# taz.de -- Techno in Ägypten: No more Chaabi | |
> Musik Das Kollektiv Kairo is Koming gilt als Wegbereiter des | |
> Elektro-Untergrunds in Ägypten. Sie gastierten im „Acud macht neu“. | |
Bild: Keimzelle des Technos in Ägypten: das Kollektiv „Kairo is Koming“ | |
Heute vor fünf Jahren begann auf dem Tahrirplatz in Kairo der Umbruch. | |
Während sich politische Freiräume nicht lange hielten, weht in Ägypten seit | |
2011 zumindest in musikalischer Hinsicht ein frischer Wind: Elektronische | |
Musikrichtungen wie Maharaganat und Electro Chaabi, die sich aus Trap-Beats | |
und ägyptischem Chaabi-Folk speisen, setzten im Windschatten der Revolution | |
zu ihrem Eroberungszug an und sind heute in allen Winkeln und Ohren Kairos | |
angelangt. | |
Doch nicht alles, was elektronisch und ägyptisch ist, reitet automatisch | |
auf der Erfolgswelle des Electro Chaabi. Unter dem Namen Kairo is Koming | |
(KIK) haben sich sechs ägyptische Klangkünstlerinnnen zu einem Kollektiv | |
zusammengeschlossen, das als Keimzelle der alternativen Techno-Szene | |
Ägyptens gilt: Bosaina, $$$TAG$$$, Zuli, Ismael, Hussein Sherbini und NAA | |
betreiben u.a. das Independent-Label Kultkairo und den alternativen Kairoer | |
Club „VENT“. | |
Was sie als Kollektiv seit drei Jahren verbindet, ist ein progressives | |
Verständnis von elektronischer Musik, und die frustrierende Erfahrung, beim | |
Auflegen regelmäßig von Veranstaltern unterbrochen zu werden, die das nicht | |
haben. | |
„Wir wollen einfach nur gute elektronische Musik machen“ – jenseits aller | |
Labels, jenseits aller Erwartungen, wie Elektronisches aus dem Nilstaat zu | |
klingen habe: Das ist die Botschaft, die KIK am Freitag beim Panel vor | |
ihrem Auftritt im Berliner „Acud macht neu“ transportieren wollten. Sie | |
sprachen unter anderem darüber, wie die Kreativität der Clubkultur in | |
Ägypten behindert werde durch die Verflechtung von Marketing und | |
Musikproduktion. | |
## Subversiv? Nein, Oberschicht | |
Während das Entstehen des Clublebens in Teilen Europas gekoppelt gewesen | |
sei an die subversive Erprobung alternativer Lebensentwürfe, sei in Ägypten | |
die Clubkultur innerhalb einer Oberschicht entstanden, erzählt Zuli. Bis | |
heute können sich vorwiegend Expats und reiche Ägypterinnen den Clubbesuch | |
leisten. | |
Clubbetreiber und Musikerinnen sehen sich darüber hinaus nicht nur mit | |
willkürliche Schikanen durch die konservativen staatlichen Behörden | |
konfrontiert, sondern auch mit gesellschaftlichen Barrieren, etwa die in | |
allen Bevölkerungsschichten verbreiteten ethnozentrischen und sexistischen | |
Denkweisen. „Die weiblichen Rollenmuster in Ägypten gleichen den | |
amerikanischen aus den 1950ern“, erzählt Bosaina, die schon bei Gigs | |
unterbrochen und gebeten wurde, mehr Kleider anzuziehen. | |
Die Bigotterie von Behörden und Öffentlichkeit treffe dabei auch die | |
Clubbesucher: Frauen mit Kopftuch sind meist ebenso unerwünscht wie die | |
LGBT-Community, deren Mitglieder unter schwammiger gesetzlicher Grundlage | |
immer wieder verhaftet werden. | |
## Was die Kreativität hemmt | |
Als besonders kreativitätshemmend empfinden die KIK-Mitglieder aber eine | |
Erwartungshaltung, die ihnen als ägyptischen Künstlern Aufmerksamkeit nur | |
dort gewährt, wo sich orientalische Einflüsse in der Musik ausmachen lassen | |
oder aber eine politische Agenda. Es ist dieses hartnäckige | |
Schubladendenken, gegen das die Mitglieder von KIK Strategien entwickelt | |
haben, einzeln und insbesondere als Kollektiv: ironische, subversive, offen | |
auf den Tisch gelegte. | |
Paradox: Während des Panels entsteht gerade durch den Distinktionsgestus | |
wieder ein festes Narrativ. Bleibt folglich ein Ausweg, sich von | |
Erwartungsmustern zu befreien: das Mischpult. Während des eingespielten | |
Sets von KIK entsteht aus den einzelnen Impulsen ein organisches Ganzes, | |
das aber immer wieder überraschend gekippt wird, abbricht, neu ansetzt. Man | |
darf das nicht als Protest missverstehen. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Mirja Gabathuler | |
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