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# taz.de -- Wiener Vorzeigeviertel wählt Rechts: Beklemmend sauber
> Die Satellitenstadt Seestadt Aspern ist ein Prestigeprojekt der
> rot-grünen Wiener Stadtregierung. Trotzdem wählen viele die rechte FPÖ.
Bild: Seestadt Aspern im Wiener Bezirk Donaustadt, neue Straßen und ein Hang z…
Wien taz | „FPÖ is oasch“, steht in blauer Farbe an eine Holzwand gesprüh…
die den Rand der Seestadt Aspern von einer Baustelle abtrennt. Im Grunde
ist hier fast alles Baustelle. Trotzdem leben bereits 6.000 Menschen in der
neuen Satellitenstadt im größten Wiener Bezirk, der neben der Ordnungszahl
22 den Namen Donaustadt trägt.
Bevor die U-Bahn am Rande des Baugebiets an der Endstation hält, fährt sie
im Halbkreis um die bunten Betonwürfel, die von einem künstlich angelegten
See, frisch gepflanzten Bäumen, Baustellensand und einem Dutzend Kränen
umgeben sind. Vor dem Bau waren hier ein längst stillgelegtes Flugfeld und
weite Wiesen, durchzogen von gelbem Hahnenfuß und leuchtenden Mohnblumen,
die die Leere zwischen ein paar lose gestreuten Siedlungen von
Einfamilienhäusern füllten. Abends sieht man im grünen Gürtel um die
Seestadt auch jetzt noch Rehe und Hasen, aber das dürfte sich ändern. Denn
die Stadt wächst weiter. Wohnungen für 20.000 Menschen und 20.000 Jobs
sollen bis 2028 entstehen.
Es ist ein Prestigeprojekt der rot-grünen Stadtregierung. Die neuen Straßen
tragen fast alle Namen von bekannten Frauen: Gisela Legath, Ilse Arlt,
Janis Joplin. Frauen, die sich gegen den Nationalsozialismus engagiert
haben, die Menschen vor Verfolgung gerettet haben, Sozialdemokratinnen,
Arbeiterinnen und Künstlerinnen. Trotzdem lag die FPÖ hier bei der Wienwahl
2015 in zwei von insgesamt drei Wahlsprengeln mit Ergebnissen zwischen 35
und 44 Prozent vor der SPÖ.
Am Hannah-Arendt-Platz leben Roana Suppan-Stumpf und ihr Mann Roland Stumpf
im fünften Stock auf etwa 120 Quadratmetern. Vom Esstisch aus blickt man
auf gelbe Baukräne vor dem Horizont und die große begrünte Terrasse, auf
der es sich die zwei weißen Schäferhunde gerade schmatzend gemütlich
gemacht haben. Das pensionierte Ehepaar ist Teil der B.R.O.T- Baugruppe,
die Ende 2014 eingezogen ist. Die Gruppe bildete erst eine Gemeinschaft,
wählte den Ort, die Architektur und den Lebensbereich, gab den Bau in
Auftrag und bezog schließlich das Gebäude. Nun gibt es einen Musikraum,
eine gemeinsame Dachterrasse, eine Werkstatt und einen Meditationsraum.
## Alles Blau wie die FPÖ
„Es ist besser, als ich erwartet habe“, sagt Roana Suppan-Stumpf. „Es gibt
sehr viel Freiraum, und die Infrastruktur wächst schnell. Aber von dem
Ergebnis der Wienwahl hier war ich überrascht.“ Ihr Mann Roland schüttelt
den Kopf. „Ich nicht“, sagt er. „Wenn man weiß, wie sich die
Bevölkerungsstruktur hier zusammenstellt, dann ist man nicht überrascht. Es
sind viele FPÖ-Wähler hier, kleine Grätzeln sind grün bis schwarz, aber der
Rest ist blau.“
Ob man Verständnis für die Unzufriedenheit der Nachbarn habe? „Oft ist das
Jammern auf ziemlich hohem Niveau“, sagt Roana Suppan-Stumpf. Die
B.R.O.T-Baugruppe beschreibt sich auf ihrer Website als interreligiöse
Gruppe, die „Solidarität, Individualität, Gleichberechtigung der
Geschlechter und Toleranz lebt“. Dass aber eine Familie einzieht, in der
die Frau ein Kopftuch trägt, sei einer Bewohnerin des Hauses dann doch
nicht recht gewesen, erzählt das Paar.
Ganz Wien ist durchzogen von sogenannten Gemeindebauten. Die Architektur
reicht je nach Alter von schlicht über ziemlich hässlich bis zum imposanten
„Arbeiterbarock“. Es sind günstige Wohnungen, die von der Stadt vermietet
und verwaltet werden, auch heute noch ein europaweites Beispiel für
gelungene Wohnungspolitik.
## Spuren des „roten Wien“
Den Grundstein dafür legte die sozialdemokratische Regierung in den
zwanziger Jahren mit einem Wohnbauprogramm, finanziert durch eine
zweckgebundene Wohnbausteuer, die Vermieter entrichten mussten. Bis zum
Austrofaschismus errichtete das „rote Wien“ Wohnungen für rund 250.000
Menschen. Die Wohnraumspekulation, die Wien zuvor mehr als erbärmliche
Mietbedingungen beschert hatte, war beendet.
Heute gibt es rund 220.000 Wiener Gemeindewohnungen, in denen eine halbe
Million Menschen wohnt. Die Stadt ist somit die größte Hausverwaltung
Europas. Doch Wien wächst weiter, die Mieten steigen, und der letzte
Gemeindebau wurde im Jahr 2004 errichtet. Seither baut die Gemeinde Wien
nicht mehr selbst, sondern unterstützt den sozialen Wohnungsbau von
privaten Bauträgern finanziell, auch in der Seestadt.
Hier merkt man nicht, dass man mitten auf einer Baustelle steht. Die Häuser
versperren den Horizont. Es ist Nachmittag, auf den Straßen ist es ruhig
und beklemmend sauber. Viele junge Mütter gehen mit ihren Kindern durch die
Straßen, hier und da sieht man einen Bauarbeiter, die Müllabfuhr, mal eine
Kindergartengruppe, ein paar Rentner, und das war es auch schon. Die 6.000
Menschen, die hier wohnen, spürt man kaum.
## Willkommenspaket, Leihräder und Sammelgaragen
Im Park auf dem Hannah-Arendt-Platz wird gerade die Kirmes abgebaut. In
Haus Nummer 1 arbeitet das Stadtteilmanagement. „Die Neuankömmlinge kriegen
ein Willkommenspaket, einen Orientierungsplan, und wenn sie sich
eingerichtet haben, bringen wir auch Leute mit ähnlichen Interessen
zusammen. So hat sich unter anderem bereits ein Chor gebildet“, sagt
Leiterin Wencke Hertzsch, die vom Schreibtisch aus auf den Platz blicken
kann, wo der Bildungscampus errichtet wird.
Einige Bewohner müsse man erst mit den neuen Konzepten bekannt machen, sagt
sie. Die Konzepte, das sind etwa Leihradstationen oder die sechs
dezentralen Sammelgaragen, die die Seestadt zu einer beinahe autofreien
Kurzparkzone mit breiten Gehwegen macht.
Doch diese Konzepte stimmen nicht alle zufrieden, erzählt eine der
Bewohnerinnen in der angrenzenden Maria-Tusch-Straße. Hier reihen sich
kleine Geschäfte aneinander, eine Bank, ein Café, eine Pizzeria und ein
Ärztezentrum. Früher habe sie weniger Miete gezahlt und mehr
Einkaufsmöglichkeiten gehabt, sagt die blonde Frau, die etwa fünfzig ist
und nicht will, dass ihr Name genannt hat. „Ich mein’, schauen Sie sich um,
es gibt siebzig Prozent Ausländer hier. Wir sind nicht viele Österreicher.
Alle ziehen hier wieder weg, und für jeden Österreicher kommt wieder ein
Ausländer“, sagt sie, und man spürt, dass sie sich nicht das erste Mal
darüber aufregt.
## Ein Waffenschein für alle Fälle
„Wir haben sehr viele Arbeitslose, das merkt man ja schon an der Sprache.
Und fünfzig Prozent Anstieg der Kriminalität, lesen Sie mal die Zeitung.
Raub, Vergewaltigung, Mord. Ich mache jetzt einen Waffenschein“, sagt sie
laut. Ein junger Mann, der in der Nähe steht, sieht sie erschrocken an. Sie
lacht, er dann auch. „Ich bin ja sicher, dass der Hofer am Sonntag
gewinnt“, sagt sie und geht.
Beim ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl landete der Grüne Alexander
Van der Bellen hinter dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Auch im Bezirk
Donaustadt, einst ein roter Bezirk mit vergleichsweise hohem Einkommen, lag
Hofer mit 36 Prozent 10 Prozentpunkte vor den Grünen.
„40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund wohnen in der Seestadt
Aspern, und für mich sind das alles Donaustädter“, sagt
SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy am nächsten Tag in seinem Büro in
Kagran, einem Teil des 22. Bezirks. Vor seinem Eckschreibtisch steht ein
Kicker. Woran es liege, dass die SPÖ in ganz Österreich verliert? „Ich
denke, wir erreichen die Wähler nicht mehr. Ich glaube, wir sind immer noch
die Partei, die das Beste für den Wähler will. Aber wie heißt es:
Dankbarkeit ist keine politische Kategorie“, schnauft er, seine Hand
gestikuliert samt Lesebrille.
## „Klagen auf hohem Niveau“
Die Sorgen der FPÖ-Wähler versteht er nur zum Teil. „Den Leuten geht es
seit Jahren schlechter – und dabei ist es ganz egal, ob auf hohem Niveau
oder nicht. Wenn ich statt drei Wochen nur noch zwei Wochen in Urlaub
fahren kann, geht es mir ja auch schon schlechter. Viele Menschen haben
Zukunftsängste und die Arbeitslosigkeit steigt“, sagt Nevrivy. Das sei der
Nährboden für jene, die mit einfachen Antworten erklären, wie sie es besser
machen würden.
Aus der Opposition hinaus lasse sich der Finger leicht in die Wunde legen,
fährt Nevrivy fort. „Und für die FPÖ sind sowieso an allem die Ausländer
schuld. Das stimmt natürlich nicht. Aber das ändert nichts daran, dass es
die Menschen offenbar gerne hören, sonst würden sie ja uns wählen“, sagt
er. Dass die FPÖ mit ihrem Antiasylkurs gerade in der Donaustadt
erfolgreich ist, kann sich Nevrivy nicht erklären. „Wir haben gerade mal
250 Asylbewerber im Bezirk.“
20 May 2016
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
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Österreich
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