| # taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Gewinner, die Verlierer führen | |
| > Das Fußvolk der Rechtspopulisten glaubt an Identität, die Führung ans | |
| > Geld. Gemeinsamkeit entsteht durch willkürlich definierte Feinde. | |
| Bild: Frauke Petry ist eine der neuen Unternehmerinnen, während Beatrix von St… | |
| Die Flüchtlingsfrage ist für rechtspopulistische Strategen ein idealer | |
| Ansatzpunkt zur Rekrutierung neuer Anhänger und Radikalisierung alter. Mit | |
| diesem Motiv kann man der Mehrheit Bilder, Erzählungen und Begriffe | |
| aufzwingen. Offensichtlich gibt es im Mainstream genügend Medien und | |
| Personen, die auf diesen Anstoß im gewünschten Sinne reagieren. | |
| Eine rechte Propagandamaschine trifft auf ihr Lieblingsmaterial, | |
| Opportunismus und Mitläufertum. Die eigentlichen Ziele des Rechtspopulismus | |
| indes gehen weit über das Aufhalten der „Flüchtlingsströme“ und die | |
| Betonung nationaler „Werte“ hinaus. | |
| Die Renationalisierung von Kultur und Politik scheint auf den ersten Blick | |
| vor allem eine Form der „Identitätspolitik“ zu sein. Immer wieder scheint | |
| die Authentisierungsfloskel auf: „die wahren Finnen“, „richtige“ Deutsc… | |
| Franzosen zuerst. Antiislamismus, die geile Erwartung der Schießbefehle an | |
| den Grenzen, Rassismus. Das ist das Angebot einer antimodernen, | |
| antidemokratischen und antieuropäischen Erzählung. | |
| Doch welches Interesse steckt dahinter? Zunächst verblüfft, wie viele | |
| Multimillionäre, wie viele Unternehmer und Vertreter eher von Kapital- als | |
| von Identitätsinteressen an den Spitzen der rechtspopulistischen Bewegungen | |
| in Europa und in den USA stehen. „Von unten“, wie ein nicht unerheblicher | |
| Teil ihrer Anhängerschaft, kommt da keiner. Die Trumps, Blochers, Le Pens | |
| sind Vertreter eines neuen Kapitals, das sich rasch und in zweifelhaftem | |
| Zusammenhang mit Krisen vermehrte. Frauke Petry ist eine der neuen | |
| Unternehmerinnen, während Beatrix von Storch als „Herzogin von Oldenburg“ | |
| eher alte Macht repräsentiert. | |
| Superreiche und Reiche, Vertreter der Finanzwirtschaft, der Oligarchen und | |
| des Feudalismus führen Menschen, die von der Angst um ihren Arbeitsplatz, | |
| um ihren Wohnraum umgetrieben werden. Was sagt uns das? | |
| ## Gemeinsamkeit wird künstlich hergestellt | |
| Die Führungsriegen der rechtspopulistischen Gruppierungen und ihr Fußvolk | |
| haben offensichtlich noch weniger gemeinsam als bei den von ihnen | |
| angegriffenen „Altparteien“. Gemeinsamkeit wird daher künstlich | |
| hergestellt, in einer vulgären, medienaffinen, aggressiven Sprechweise. | |
| Oder in der Konstruktion gemeinsamer, willkürlich definierter Feinde. Die | |
| Erzählung von Flut, Grenze, Verschwörung und Heilserwartung durch die | |
| Rückkehr zu Vor-Demokratie und Vor-Moderne muss irrational sein, weil sonst | |
| der Widerspruch zwischen ökonomischen Interessen oben und Aggressionsrausch | |
| unten rasch offenkundig würde. | |
| Schon Hannah Arendt hat in dieser brisanten Allianz von Kapital und Straße | |
| die Gewalt des Faschismus ausgemacht. Wir könnten uns das in etwa so | |
| vorstellen: Die Überschussenergien zweier „extremer“ Klassen: der einen, | |
| die von allem zu viel hat, zu viel Geld, zu viel Macht. Und der anderen, | |
| die von vielem zu wenig hat, nicht nur finanziell, sondern auch was | |
| demokratische Teilhabe und Bildung anbelangt. | |
| Fragt sich, warum VertreterInnen des neuen Reichtums unglamouröse | |
| Bewegungen führen, statt das Geld in Sankt Moritz zirkulieren zu lassen? | |
| ## Ein Krisensymptom des Neoliberalismus | |
| Die Antwort verblüfft zunächst: Der Rechtspopulismus in den hoch | |
| entwickelten Staaten des Westens ist ein Krisensymptom des Neoliberalismus. | |
| Denn die große Erzählung vom grenzenlos wirkenden Kapital, das sich in | |
| Grenzen gehaltene Arbeitskräfte zum Dumpingpreis sucht, ist nur die eine | |
| Seite. Die andere Seite besteht in der Notwendigkeit, immer neue Konflikte | |
| und Verlierer zu erzeugen. Nur aus Unterschieden kann Profit erzeugt | |
| werden. | |
| Deshalb zerfallen die Impulse des Kapitals in zwei gegenläufige Richtungen: | |
| In den der Globalisierung und in den der Spaltungen. Eine Fraktion der | |
| ökonomischen Elite verfolgt Weltoffenheit, Diversität, Europäisierung, die | |
| andere setzt auf Abgrenzung, Teilmärkte, Nationalisierung. | |
| Nur auf den ersten Blick erscheint es daher widersinnig, dass Gewinner der | |
| neoliberalen Entgrenzung zu Anführern von Bewegungen werden, die von | |
| Verlustängsten getrieben werden. Der neuen, rechtspopulistischen | |
| Führungsriege geht es in Wahrheit um Auflösung der sozialen | |
| Marktwirtschaft, Schwächung oder Abschaffung der parlamentarischen | |
| Demokratie und Entmachtung der liberalen Zivilgesellschaft. | |
| ## Militante Privatisierer | |
| Die rechtspopulistischen Bewegungen drücken neben den Ängsten und dem Hass | |
| der Verlierer im Neoliberalismus das Interesse seiner Gewinner aus: Sie | |
| sind das militanteste Instrument der Privatisierung. Der Rechtspopulist | |
| will in Wahrheit abschaffen, was er gegen die „Fremden“ zu verteidigen | |
| vorgibt: den Sozialstaat und den politisch-moralischen Grundkonsens, der | |
| dem Verwertungsinteresse des Krisenkapitals noch Hindernisse entgegen | |
| setzen könnte. | |
| Könnte man einem AfD-Anhänger die Augen öffnen durch den Hinweis darauf, | |
| dass er einem politischen Projekt nachläuft, das genau produziert, was er | |
| zu vermeiden hofft? Das Auseinanderbrechen der Gesellschaft. Die | |
| Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit. Entwertung der Kultur. Die | |
| Verrohung der politischen Diskurse und die Ausbreitung von Gewalt. Den | |
| Abbau von Bildungs- und Aufstiegschancen. Von einer Lügenpresse ganz zu | |
| schweigen. | |
| Die Rechtspopulisten bringen ihre Anhänger auf lange Sicht auch um ihre | |
| Zukunft. Denn die Globalisierung geht weiter: Man kann heute ein paar | |
| Flüchtlinge verjagen, aber man wird morgen dennoch keinen Job in einem | |
| internationalen Konzern bekommen, wenn man nicht gelernt hat, mit | |
| kultureller Vielfalt umzugehen. | |
| Rechtspopulismus wirkt wie ein Versprechen, in gute alte Zeiten | |
| zurückkehren zu können, die es nie gegeben hat. Aber zugleich entwickelt | |
| sich diese sich selbst erfüllende Prophezeiung zum ökonomischen Problem. | |
| Rechtspopulistische Parteien und „Führer“ können Macht akkumulieren, um d… | |
| Preis, dass sie ihre Städte, ihre Regionen, ihre Staaten von der | |
| Entwicklung abschneiden. Das Chaos, vor dem sie warnen und gegen das sie | |
| sich als Heilmittel andienen, richten sie selbst an. | |
| Der Rechtspopulismus scheint den Verlierern eine Stimme zu geben. In | |
| Wirklichkeit beraubt er sie um die Chancen für morgen. | |
| 27 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seeßlen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Frauke Petry | |
| Rechtspopulismus | |
| Schwerpunkt „Lügenpresse“ | |
| Beatrix von Storch | |
| Zukunft | |
| Paritätischer Wohlfahrtsverband | |
| antimuslimischer Rassismus | |
| Antiislamismus | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Hosen runter | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte Zukunft als Menschenrecht: Die Zurückeroberung der Zukunft | |
| Haben wir die Zukunft zu früh abgeschafft? Asyl müsste ausnahmslos allen | |
| Menschen ohne Zukunft gewährt werden, wäre sie Menschenrecht. | |
| Wirtschaft und Armut wachsen: Was die AfD wieder schwächt | |
| Der Wohlfahrtsverband hat sein Jahresgutachten zur Ungleichheit | |
| vorgestellt. Darin stehen Lösungsvorschläge gegen Rechtspopulismus. | |
| Kommentar Angriffe auf Moscheen: Schweineköpfe vor der Tür | |
| Der Hass auf Muslime hat viele Facetten, real und virtuell. Höchste Zeit, | |
| antimuslimische Straftaten gesondert zu erfassen. | |
| Deutscher Terror gegen den Islam: Jede Woche ein Angriff | |
| Mehr als 400 Anschläge auf Moscheen zählt das BKA seit 2001. Recherchen von | |
| taz und Correctiv zeigen: Die tatsächliche Zahl liegt höher. | |
| Debatte Zivilgesellschaft: Keine Angst vor dem Monster | |
| Es tobt der Hass auf Feminismus, Migranten und auch gegen den Islam. Einer | |
| Gesellschaft im Zustand moralischer Panik hilft nur Vernunft. | |
| Kommentar zur Performance der AfD: Die aalglatte Frau Petry | |
| Alle feiern den TV-Journalisten Tim Sebastian für ein kritisches Interview | |
| mit Frauke Petry. Doch damit hat er die AfD-Chefin nicht geschwächt. | |
| Essay Europa und die Flüchtenden: Die fehlende Solidarität | |
| Die europäische Idee ist an ihre Grenze gekommen. Doch sie ist nicht | |
| verloren. Es ist Zeit für eine Neubestimmung. | |
| Kolumne Hosen runter: Die dämonenhafte Schöne | |
| Das AfD-Traumpaar Petry/Pretzell hat der „Bunten“ ein Interview gegeben. Da | |
| sitzt jeder Satz. Ein Blick hinter die Kulissen. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Politik für die Konzerne? Schön wär’s! | |
| Deutschland zuerst? Die AfD ist stolzer Teil der Beschränkten, die beim | |
| Wort „Volkswirtschaft“ an eine nationalistische Kneipe denken. | |
| Acht Tipps zum Umgang mit der AfD: Schnappatmung hilft nicht | |
| Die AfD sitzt jetzt in acht Landtagen. Was tun? Ein paar Anregungen für | |
| eine selbstbewusste Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus. | |
| Das Personal der AfD: Burschenschaftler und Fundi-Christen | |
| Die Landtagswahlen haben jede Menge AfD-Abgeordnete in die Parlamente | |
| gespült. Was sind das für Leute? Eine Auswahl. | |
| Kolumne „German Angst“: Burn, Deutschland, burn | |
| AfD-Erfolge bei den Wahlen, der rechte Mob, eine untätige Polizei und | |
| verharmlosende Politiker: Nun ist es vollständig, das deutsche Volk. |