# taz.de -- Neues Album von Christian Naujoks: Reisen zweiter Ordnung | |
> Weniger ist mehr: Nur E-Gitarrensound ist zu hören auf „Wave“, dem | |
> minimalistischen neuen Album des Berliner Künstlers Christian Naujoks. | |
Bild: Im Dschungel der Referenzen: Christian Naujoks | |
Und dann fällt Christian Naujoks noch etwas ein. Er hält kurz inne, denkt | |
nach, während er doch weiterspielt. Diese Stelle des jetzt gerade von ihm | |
gespielten Songs, das würde ihn doch an die Musik in einer Szene von | |
Fassbinders „Welt am Draht“ erinnern, sagt er. Das würden wir, das | |
Publikum, doch kennen, diese Fleetwood-Mac-Single. Er glaube, die sei auch | |
rein instrumental, so wie das, was er jetzt spielt. | |
Der Berliner Künstler hat sich für sein neues Album „Wave“ auf ein | |
Instrument beschränkt: die elektrische Gitarre. Das ist nur konsequent, | |
denn er war schon immer Minimalist oder, je nach Lesart, Postminimalist. | |
Die Verbindung von Leichtigkeit und Repetition, die in der Metapher der | |
Welle steckt, ist bei ihm zwar schon auf vorangegangen Veröffentlichungen | |
Programm gewesen. Aber nicht dieser Fokus auf die E-Gitarre, durch die | |
jetzt auch Folk-Anklänge in seinen Kompositionen aufscheinen. | |
Naujoks, ein großer Mann mit gewelltem, leicht schütterem Haar steht an | |
einem der ersten Sommerabende dieses Jahres im Nebenraum einer Bar in | |
Berlin-Wilmersdorf auf einer kleinen Bühne. Hier stellt er sein neues Album | |
vor. Sonst finden an diesem Ort Travestieshows statt: Der Raum ist mit | |
roten Vorhängen abgehängt, einige Sitzgelegenheiten mit | |
Schlangenlederimitat bezogen. | |
## Zwischen Galerie und Club | |
Er befindet sich fast direkt neben der Mathew Gallery, die von den Machern | |
des Hamburger Techno-Labels Dial betrieben wird. Über 15 Jahre erscheint | |
dort schon Musik von Musikern wie Lawrence, dem Labelchef, Efdemin oder | |
Pantha Du Prince. Es ist Clubmusik, die sich kaum darum schert, wie oder | |
was der Dancefloor gerade zu sein hat. Dial ist nicht nur seit Jahren die | |
Heimat von Naujoks Veröffentlichungen, mit Lawrence und RVDS bildet er auch | |
eine Art Dial-Supergroup namens Sky Walking. Ihr Sound bewegt sich irgendwo | |
in der Grauzone zwischen Jazz, Elektronik und Freier Musik. Natürlich ist | |
auch das Cover von „Wave“ von einer Künstlerin der Mathew Gallery, | |
Heike-Karin Foell, gestaltet. | |
„Wave“ ist das dritte Album, das Naujoks bei Dial veröffentlicht. Auf den | |
ersten beiden hat er auch gesungen, das wichtigste Instrument war ein | |
Klavier. Schon immer sind bei Naujoks Suchbewegungen über mögliche Pfade | |
zwischen klassischen Songstrukturen, Clubsounds, Neuer Musik und | |
Minimalismus herauszuhören. Schon bei den ersten beiden Werken zeigte | |
Naujoks auch eine Tendenz zur Kürze und zum Skizzenhaften. Die Tracks auf | |
„Wave“ sind ebenfalls Miniaturen, Variationen über verschiedene Themen. Der | |
Sound ist sehr hallig – ständig schwingt noch etwas nach –, und es klingt | |
sehr warm. | |
## Fender Mustang von 1973 | |
So anders die Wahl auf die Gitarre als Instrument im Vergleich zu seinen | |
früheren Kompositionen erscheint, ist sie für Naujoks gar nicht. Die | |
Gitarre ist Teil seiner Pop-Sozialisation. Das wird deutlich, als er an | |
einer Stelle des Konzerts seine Gitarre wechselt. Er holt eine Fender | |
Mustang von 1973 hervor. Die habe er als Jugendlicher gekauft, 1995. Damals | |
war Grunge der Ruling Sound, auch Kurt Cobain und Thurston Moore von Sonic | |
Youth spielten eine Fender Mustang. | |
Mit Gitarrenrock hat das, was Naujoks jetzt macht, allerdings nichts zu | |
tun. Er füllt den Raum mit seinem warmen, träumerischen Sound. Von draußen | |
sind Gelächter und Gespräche der Stammgäste der Bar zu hören. Es stört den | |
Auftritt nicht, fast wirkt es, als wäre die Tür nach draußen nicht nur ob | |
der Hitze im Raum offengelassen worden. Das wird spätestens dann klar, als | |
Naujoks den nächsten Einfall hat: Er spielt ein field recording ein. Was | |
man höre, sei die Aufnahme eines Konzerts in Vietnam. | |
Allerdings, so erklärt Naujoks seinen zunächst etwas irritierten | |
ZuhörerInnen, höre man auch die Klimaanlage und die Geräusche einer Party | |
im Nebenraum. Man könne aber deutlich erkennen, was die vietnamesischen | |
Musiker spielten, ein Stück von Morton Feldman nämlich. | |
Der US-Komponist ist ein zentraler Referenzpunkt in Naujoks’ Schaffen. Sein | |
Werk, das zwar enge Beziehungen zu den zentralen Figuren des Minimalismus | |
unterhielt, aber eigentlich schon einen Schritt weiter war, gilt als eines | |
der wichtigsten in der zeitgenössischen Musik des 20. Jahrhunderts. Man | |
könnte sagen: Feldman verhält sich zum Minimalismus eines Steve Reich oder | |
La Monte Young wie Naujoks zum minimal techno, dem Dial ursprünglich | |
verpflichtet waren. Im Vergleich mit Feldmans Kompositionen sind Naujoks’ | |
Stücke aber rhythmischer, weniger bedächtig und meditativ. Es ist nicht die | |
innere Einkehr, sondern das Reisen und die Bewegung nach draußen, die | |
Naujoks treiben. | |
## Treiben und wogen | |
So sind die Tracks auf „Wave“ etwa „Little Dume“ – also nach einem | |
kalifornischen Strand betitelt. Sie heißen „Taipei“, „Corralito“ oder | |
„Pacific Street“. Sie müssten jedoch gar nicht so eindeutig ortsbezogen | |
benannt sein. Ihre Klänge treiben und wogen hin und her, unmittelbar stellt | |
sich beim Hören das Gefühl des Unterwegsseins ein. | |
Neben dem Reisen gibt es noch eine zweite Inspirationsquelle für „Wave“ – | |
Literatur. Lektüre ist hier nur eine andere Form von Unterwegssein. Reisen | |
zweiter Ordnung könnte man die Beschäftigung mit literarischen Texten | |
nennen. Mit ihnen ist „Wave“ auf verschiedene Arten verknüpft. Zum Album | |
gibt es eine Kurzgeschichte des britisch-australischen Autors Lodovico | |
Pignatti Morano, die vom Leben auf Reisen handelt. Während des Konzerts | |
verweist Naujoks immer wieder auf verschiedene AutorInnen und Texte. Er | |
lobt die Bücher des Chilenen Roberto Bolaño, weist auf den | |
situationistischen Klassiker „All The King’s Horses“ von Michèle Bernste… | |
hin, nach dem auch ein Track auf „Wave“ benannt ist. | |
Naujoks spielt trotz Erläuterungen und Unterbrechungen ruhig, fast | |
abgeklärt. Traumwandlerisch bewegt er sich durch die Stücke auf „Wave“. | |
Auch deswegen ist die Ortswahl gelungen: Die Aufgeregtheit der Szenebezirke | |
hätte dieser Präsentation nicht gut zu Gesicht gestanden. So manch einer, | |
so manch eine aus dem artsy Publikum mag sich am Ende gedacht haben: nie | |
wieder Neukölln, nie wieder Kreuzberg, für immer Wilmersdorf! | |
Das hätte jedoch Naujoks musikalischem Entwurf widersprochen: „Wave“ ist | |
eine Hommage an die Bewegung, an das Sich-treiben-Lassen. Ob in der realen | |
oder der Welt der Literatur – und ihrer Fortsetzung in die Musik. Wohin | |
diese Reise Naujoks’ als Nächstes treibt, ist nicht abzusehen. Kürzlich | |
erst hatte er die EP „Your Contribution“ veröffentlicht. Darauf war mit | |
„Unsung“ ein sehr zarter Song zu finden, den Naujoks nur mit | |
Klavierbegleitung eingespielt hatte. Die Wellen, der Wind – ein Track auf | |
„Wave“ heißt „Jet Stream“ – werden die Richtung vorgeben. Bis zum n�… | |
Einfall. | |
29 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Elias Kreuzmair | |
## TAGS | |
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