# taz.de -- 30 Jahre Tschernobyl: AKW-Trip ohne Geigerzähler | |
> Polnische Spiele-Entwickler bieten demnächst eine interaktive virtuelle | |
> Tour an den Ort der nuklearen Katastrophe an. | |
Bild: Das Hotel Polissija in der verlassenen Stadt Prypjat | |
Der Boden knirscht unter den Schuhen, wenn man durch den verlassenen | |
Vergnügungspark von Tschernobyl läuft. Das gelbe Riesenrad ist verrostet, | |
der Wind lässt das Laub rascheln. Nur spürt man den Wind nicht, denn | |
eigentlich ist man gar nicht in Tschernobyl. Die polnische Spielefirma „The | |
Farm 51“ hat einen Virtual-Reality-Dokumentarfilm entwickelt, mit dem man | |
den Ort der nuklearen Katastrophe von 1986 und die heutige Geisterstadt | |
Prypjat virtuell besuchen kann. Über ein Jahr haben sie dafür mit Drohnen | |
und 3-D-Kameras die Umgebung detailgenau aufgenommen. | |
„Tschernobyl ist ein gefährlicher Ort. Es ist zwar möglich, dort | |
hinzufahren, aber viele Menschen haben Angst davor“, sagt Lukasz Rosinski, | |
stellvertretender Leiter von „The Farm 51“. Erhöhte Strahlenwerte werden | |
dort noch heute gemessen. Zudem zerfällt der 30 Jahre alte Sarkopharg, der | |
den Unfallreaktor umschließt. Er wird gerade erneuert, damit kein | |
radioaktiver Staub austritt. | |
Mit Virtual Reality (VR) soll jeder Tschernobyl hautnah erleben können, | |
ohne Strahlengefahr. „Wie auf einer virtuellen Museumstour führt ein Guide | |
durch Prypjat und über das Reaktorgelände. Der Nutzer erfährt, was dort | |
passiert ist, und kann sich dabei frei bewegen und sich umschauen“, sagt | |
Rosinski. Das „Chernobyl VR project“ sei kein Spiel, betonen die | |
Entwickler. Etwas zu berühren oder mit einem der Autoscooter zu fahren ist | |
nicht möglich. Es ist aber interaktiv. So kann man mit einem Geigerzähler | |
den Grad radioaktiver Strahlung messen oder mit Suchaufträgen die Umgebung | |
erkunden. | |
Sich eigenständig mit Geschichte auseinanderzusetzen, findet der Historiker | |
Nico Nolden von der Universität Hamburg wichtig. VR ermögliche das. Nolden | |
arbeitet zu Geschichte in Videospielen und virtueller Erinnerungskultur. | |
„Geschichte ist immer auch Interpretation. Mit VR kann man einen Raum | |
schaffen, in dem der Nutzer eigene Erfahrungen sammelt und sich selbst ein | |
Stück Geschichte baut.“ | |
## Lob von Vitali Klitschko | |
Ukrainische Politiker unterstützen die Idee. „The Farm 51“ bekam so die | |
Erlaubnis, in einer der Kernkraftanlagen zu filmen. Die sind auf | |
gewöhnlichen Touristentouren nicht zugänglich. Besonders dem Kiewer | |
Bürgermeister Vitali Klitschko habe das Projekt gefallen, sagt Rosinski. | |
Klitschkos Vater soll einer der Liquidatoren gewesen sein, die nach dem | |
Unfall den radioaktiven Schutt entfernten. Er sei an Krebs erkrankt und | |
verstorben. | |
Persönliche Schicksale wie dieses will das „Chernobyl VR project“ zeigen. | |
In Videos erzählen Zeitzeugen ihre Geschichte. Ein 90-jähriger ehemaliger | |
Liquidator lebt noch immer in Tschernobyl und denkt nicht daran, | |
wegzuziehen. Die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana | |
Alexijewitsch beteiligt sich mit einem mahnenden Beitrag. In ihrer Heimat | |
hält die Regierung bis heute Informationen über die Katastrophe und ihre | |
Folgen unter Verschluss. | |
Virtual Reality steht laut Rosinski noch ganz am Anfang seiner technischen | |
Möglichkeiten. Nolden sieht darin eine große Chance für Museen, Geschichte | |
aufzubereiten. „The Farm 51“ hat bisher Kooperationen mit Schulen geplant. | |
„Wir haben einen Auftrag. Zu viele Menschen wissen nicht, was Tschernobyl | |
bis heute bedeutet. Gerade jüngere werden das besser mit VR verstehen als | |
durch eine Gedenkstätte.“ Das Projekt zeige, wie eine moderne | |
Erinnerungskultur aussehen kann. | |
Die finale Version von „Chernobyl VR project“ soll im Juni weltweit auf | |
Ukrainisch, Russisch und Englisch für Oculus Rift, Samsung Gear VR und Sony | |
PlayStation VR erscheinen. | |
26 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Nina Monecke | |
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