Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Besser mal ein Fass aufmachen
> Einfach „locker bleiben“ bei rassistischen Sprüchen? Nein. Und wer kein
> Interesse an Gleichheit hat, kann sich seine Ratschläge gleich ganz
> sparen.
Bild: Debra Lee, CEO vom Sender BET (Black Entertainment Television), überreic…
Was für eine „Rasse“ sie sei, wurde eine Freundin vor kurzem von einem
Kollegen gefragt. Auf ihrer Facebook-Pinnwand entwickelte sich, nachdem sie
diese Erfahrung gepostet hatte, eine lange Diskussion. Denn neben vielen
betroffenen Kommentaren ließ der in Deutschland aus unerfindlichen Gründen
sehr verbreitete Reflex, dass es „vielleicht ja gar nicht so gemeint war“,
ebenfalls nicht lange auf sich warten. Vielleicht sei das ironisch gemeint
gewesen, sie solle doch bitte nicht so ein „Fass aufmachen“.
Einfach mal „locker bleiben“, wenn jemand nur wissen wolle, wo sie
herkommt. Man werde ja im Ausland auch gefragt, wo man herkomme, das sei ja
jetzt alles wirklich nicht so schlimm. Und überhaupt: Irgendwann, in ein
paar Jahrhunderten, werde das alles kein Thema mehr sein. Es sei ja auch
schon viel besser als früher. Ob man nicht andere Probleme habe.
Der Inbegriff des Privilegiertseins ist ja, die Probleme anderer nicht
anzuerkennen, weil es nicht die eigenen sind. Die KommentatorInnen auf
Facebook argumentierten ganz auf dieser Linie, gaben aber natürlich
umgehend zu Protokoll, dass sie sehr wohl Ahnung hätten von Rassismus, weil
sie schließlich selbst People of Color (PoC) kannten. Sie ließen es sich
dennoch nicht nehmen, den „umgekehrten Rassismus“ anzuprangern und dass
Weißen ja ständig vorgeschrieben werde, was sie sagen dürften. Dabei habe
man nur eine andere Meinung, die diese PoC partout nicht zulassen wollten.
Menschen, die so argumentieren, sind vom gleichen Schlag wie diejenigen,
die in einer Diskussion über sexuelle Belästigung einer Frau sagen, dass
sie sich bitte nicht so anstellen, sich doch stattdessen lieber
geschmeichelt fühlen solle von den Avancen. Mit dem Nebensatz, dass man da
Expertise vorweisen könne, weil man immerhin auch eine Frau kenne. Aber
diese Männerfeindlichkeit! Man könne die Männer ja nicht immer weiter
einschränken, immer werde ihnen vorgeschrieben, was respektvoll ist. Und,
immerhin: Es sei ja alles schon viel besser als früher.
## Rassismus ist keine Meinung
Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, hat ein US-Bürger namens Don
Christy für die Feiertagsparade in Sheridan im Bundesstaat Indiana ein
Golfcart zu einem Umzugswagen umgebaut. Damit fuhr er einen winkenden
Pappmaché-Obama durch die Menge, der aus einer Kloschüssel herausragte und
vor dem ein Schild hing: „Lying African“. Christy sagte später, dass er
ein Unterstützer von Donald Trump und ein Patriot sei und dass er am
Unabhängigkeitstag eben ganz unabhängig seine Meinung sagen wollte. Er
fände seinen Wagen witzig.
Die Krux an der Sache ist: Rassismus ist keine Meinung. Hass ist keine
Meinung. Ausgrenzung ist keine Meinung. Vorsätzliche Beleidigung ist keine
Meinung und fehlende Höflichkeit auch nicht. Genauso wie Homophobie,
Transphobie, Bodyshaming (negative Beurteilung von Körpern) oder
Frauenfeindlichkeit keine Meinungen sind. Meinungen sind: Blau ist eine
schöne Farbe. Der Kaffee schmeckt scheußlich. Dieser Politiker weiß, wovon
er redet. Oder: Die Erde ist flach. Gut, Letzteres lässt ziemlich tief
blicken – aber bitte, jeder, wie er meint.
## Der Mythos vom „umgekehrten Rassismus“
Der US-Schauspieler und „Black Lives Matter“-Unterstützer Jesse Williams
hatte im Juni eine Auszeichnung für sein humanitäres Engagement verliehen
bekommen und hielt bei der Preisverleihung eine leidenschaftliche Rede über
die Unterdrückung der Schwarzen Menschen in den USA, die Teilung des Landes
und die Armut, die System habe. Er wolle die Freiheit nicht irgendwann, er
wolle sie sofort, sagte Williams.
Nun gibt es eine Petition, die darauf abzielt, dass er seine Rolle in der
TV-Ärzteserie „Grey’s Anatomy“ verliert. Die Begründung? „Umgekehrter
Rassismus.“ Williams sei in seiner Rede auf Weiße und auf Polizisten
losgegangen.
Doch umgekehrter Rassismus ist ein Scheinargument. Er existiert nicht, denn
Rassismus ist eine über Jahrhunderte gepflegte gesellschaftliche Struktur,
die PoC von Kindesbeinen an und in allen Lebensabschnitten begegnet. Der
Vorwurf des umgekehrten Rassismus suggeriert, man würde selbst an
Gleichheit glauben. Gleichzeitig vollzieht er einen Wechsel von der Täter-
in die Opferrolle und zielt im Grunde darauf ab, die eigenen Privilegien zu
erhalten, indem man jegliche affirmative Maßnahmen, die Ungleichheit und
Teilung aufheben sollen, fortlaufend kritisiert.
Einer der nachklingendsten Sätze aus Williams’ Rede war sinngemäß
folgender: Wenn du kein Interesse an der Gleichstellung von People of Color
hat, ist das okay, aber dann sag nicht denen, die ein Interesse daran
haben, was sie deiner Meinung nach tun sollen.
19 Jul 2016
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Black Lives Matter
Schwerpunkt Rassismus
Barack Obama
Schwerpunkt Rassismus
Österreich
Frauen in Führungspositionen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Donald Trump
Schwerpunkt Rassismus
Black Lives Matter
Berlin-Neukölln
Alexander Van der Bellen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Der Rote Faden: Deine Mutter ist Elite
Über die Schuld des Systems, vererbte Krampfadern, Nazis und das Frauenbild
von (muslimischen) Männern. Ein Wochenrückblick.
Kolumne Der rote Faden: Die Warnung vor der Warnung
Von Mythen aus der Schulzeit, dem deutschen Ku-Klux-Klan und der
österreichischen FPÖ, die am Nationalfeiertag von Bürgerkrieg spricht.
Wo Frauen Menschen sind: Göttingen ganz oben
Göttingen gehört laut einer Studie zu den frauenfreundlichsten Städten in
Deutschland – und das im misogynen Niedersachsen
Kolumne Der rote Faden: Was für 1 Sommerloch?
Sommerloch war ganz kurz im Juli, da hatten zwei Igel in Erlangen lauten
Sex. Aber derzeit sind auch die „weichen Themen“ gar nicht so irrelevant.
Eröffnungsrede von Melania Trump: First Lachnummer
Donald Trumps Gattin hat beim Parteitag der Republikaner eine Rede
gehalten. Die hörte sich verdächtig nach der von Michelle Obama an.
Obama und Bush in Dallas: Reden zu einem aufgewühlten Land
In Dallas beschwören Obama und sein Vorgänger die Einigkeit des Landes.
Aber Kritiker fragen: Was werden immer neue Appelle ändern?
Kolumne American Pie: Starke Statements
Die Bewegung „Black Lives Matter“ erfährt dieser Tage offene Solidarität
von schwarzen US-Sportlern. Nur weiße Athleten tun sich schwer.
Kolumne Der rote Faden: Zucchini und Hakenkreuz
Denkmuster abzulegen, ist gar nicht so einfach, aber es lohnt sich. In
Berlin-Neukölln, in Colmnitz und auf dem Balkon. Ein Wochenrückblick.
Kolumne Der rote Faden: Der Österreicher ist ein Wirbeltier
Dass in Österreich ein Notstand herrscht, hat man am Wahlergebnis gesehen.
Die Flüchtlinge haben damit nichts zu tun. Ein Wochenrückblick.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.