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# taz.de -- Deutscher Terror gegen den Islam: Jede Woche ein Angriff
> Mehr als 400 Anschläge auf Moscheen zählt das BKA seit 2001. Recherchen
> von taz und Correctiv zeigen: Die tatsächliche Zahl liegt höher.
Bild: Ein mögliches Anschlagsziel: die Zentral-Moschee in Köln
BERLIN taz | Das tote Ferkel hat die Polizei mitgenommen, zur
Spurensicherung. Ende Februar wurde es auf dem Baugrund gefunden, auf dem
die zweite Moschee Ostdeutschlands entstehen soll. Alle Spuren der
Schändung sind nun verwischt. Dass auf dem zugewachsenen Gelände im
Leipziger Stadtteil Gohlis bald eine Moschee mit Kuppel und Minaretten
stehen soll, ist schwer vorstellbar.
Nicht für Bauherr Rashid Nawaz. „Auf dieser Seite ist der Eingang.“ Er
deutet mit dem Finger in Richtung eines kleinen Wäldchens. „Und dort
hinten, neben der Straße, die beiden Türme.“ Noch in diesem Jahr sollen die
Bauarbeiten beginnen. Es wäre die 48. Moschee der muslimischen
Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland – eine von rund 150 im Land, die am Bau
klar erkennbar sind.
Bei kaum einer anderen gab es so viel Widerstand wie in Leipzig. Als die
Pläne bekannt wurden, spießten Unbekannte auf dem Grundstück fünf blutige
Schweineköpfe auf Holzpflöcke. Neben NPD und AfD wollen auch ein Teil der
CDU sowie die rund 10.000 Anhänger der Initiative „Gohlis sagt Nein“ den
Moscheebau verhindern. Gegen die Baugenehmigung der Stadt haben sie
Einspruch eingelegt.
Gegner der Moschee warnen auf Facebook vor der Islamisierung Deutschlands.
Doch ihren Vorbehalten gegen Muslime als Terroristen und geflüchtete
Sozialschmarotzer lassen sie nicht nur im Netz freien Lauf. „Mutti Merkel“
stand auf dem Ferkel-Kadaver auf dem Baugrund – womit die Kanzlerin für
ihre Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen beleidigt werden sollte. Die
Botschaft ist unmissverständlich: Wir wollen euch Muslime hier nicht haben.
„Die Stimmung in Sachsen hat sich in den letzten beiden Jahren
verschlimmert“, sagt Nawaz, Vorsitzender der ostdeutschen
Ahmadiyya-Gemeinde. „Viele denken, wir sind alle gewaltbereite Extremisten.
Sie wissen gar nicht, was der Islam ist.“
Betrachtet man BKA-Daten zu politisch motivierter Kriminalität seit 2001,
liegt Leipzig mit 10 Angriffen auf Moscheegemeinden an vierter Stelle
hinter Köln, Berlin und Hamburg – und das, obwohl in den neuen
Bundesländern nur 2 Prozent der rund 4 Millionen Muslime in Deutschland
leben. Die Zahlen zeigen aber auch: Die Gewalt steigt. 2010 gab es 23
Angriffe gegen Moscheen. 2015 waren es schon 75. Allein im letzten Quartal
waren es 27 Anschläge.
Auch wenn der Hass gegen Muslime zugenommen hat – er kam nicht erst mit
Pegida oder dem Protest gegen Flüchtlinge nach Deutschland. 416 politisch
motivierte Angriffe gegen muslimische Gebetsräume und Moscheen zählt das
Bundesinnenministerium von Anfang 2001 bis März 2016, darunter
Brandstiftungen und Sprengstoffanschläge. Sachbeschädigungen und
Nazi-Schmierereien machen mehr als die Hälfte der Fälle aus.
## Mit Tierblut verschmiert
So warfen Unbekannte bereits im September 2013 nachts mit schwarzer Farbe
gefüllte Luftballons gegen die Fassade und die Fenster des
Vogtländisch-Islamischen Zentrums im sächsischen Plauen. „Islam stoppen“
und „Deutsch bleibt deutsch“, schrieben sie an die Wand. Ein Jahr zuvor
waren auf den Treppenstufen der muslimischen Gemeinde Teile eines
abgetrennten Schweinekopfs abgelegt worden. Fenster und Fassade waren mit
Tierblut verschmiert worden, am Eingang stand mit graubrauner Farbe „weg“.
Ein Brandanschlag traf im August 2014 die Mevlana-Moschee in Berlin: Das
Feuer brach nachts in einem unfertigen Anbau aus, der komplett ausbrannte.
Die Fassade der Moschee war voller Ruß, die Ursache laut Polizei:
Brandstiftung.
Von 75 Straftaten gegen Moscheen 2015 stufen die Behörden zwei Drittel als
rechts motiviert ein. So wie in Dormagen: Nach Hakenkreuz-Schmierereien an
einer Moschee im Januar vergangenen Jahres zeigte der mutmaßliche Täter in
Tarnmuster-Jacke in Richtung einer Überwachungskamera den Hitler-Gruß. Auch
in Mögglingen führten im September Bilder einer Kamera zu einem 24- und
einem 26-Jährigen, die verdächtigt werden, eine Moschee mit Hakenkreuzen
beschmiert zu haben.
In die Kategorie politisch motivierter Kriminalität von Ausländern fallen 9
der 75 Delikte – wie der Fall einer türkischen Moschee in Bielefeld, die im
September vergangenen Jahres von einer Gruppe Vermummter angegriffen wurde.
Zu der Moschee gehört ein Vereinsheim der „Grauen Wölfe“, Hintergrund des
Angriffs war wohl der türkisch-kurdische Konflikt: Die etwa 25 Menschen
versuchten in das Gebäude zu kommen, zerbrachen die Scheiben von drei Autos
und sprühten PKK-Parolen an die Wand. Festgenommen wurde ein 23-Jähriger,
der laut Polizei „der Kurdenszene angehört“.
## Nicht alles wird zur Anzeige gebracht
Oft bleiben die Verursacher solcher Taten auf freiem Fuß. Bei den 75
Straftaten gegen Moscheen, die die Polizei 2015 zählte, ermittelte sie
gerade mal in 16 Fällen Verdächtige. Damit blieben mindestens vier von fünf
Delikten ungestraft.
Und: Die tatsächliche Zahl der Angriffe dürfte wesentlich höher liegen. Zum
Beispiel weil die Gemeinden nicht jeden Angriff bei der Polizei melden. Der
Berliner Imam Said Arif etwa hat vor ein paar Monaten nicht bei der Polizei
angerufen, als der Hilfshausmeister seiner Moschee an einem Morgen eine
Plastiktüte mit einem Schweinekopf darin entdeckte. „Er hat sie fachgerecht
im Biomüll hinter der Moschee entsorgt“, sagt Arif mit Ironie. „Ich habe
das selber erst zwei Wochen später erfahren.“ Fotos oder ein
Bekennerschreiben gab es nicht. Arif sparte sich die Anzeige. Auch, weil er
keine Lust auf die Opferrolle hat: „Wenn sich jemand die Mühe macht, einen
Schweinekopf zu besorgen, dann will er Aufmerksamkeit. Die will ich ihm
nicht geben.“
Mit seiner Zurückhaltung ist der Imam nicht allein. „Die Moscheegemeinden
bringen heute mehr Vorfälle zur Anzeige als noch vor ein paar Jahren“, sagt
Ulrich Paffrath von der Ditib-Akademie. „Doch gerade Drohbriefe oder
Beleidigungen werden selten zur Anzeige gebracht.“ Der Wissenschaftler ist
beim größten muslimischen Dachverband in Deutschland angestellt, um
Übergriffe gegen Moscheen und Gemeindemitglieder zu erfassen. Mit seinen
sieben Kollegen der Abteilung Bildung und Forschung hat Paffrath die
Übergriffe erfasst, die in keiner Polizeidatenbank auftauchen. „Allein in
den Jahren 2014 und 2015 waren das 85 Angriffe.“ Die Polizei habe im selben
Zeitraum 139 Delikte erfasst – fast jeder dritte Anschlag ist den Behörden
demnach unbekannt geblieben.
## „Nicht recherchefähig“
Denn selbst bei den offiziell erfassten Straftaten garantieren die
Kriminalämter keine Vollständigkeit. Im Vergleich zu antisemitischen
Delikten erfassen weder Bund noch Länder Straftaten gegen Muslime
gesondert. Also müssen die Polizisten antiislamische Vorfälle in ihren
Datenbanken suchen. Das scheint viele Bundesländer vor ein Problem zu
stellen. Das nordrhein-westfälische Innenministerium etwa antwortet auf
taz-Anfrage, die Informationen seien „nicht recherchefähig“.
In anderen Bundesländern behelfen sich die Behörden, indem sie ihre
Datenbanken nach dem Angriffsziel „Religionsstätte/Moschee“ durchsuchen.
Das setzt voraus, dass die Beamten bei der Erfassung der Tat das Wort
Moschee in das Beschreibungsfeld der Software tippen. Wenn nicht, taucht es
in keiner Statistik auf. Die Listen übermitteln sie ans Bundeskriminalamt.
Selbst bei dieser Methode fallen noch Straftaten aus der Statistik.
Denn bei einer Mehrfachtat, räumt die Bundesregierung auf eine
Parlamentarischen Anfrage der Linken im Bundestag ein, werde nur das
jeweils schlimmste Delikt aufgelistet. Schmiert also ein Neonazi ein
Hakenkreuz an die Moscheemauer und legt danach einen Brandsatz, so taucht
in der Polizeilichen Kriminalstatistik nur der versuchte Brandanschlag auf.
Zu diesem Datenschwund sagt die Bundesregierung lapidar: Anschläge auf
Moscheen oder Schändungen ließen sich „schon systembedingt“ nicht
herausfiltern. Das heißt, die Polizei weiß nicht, wie viele Straftaten
gegen Moscheen in ihren Datenbanken schlummern. Es sind also sicher mehr
als die offiziellen 416 Anschläge.
## Eine überfällige Kategorie
„Da islamfeindliche Straftaten bislang nicht gesondert erfasst wurden, gibt
es keinen belastbaren statistischen Überblick über das Ausmaß solcher
Taten“, kritisiert Ulla Jelpke. Seit Jahren setzt sich die
Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion für eine Erfassung antimuslimischer
Straftaten ein. Mittlerweile, nach dem Versagen der Behörden beim
rechtsextremen NSU, hätte die Bundesregierung Handlungsbedarf erkannt,
glaubt Jelpke. Ob auch alle Innenminister der Länder die Kategorie
„islamfeindliche“ Straftaten einführen wollen, ist jedoch noch offen. Einen
Beschluss fassen wollen die Minister auf der nächsten
Innenminister-Konferenz im Juni. Ab 2017 könnte die Änderung in Kraft
treten.
Dass die neue Kategorie im Analysesystem der Polizei überfällig ist, belegt
auch die Studie „Fragile Mitte“ vom Bielefelder Institut für
interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Demnach hatten 2014 17,5
Prozent der Deutschen islamfeindliche Einstellungen. Bei
demokratiekritischen Personen ist sie noch höher. Seit 9/11, heißt es in
der Studie, werden Türken, Afghanen oder Syrer nicht mehr als Angehörige
einer Nation, sondern als Vertreter ihrer Religion wahrgenommen. Seit den
Terroranschlägen von Paris und Brüssel sowie der Kölner Silvesternacht
dürfte die Zahl der Deutschen, die sich von Muslimen bedroht fühlen, noch
gestiegen sein.
Der Muslim Rashid Nawaz glaubt, dass der „ostdeutsche“ Hass auf Muslime vor
allem an fehlenden Begegnungen mit Muslimen liegt. Wie sonst könnte die AfD
im benachbarten Sachsen-Anhalt mit islam- und fremdenfeindlichen Äußerungen
auf Anhieb 24 Prozent der Stimmen gewinnen? Deshalb tourt Nawaz mit seiner
Gemeinde durch ostdeutsche Städte, um in Kontakt mit AnwohnerInnen zu
kommen. Das Motto der Info-Kampagne: „Liebe für Alle. Hass für Keinen.“
Die Recherchen wurden gefördert von der [1][Rudolf-Augstein-Stiftung] und
[2][Correctiv]
8 May 2016
## LINKS
[1] http://www.rudolf-augstein-stiftung.de/
[2] https://correctiv.org/
## AUTOREN
Ralf Pauli
Charlotte Gerling
## TAGS
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