# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Der Österreicher ist ein Wirbeltier | |
> Dass in Österreich ein Notstand herrscht, hat man am Wahlergebnis | |
> gesehen. Die Flüchtlinge haben damit nichts zu tun. Ein Wochenrückblick. | |
Bild: Der Grüne Alexander van der Bellen will in die Zukunft. Wo Norbert Hofer… | |
„Und, hast du schon Asyl in Deutschland beantragt?“, fragte mich ein | |
Kollege am Montag. Ich grinste versöhnlich und sagte etwas von Regen und | |
etwas von Traufe. Ja, es war ein harter Sonntag für ÖsterreicherInnen, aber | |
noch lange kein Grund, den Pass abzugeben, wie es etwa der Schauspieler | |
Elyas M’Barek ankündigte. Denn auch wenn das Ergebnis der | |
Präsidentschaftswahl mindestens bis zur Stichwahl am 22. Mai periodischen | |
Brechreiz bei mir hervorrufen wird, war es keine große Überraschung. | |
Es war auch kein Erdbeben – zumindest keines ohne Vorbeben. Was mein | |
Heimatland vergangenen Sonntag so erschüttert hat, ist die Realität. | |
Österreich ist schon längst gespalten. Es geht zwar nicht mehr um Rot oder | |
Schwarz und vielleicht auch gar nicht um FPÖ und Grüne. Sondern um Norbert | |
Hofer oder Alexander van der Bellen, rechts oder links, Blau oder nicht | |
Blau, Vergangenheit oder Zukunft. | |
Um Österreich zu verstehen, muss man seine politische Kultur verstehen. | |
Verdrängung ist hier ein Kulturgut, Raunzen eine Lebensphilosophie. Der | |
Österreicher hat eine angeborene Grundhaltung: Er ist dagegen. Auf dem Land | |
grundsätzlich mehr als in der Stadt, das ist nicht außergewöhnlich. Jedoch | |
muss man beim Studieren der Wahlergebnisse bedenken, dass Österreich im | |
Grunde nur eine Großstadt ist, umschlossen von ländlicher Gegend. | |
## Von wegen Notstand | |
Das österreichische Dagegensein ist manchmal sogar ganz nützlich – siehe | |
Atomkraft, da ist der Österreicher so grundsätzlich dagegen, dass sogar die | |
FPÖ dagegen sein muss. Und dann ist dieses Dagegensein wieder so | |
menschenverachtend, dass man sich fragt, wie der Österreicher noch schlafen | |
kann. Etwa wenn vergangenen Mittwoch das Asylgesetz weiter verschärft und | |
ein Artikel verabschiedet wird, mit dem die Regierung im „Notstand“ | |
praktisch keine Asylbewerber mehr ins Land lassen muss. | |
Asylverfahren sollen dann im Schnellverfahren an der Grenze durchgeführt | |
werden. Der Notstand tritt der Änderung zufolge ein, wenn die „öffentliche | |
Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit“ wegen hoher | |
Flüchtlingszahlen nicht mehr gewährleistet sind. | |
Man hat richtig vor Augen, wie die Wiener dieser Tage ihre Wampe im | |
Burggarten in die Sonne halten und an ihrem Spritzer nippen. Von wegen | |
Notstand. In Österreich wurden 2015 etwa 90.000 Asylanträge gestellt. Bei | |
über 8,5 Millionen Einwohnern. Heißt, auf 95 Österreicher kommt ein | |
Geflüchteter. Und das heißt wiederum, dass der einzige Notstand, den es in | |
Österreich gibt, im Parlament herrscht. Doch den Regierungsparteien hilft | |
auch die Anbiederung an rechts nicht mehr. Denn es sind nicht die | |
Flüchtlinge, es ist die Enttäuschung, die zu dieser Spaltung geführt hat. | |
## Mit Suppenlöffeln bewaffnet | |
Der Österreicher ist zwar ein Wirbeltier, es fehlt ihm aber dennoch | |
erstaunlich oft an Rückgrat. Deshalb wird er so gerne geführt. Sie können | |
jetzt sagen, das denke ich mir aus, aber ich habe dafür durchaus | |
historische Belege. Die SPÖ und ihre treuen Wähler, das war eine Symbiose, | |
eine harmonische Beziehung über Jahrzehnte. Ein stilles Versprechen: Ihr | |
wählt uns, dafür kümmern wir uns um alles. Die Roten übernahmen die | |
Kontrolle. Sie wurden staatstragend im bildlichsten Sinne. | |
Aber wie es so ist in Beziehungen, es wird irgendwann fad. Der Partner | |
beachtet einen nicht mehr, lässt die dreckigen Socken rumliegen. Die Mieten | |
werden immer höher, Blumen gibt es nur im Wahlkampf, denn Aufmerksamkeit | |
gibt es nur noch mit Hintergedanken. Die letzten Jahre der SPÖ wurden nur | |
noch durch jene getragen, die zu ihrer lebenslangen Bindung standen, den | |
Parteigenossen. Und von denen, die zu ängstlich waren, um zu gehen. So hat | |
das taktische Wählen lange beigetragen zum Machterhalt der SPÖ. | |
Und während die FPÖ stetig ihre Gräben grub, die ÖVP vom Konservativen ins | |
Rechtskonservative wanderte und die Grünen sich selbst vom populistischsten | |
Gerede der FPÖ nicht in Kampfstimmung bringen ließen, schaukelte man sich | |
in der SPÖ weiterhin die Eier. | |
Vergangenen Sonntag sind die Regierungsparteien dann mit Suppenlöffeln | |
bewaffnet zum Duell erschienen. Und es gab ein Gemetzel. Weder aus der SPÖ | |
noch aus der ÖVP gab es bisher eine offizielle Wahlempfehlung für Van der | |
Bellen. Realitätsverweigerung. | |
Selbst die Grünen-Chefin Eva Glawischnig wünscht sich nicht eine Wahl gegen | |
Hofer, sondern eine für Van der Bellen. Ein schöner Gedanke, doch das | |
Ergebnis der Stichwahl wird letztendlich nur davon abhängen, ob die | |
Sozialdemokraten und die Konservativen einen rechten Bundespräsidenten | |
Hofer verhindern wollen. Und Faymann? Der teilte am Donnerstag mit, alles | |
werde weitergehen wie bisher. Man könne weiterhin mit ihm rechnen. | |
30 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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