung, die
Wohlstandsgesellschaft hinter sich zu lassen. Zur Vorbereitung seines
Livesets begab sich Stimming dann auf ein Containerschiff und probte
während der Passage durch die winterliche Ostsee.
## Melancholische Geste
Auf große Fahrt Richtung Osten begibt sich auch der französische Produzent
William Rezé alias Thylacine. Er bestieg die transsibirische Eisenbahn, von
Moskau nach Wladiwostok. „Transsiberian“ beginnt folgerichtig mit Aufnahmen
von Lautsprecherdurchsagen. Bei jedem Stopp hat Rezé traditionelle Songs
mit lokalen KünstlerInnen aufgenommen, um sie während der Reise zu eigenem
Material zu verarbeiten. Das mutet mal folkloristisch an, dann wieder
klingt Paul Kalkbrenner durch: Oft wird die ganz große melancholische Geste
aufgerufen.
Im Track „Irkutsk“ singt ein Frauenchor sehnsuchtsvoll. Rezé ergänzt den
Gesang durch eine Synthie-Akkordfolge, die immer drängender wird und sich
schließlich zur Bassdrum verstetigt. Ähnlich skizzenhaft klingen alle
Tracks. Positiv gewendet: Sie haben das Flüchtige der Reise und der
Fortbewegung in sich aufgenommen.
Anders als Stimming begibt sich Thylacine auf Entdeckungsreise und versucht
konkrete Spuren dieser Erfahrung in seine Sounds zu integrieren. Allerdings
wirkt Thylacines Arbeit wenig komplex.
Eine Reflexionsstufe weiter sind die Platzhirsche der intellektuellen
elektronischen Tanzmusik: Axel Willner, Berliner aus Schweden, unter dem
Namen The Field seit mehr als einem Jahrzehnt als Produzent bekannt, gab
seinem aktuellen Album gehörigen intellektuellen Ballast mit auf den Weg:
„'The Follower’ is about old myths, finding utopia and how mankind
repeatedly makes the same mistakes over and over.“
Willner liest der ganzen Menschheit die Leviten. Sie hätte zwar ihr Utopia
gefunden, ihr Paradies aber stets wieder selbst zerstört. Das Thema der
Wiederholung kann man in den sechs Tracks auf „The Follower“ unschwer
erkennen: nicht nur in der konventionellen Gleichförmigkeit des Basses,
sondern in immer wieder fast penetrant geloopten Soundschnipseln.
## Menschen, unartikuliert
Auf fast allen Tracks sind auch menschlich anmutende Laute zu hören. Sie
begleiten das Klanggerüst. Der Titel „Follower“ scheint musikalisch
verwirklicht. Im Übrigen lässt sich das Album vom Titel ausgehend auch als
Kommentar zum Follower-Konzept sozialer Netzwerke lesen. Die soziale
Utopie, die das Netz einmal war, hat sich zur unartikulierte Laute
ausstoßende Gefolgschaft geschäftlicher Interessen von Großkonzernen
gewandelt. Vor diesem Horizont scheint Stimmings Vorschlag, vor dieser
Menschheit in die Almhütte zu flüchten, nur konsequent.
Die Idealisierung von Natur und die Abwendung vom Club als Zufluchtsort
findet sich schließlich auch beim Chefromantiker der
Post-elektronischen-Musik: Hendrik Weber alias Pantha Du Prince. Zur
Inspiration hat er sich auf die Spuren alternativer Lebensweisen in der
Umgebung von Los Angeles begeben. Schon mit dem Titel seines neuen Albums
plädiert er für die kleinste Form der Kommune: „The Triad“. Dass es Weber
damit ernst meint, zeigt die Liste der Beteiligten. An den Tracks wurde in
wechselnden Dreierkonstellationen gearbeitet. Strukturen waren zwar immer
vorgegeben, dazwischen regiert aber die Improvisation.
Musikalisch hat sich – inklusive Glockensounds – wenig an der Klangsignatur
von Weber geändert. „Triad“ ist eine souveräne und unspektakuläre
Fortsetzung seines Werks. Viel interessanter ist die Lösung, die er für den
vermeintlichen Widerspruch zwischen romantischer Natursehnsucht und den
meist als künstlich wahrgenommenen Vorrichtungen zur elektronischen
Klangerzeugung findet. Weber löst diesen Widerspruch im Begriff des
mechanical romanticism auf, den der Historiker John Tresh eingeführt hat.
Einerseits bezeichnet er damit sein Faible für alte Synthesizer.
Andererseits bringt er damit einen Begriff ins Spiel, der Stimming,
Thylacine, The Field und sein eigenes Album in eine Reihe bringt, weil sie
alle mit Maschinen die Frage nach der Flucht in die Natur stellen.
Diese Fluchtbewegung zeigt sich bereits in den Tracktiteln: „Trains of
Hope“ bei Stimming, „Train“ oder „Irkutsk“ bei Thylacine. Bei Pantha …
Prince sind die Ziele eher imaginärer Natur: „Frau im Mond“, „Sterne
laufen“, „Lichterschmaus“, aber auch „Islands In The Sky“. The Field …
sich zum Ursprungsort der Alternativkultur. Ein Track heißt nach dem „Monte
Veritá“, einem Schweizer Sehnsuchtsort, der Anfang des 20. Jahrhunderts von
Lebensreformern bevölkert wurde.
Stimmings Rückzug auf die Almhütte, Thylacines Aufbruch gen Osten, The
Fields Abwendung von der Menschheit und Pantha Du Prince’ Traum vom Leben
in autarken Einheiten – alle wollen so nicht mehr weitermachen.
Ihre Alben sind keine Erwiderungen auf das Erstarken des Rechtspopulismus,
den Herausforderungen der Migrationsbewegungen oder der Krise Europas. Aber
sie träumen zumindest von Begegnungen. Die Utopie der Post-Club-Musik
lautet: Der Mensch ist dem Menschen kein Wolf.
7 May 2016
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
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