| # taz.de -- Musikfestival „Heroines of Sound“: „An der Quote führt kein … | |
| > Das Berliner HAU-Theater feiert mit dem Festival Frauen in der frühen und | |
| > aktuellen Elektro-Szene. Ein Gespräch mit den Kuratorinnen. | |
| Bild: Trotzdem tobt die Menge: DJanes sind meistens schlechter bezahlt und weni… | |
| taz: Frau Loschelder, Frau Wackernagel, die Sichtbarkeit von Frauen ist ein | |
| generelles Problem – Geschichte wurde über Jahrhunderte fast nur aus | |
| männlicher Perspektive geschrieben. Ähnlich ist es in der Musik: | |
| Komponistinnen sind – bis auf Ausnahmen wie Klara Schumann – kaum | |
| vertreten. | |
| Mo Loschelder: Wenn niemand über sie spricht, kennt sie auch keiner. Das | |
| ist ja auch im Bereich Programmierung so. Es war in den Anfängen mal ein | |
| Frauenjob, quasi als natürliche Konsequenz des Sekretärinnenberufs. Erst | |
| das Werbeimage von IBM und Macintosh hat den männlichen Nerd geschaffen. | |
| Und damit die Frauen an Computern aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt. | |
| Sie steuern dagegen: Am Wochenende findet in Berlin zum dritten Mal das von | |
| Ihnen mitorganisierte „Heroines of Sound Festival“ statt. Es widmet sich | |
| ausschließlich Frauen: Pionierinnen, aber auch zeitgenössischen | |
| Vertreterinnen der experimentellen elektronischen Musik. Was hat Sie dazu | |
| bewogen? | |
| Bettina Wackernagel: Sowohl in der Performance- und Videokunst als auch in | |
| der elektronischen Musik gab es viele Künstlerinnen, die Maßstäbe gesetzt | |
| haben, deren Rezeptionslinien jedoch abgebrochen sind, darunter die | |
| Komponistinnen Beatriz Ferreyra und Christine Groult, die auf dem Festival | |
| auftreten. Und wir fragen: Warum? Es gab ja trotz aller Hürden viele Frauen | |
| in dem Bereich. Laurie Spiegel hat in ihrem Studio sehr kontextbezogen | |
| gearbeitet und mit der „Music Mouse“ eine für die Popkultur wichtige | |
| Musiksoftware geschrieben. Trotzdem sind diese Frauen in der Öffentlichkeit | |
| weitgehend unbekannt – selbst Suzanne Ciani, die mit dem Buchla-Synthesizer | |
| (Anm. d. Red.: erster moderner Synthesizer), die sehr präsent und oft in | |
| die David-Letterman-Show eingeladen worden war. | |
| Frau Loschelder, Sie waren in den frühen 90er Jahren DJ in Berlin und haben | |
| hier im Plattenladen Hardwax gearbeitet, der für Clubmusik von | |
| internationaler Bedeutung ist. Heute leiten Sie eine Booking-Agentur und | |
| vertreten Künstlerinnen wie Gudrun Gut, Acid Maria und Electric Indigo. Sie | |
| haben mal gesagt, dass Sie auf diesem Feld feministisches Denken nicht | |
| ausblenden können. Was sind Ihre Erfahrungen als Frau im Musikbetrieb? | |
| Loschelder: Als ich begann aufzulegen, war es noch spürbar, dass es eine | |
| Männerdomäne ist. Das galt für Clubs wie für Plattenläden. Es gab Hürden, | |
| die man kaltschnäuzig überschreiten musste. Ich wurde zum Beispiel bei | |
| Hardwax eingestellt, um Freundlichkeit hereinzubringen. Heute ist es nichts | |
| Besonderes mehr, als Frau zu djen. Doch aus meiner Erfahrung als Bookerin | |
| muss ich sagen, dass die Gagen immer noch weit unter dem Niveau der | |
| männlichen Kollegen liegen, selbst wenn sie gleich berühmt sind. | |
| Können Sie sich das erklären? | |
| Loschelder: Ich kann leider nur spekulieren, aber vielleicht liegt es | |
| daran, dass viele denken, Frauen seien sozialer und würden sich auf | |
| niedrigere Gagen einlassen. | |
| Wackernagel: Das gilt ja nicht nur für Musik, sondern auch in der bildenden | |
| Kunst und vielen anderen Bereichen. Seit den neunziger Jahren konzipiere | |
| ich Festivals zu interdisziplinären Aspekten zeitgenössischer Musik und | |
| elektronischer Medien. Für mich war dabei ganz klar, zu fragen: Wo gibt es | |
| einen gesellschaftlichen, politischen Bedarf? | |
| Mit der elektronischen Musik ging ja mal die Idee einher, das | |
| Geschlechtsspezifische loszuwerden, etwa mit der Verfremdung von Stimmen | |
| wie dem heute in vielen Popsongs verwendete Autotune-Effekt. Dennoch: Gibt | |
| es eine spezifisch weibliche Herangehensweise in der experimentellen | |
| elektronischen Musik? | |
| Wackernagel: Es gibt tatsächlich viele Komponistinnen, die Stimme und | |
| Elektronik verbinden. Wir haben mit Werken der Stimmvirtuosin Cathy | |
| Berberian, die viel mit dem Komponisten Luciano Berio zusammengearbeitet | |
| hat, einen Schwerpunkt in unserem Festivalprogramm. | |
| Loschelder: Ich würde widersprechen. Es mag tendenziell mehr Frauen geben, | |
| die ihre Stimme benutzen. Aber viele verzichten ganz bewusst darauf, um | |
| eine geschlechtslose Musik zu schaffen. Lucretia Dalt hat zu Beginn noch | |
| ihre Stimme eingesetzt, verzichtet aber heute bewusst darauf, um sich | |
| selbst aus dem Stimmkörper zu befreien und der klassischen Sängerin-Rolle | |
| zu verweigern. | |
| Und wie steht es um den Sound. Lässt sich das Weibliche heraushören? | |
| Loschelder: Ich würde sagen ja. Ich finde, Frauen achten vielmehr auf den | |
| Lautstärkepegel, wenn sie live spielen oder auflegen. Außerdem sind sie | |
| experimentierfreudiger. Electric Indigo legt ja regelmäßig im Berghain auf | |
| und bekommt oft Szenenapplaus. Vermutlich, weil sie es wagt, Brüche | |
| einzugehen und auch mal leiser zu spielen. Männliche Musiker und DJs gehen | |
| oft auf Nummer sicher und setzen nur auf Intensität. | |
| Frauen, die in Künstlerberufen Erfolg haben, werden oft als Ausnahme | |
| bezeichnet, eine Art positive Diskriminierung. Wie lässt sich diesem | |
| Teufelskreis entkommen, einerseits Frauen den berechtigten Raum zu geben, | |
| was andererseits aber selbstverständlich sein sollte. | |
| Wackernagel: Auch Komponisten wie Stockhausen sind Ausnahmen, aber sie | |
| waren wie auch komponierende Frauen keine singulären Erscheinungen. Die | |
| Komponistinnen der frühen elektronischen Musik waren zahlreich und | |
| erfolgreich. Ich freue mich daher über das gestiegene Interesse an | |
| Festivals mit weiblichen Protagonistinnen. | |
| Außerhalb Berlins ist das anders. Kürzlich hat die Musikjournalistin Lauren | |
| Martin auf Twitter die kroatische Ausgabe des „Dekmantel Festivals“ | |
| kritisiert: Von 76 Künstlerinnen seien nur sieben weiblich. Frau | |
| Moschelder, was sind ihre Erfahrungen als Bookerin? | |
| Loschelder: Ich erlebe das auch oft. Wenn ich bei Festivals mit rein | |
| männlich besetztem Line-up vorschlage, eine meiner Künstlerinnen zu buchen, | |
| wird das gern als Diskriminierung bezeichnet. Angeblich gehe es nur um den | |
| Sound und nicht um das Geschlecht. Solange so argumentiert wird, ist es | |
| berechtigt, rein weiblich besetzte Festivals zu machen. | |
| Das feministische Netzwerk „female:pressure“, das Sie beide unterstützen, | |
| hat 2015 eine weltweite Statistik über Line-ups erhoben. Im Schnitt sind | |
| nur 10 Prozent Frauen vertreten. Müsste da nicht eine Art Festivalquote | |
| her? | |
| Loschelder: Ich bin definitiv dafür. Ich weiß, dass die meisten Festivals | |
| von öffentlichen Geldern finanziert werden. | |
| Wackernagel: An einer Quote führt kein Weg vorbei. | |
| Was können junge Musikerinnen, die etwas dagegen unternehmen wollen, tun? | |
| Haben Sie einen Tipp? | |
| Loschelder: Netzwerke gründen. So wie es Männer seit Jahrhunderten mit | |
| Stammtischen oder Ähnlichem machen. „Female:pressure“ wurde 1998 von | |
| Electric Indigo und Acid Maria gegründet und hat heute weltweit mehrere | |
| tausend Mitglieder. | |
| Wackernagel: Feminismus ist ja heute ein Pop-Phänomen. Er wird in | |
| Lifestyle-Magazinen diskutiert, und T-Shirts, auf denen „I’m a feminist“ | |
| steht, sind ein Kassenschlager. Diese dritte Welle des Feminismus wird vor | |
| allem von jungen Künstlerinnen aktiv im Netzwerk genutzt. | |
| Loschelder: Aber auch hier ist Berlin eine Ausnahme. Ich war im September | |
| in Prag, wo ich eingeladen war, einen Vortrag über die Präsenz von Frauen | |
| auf der Bühne zu halten. Viele haben in der tschechischen Szene nach wie | |
| vor große Probleme, Fuß zu fassen. Der Begriff Feminismus ist dort immer | |
| noch sehr negativ besetzt. | |
| 8 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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