# taz.de -- Umgang mit niedrigen Renten: Vielen droht Altersarmut | |
> Die Rentenversicherung verschickt wieder „Renteninformationen“ – | |
> Dokumente der Ernüchterung für jene, die mäßig verdienen. | |
Bild: Die Rente ist sicher … niedrig | |
BERLIN taz | Es ist ein düsterer Tag für Millionen Beschäftigte: der Tag, | |
an dem sie die „Renteninformation“ bekommen, also den Brief, den die | |
Deutsche Rentenversicherung alljährlich an ihre Klienten verschickt und der | |
Auskunft gibt über die zu erwartende Rente, wenn man durchhält bis zur | |
Altersgrenze. | |
„600 Euro“, sagt Anna Karstädt, „mehr wird es nicht werden.“ Karstädt… | |
Jahre alt und als Altenpflegehelferin tätig, ist einer der Fälle, die von | |
Politikern gerne beschworen werden, wenn es um Altersarmut geht. Etwas über | |
1.600 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle verdient die | |
Pflegehelferin. | |
Karstädt hat als Langzeitstudentin in jüngeren Jahren einige | |
sozialversicherungsfreie Nebenjobs gehabt, dann das Tiermedizinstudium | |
geschmissen und erst im Alter von über 30 Jahren als Altenpflegehelferin | |
angefangen und ab da in die Rente eingezahlt. Sie wird bis zur Rente 35 | |
Jahre lang sozialversicherungspflichtig in der Pflege gearbeitet haben. | |
Eine harte Arbeit. | |
Trotzdem erreicht Karstädt nur den Wert von 600 Euro. Falls sie die | |
Beiträge aus ihrem gegenwärtigen Gehalt bis zum Rentenbeginn weiter | |
entrichtet. Sowohl die künftige Inflation als auch die künftigen jährlichen | |
Rentensteigerungen sind in der Zahl nicht berücksichtigt. Mit ihrer Rente | |
hätte Karstädt Anspruch auf eine Aufstockung durch die Grundsicherung, | |
deren Niveau derzeit im Schnitt bei 773 Euro netto liegt. „Am Ende muss ich | |
also doch zum Sozialamt“, sagt Karstädt trocken, „aber da bin ich nicht die | |
Einzige“. | |
## Provokation „Renteninformation“ | |
Die „Renteninformation“ ist zur Provokation geworden für Millionen | |
Beschäftigte, die kaum mehr verdienen als 2.000 Euro brutto. Das betrifft | |
nicht nur schlecht bezahlte Kräfte in der privaten Dienstleistung. Auch | |
Akademiker aus niedrig dotierten Kulturberufen erfahren aus der | |
Renteninformation, dass sie sich eigentlich sofort einen besser bezahlten | |
Job suchen müssten. Es sei denn, man hat noch eine gute Betriebsrente zu | |
erwarten, rechnet sich ein Erbe aus oder verfügt über einen wohlhabenden | |
Partner, der das Haushaltseinkommen in mittelschichtige Lagen hebt. | |
Die Rentenschwelle zur Grundsicherung ist politisch heikel. Denn diese Art | |
von Hartz IV im Alter bekommt jeder als eine Art staatliche Mindestrente, | |
auch wenn man seine besten Jahre in der Südsee verbrachte, ohne jemals in | |
die Rentenkasse einzuzahlen. Dass auf die Grundsicherung später alles | |
Ersparte auf der Bank angerechnet wird, auch ein Riester-Vertrag, macht es | |
zudem unattraktiv, für das Alter offiziell Geld zurückzulegen. | |
Die Sache wird noch düsterer, wenn man die Entwicklung des Rentenniveaus | |
betrachtet, denn die weist nach unten. Das Rentenniveau ist das Verhältnis | |
von Renten zu Löhnen und es kann rechnerisch dank der Rentenreformen bis | |
zum Jahre 2030 nochmal um ein Zehntel sinken. Auch das dürfte die Zahl der | |
Grundsicherungsempfänger nach oben treiben, die bisher bei nur drei Prozent | |
der Bevölkerung im Rentenalter liegt. | |
Kein Wunder, dass die Parteien händeringend Strategien suchen gegen den | |
Rentenfrust. Um das Rentenniveau, derzeit bei 47,8 Prozent, zu halten oder | |
gar wieder anzuheben, könnte man die Rentenformel wieder ändern. Das würde | |
höhere Beiträge erfordern und damit die Jüngeren belasten. Außerdem würden | |
von dieser Änderung auch gut gestellte Rentner profitieren, das muss man | |
nicht unbedingt wollen. | |
## Selbständige sind gegen Zwangsbeiträge | |
Eine andere Variante bestünde darin, mehr Beitragszahler in die gesetzliche | |
Rentenversicherung zu zwingen, also Selbständige darin einzugliedern, wie | |
es Unions- und SPD-Politiker früher schon und jetzt auch die Grünen in | |
einem neuen Gutachten wieder fordern. Selbständige wehren sich aber gegen | |
den Plan, ihnen einen „Zwangsbeitrag“ zur gesetzlichen Rente abzuknöpfen. | |
Die Erleichterung wäre auch nur kurz, denn Selbständige werden auch mal | |
Rentner und dann Leistungsempfänger. | |
Die SPD favorisiert eine Stärkung der Betriebsrenten als zusätzliche | |
Altersvorsorge. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat unlängst | |
ein Gutachten erstellen lassen. Danach sollen überbetriebliche | |
Versorgungsträger die Betriebsrenten für kleinere Unternehmen verwalten | |
können. So werden Betriebsrenten dann auch für kleinere Firmen interessant. | |
Neu dabei ist, dass Betriebsrenten auf den eventuellen späteren Bezug einer | |
ergänzenden Grundsicherung im Alter nicht oder nicht vollständig | |
angerechnet werden sollen, so das Gutachten. Sonst wäre auch die Motivation | |
zur Betriebsrente für Schmalverdiener schnell dahin. | |
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht der Plan, niedrige Renten zu | |
einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ aufzustocken, so dass | |
KleinrentnerInnen später nicht zum Sozialamt müssen. Andrea Nahles und | |
Sigmar Gabriel haben sich dafür ausgesprochen, Unionspolitiker warnen. Denn | |
Aufstockungsrenten werfen automatisch die Frage auf, wie lange man dafür | |
gearbeitet haben soll und wie viel der Partner haben darf. Woher das Geld | |
dafür kommen soll, ist ebenfalls noch völlig unklar. | |
Anna Karstädt setzt auf ihre Arbeitskraft oder einen schnellen Tod, je nach | |
Stimmung. „Kann gut sein, ich falle eines Tages einfach um. Dann hätte ich | |
auch von einer fetten Rente nichts mehr gehabt.“ | |
4 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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