# taz.de -- Wo Frauen Menschen sind: Göttingen ganz oben | |
> Göttingen gehört laut einer Studie zu den frauenfreundlichsten Städten in | |
> Deutschland – und das im misogynen Niedersachsen | |
Bild: Brave Mädchen kommen in den Himmel. Die anderen kriegen in Göttingen ei… | |
GÖTTINGEN taz | Göttingen ist die frauenfreundlichste Stadt Niedersachsens. | |
So steht es zumindest in einer vom Magazin Focus in Auftrag gegebenen | |
Studie. Bundesweit landete die südniedersächsische Universitätsstadt auf | |
Rang acht. | |
Das ist ein positives Ergebnis für die Stadt. Christine Müller, | |
Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Frauenbüros in Göttingen, sieht | |
trotzdem weiter Handlungsbedarf: „Alle örtlichen Institutionen, die sich | |
für Gleichberechtigung einsetzen, sollten im besten Fall überflüssig sein. | |
Davon sind wir noch weit entfernt“, sagt sie. | |
Für die Studie wurden Jobs und Karrierechancen, Einkommen und | |
Qualifikation, frauenfeindliche Kriminalität sowie Spaß und Freizeit in den | |
77 größten deutschen Städten verglichen. Für Müller ist die vordere | |
Platzierung vor allem mit der jahrzehntelangen Arbeit der Frauenbewegung in | |
Göttingen zu erklären. | |
Viele der daraus entstandenen Initiativen wurden in den vergangenen | |
Jahrzehnten in die städtische Struktur integriert und institutionalisiert. | |
„Das Frauenhaus etwa, das im Fall von häuslicher Gewalt hilft, gibt es seit | |
über 30 Jahren in Göttingen und hat sich immer weiter professionalisiert“, | |
sagt Müller. | |
Zudem ist die Universität mit angeschlossenem Klinikum der größte | |
Arbeitgeber der Region. Von den über 12.000 Angestellten sind 61 Prozent | |
weiblich. „Die Industrie etwa, in der der Männeranteil üblicherweise | |
deutlich höher ist, spielt hier keine so große Rolle wie anderswo.“ | |
Beruflich gebe es deshalb für Frauen bessere Perspektiven als in anderen | |
Städten. | |
Die frauenpolitische Sprecherin der Göttinger Grünen, Rahima Valena, | |
verweist auf die Relativität des Ergebnisses: „Faktisch gibt es auch hier | |
noch, etwa was die Einkommen angeht, Ungleichheiten.“ Das durchschnittliche | |
Einkommen von Frauen ist laut der Studie in Göttingen rund 13 Prozent | |
niedriger als das der Männer. | |
Niedersachsenweit beträgt der „Gender Pay Gap“ rund 24 Prozent, bundesweit | |
20 Prozent. „Neben der rechtlichen muss es auch eine praktische Gleichheit | |
geben“, fordert Valena. Angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen | |
verweist Müller auch auf die politische Ebene: „Sowohl im gegenwärtigen | |
Stadtrat als auch auf den Wahllisten beträgt der Frauenanteil nur rund ein | |
Drittel“. Wenn man es mit dem Verfassungsgrundsatz auf Gleichberechtigung | |
ernst nehme, müssten die Parteien mehr Frauen für politische Ämter | |
aufstellen, sagt Müller. | |
Für Cornelia Klaus, Vorsitzende des Landesfrauenrats in Niedersachsen, ist | |
die Platzierung Göttingens ein ermutigendes Ergebnis, allerdings zeige es | |
nicht die landesweite Realität. Durch die große Bedeutung der Universität | |
in der Stadt seien frauenpolitische Themen präsenter als anderswo. Sie | |
verweist auf die Positionen anderer niedersächsischer Städte. Hannover | |
liegt auf Platz 35, Braunschweig und Osnabrück nur an 70. und 74. Stelle. | |
Vor allem aber dürfe in der Frage der Gleichberechtigung der ländliche Raum | |
nicht vergessen werden. | |
52 Prozent der niedersächsischen Bevölkerung lebt in kleineren Städten und | |
Dörfern. Gerade in den kleineren und mittelgroßen Städten und Gemeinden | |
müsse die Landesregierung die Geschlechtergerechtigkeit mehr fördern. „Im | |
besten Fall sind alle Kommunen, unabhängig von ihrer Größe, gleichermaßen | |
frauenfreundlich“, sagt Klaus. | |
Die rot-grüne Landesregierung bastelt derzeit an einem neuen | |
Gleichberechtigungsgesetz. Ziel ist es, dass der Frauenanteil im | |
öffentlichen Dienst erhöht wird. „Es kann nicht angehen, dass auch knapp 70 | |
Jahre nach dem Inkrafttreten des Gleichheitsgebots des Grundgesetzes Frauen | |
in manchen Führungsämtern erst knapp zu einem Viertel vertreten sind“, sagt | |
Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD). Bei Ämtern, in denen der | |
Frauenanteil unter 50 Prozent liege, sollten Frauen bei gleicher | |
Qualifikation wie männliche Mitbewerber künftig bevorzugt eingestellt | |
werden, sagte die Ministerin. | |
Klaus vom Landesfrauenrat hält das Gesetz für längst überfällig: „Das mu… | |
dringend in Kraft treten.“ Auch die Gleichstellungsbeauftragte Müller | |
fordert Verbesserungen: In der Göttinger Stadtverwaltung sei der | |
Frauenanteil in den oberen Positionen zu gering. „Für viele Frauen gibt es | |
auch hier noch eine gläserne Decke, die auch ziemlich sichtbar ist.“ | |
8 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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