# taz.de -- Johanne Modder über Macht und Aufstieg: „Von allein kommt nichts… | |
> Niedersachsens SPD-Landtagsfraktionschefin reflektiert darüber, wie sich | |
> Geschlecht und soziale Herkunft auf die Karriere auswirken | |
Bild: Stellt Männer in den Schatten: Johanne Modder, hier als frisch gewählte… | |
taz: Frau Modder, Sie sind eine der mächtigsten SozialdemokratInnen im | |
Norden. Wie wird frau das? | |
Johanne Modder: Das ist nicht planbar. Ich bin nicht irgendwann morgens | |
aufgestanden und habe gedacht, jetzt werde ich mal Politikerin. Aber ich | |
glaube, dass ich mir meinen Platz in der Politik hart erarbeitet habe. Das | |
wird einem nicht geschenkt. | |
Sie sind Vorsitzende der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag in | |
Hannover – und nebenbei auch Fraktionschefin in Ihrem Heimatort Bunde. Dort | |
amtieren Sie auch als stellvertretende Bürgermeisterin. Außerdem sitzen Sie | |
im Kreistag in Leer, sind Vorsitzende des SPD-Bezirks Weser-Ems und | |
Vize-Landesparteichefin. Ist das nicht alles wahnsinnig anstrengend? | |
Nötig ist jedenfalls eine sehr straffe Terminplanung. Mir ist ganz wichtig, | |
auch in der Kommunalpolitik verwurzelt zu bleiben. Nur so verliere ich die | |
Erdung nicht – und sehe, wie die Sachen, die wir in Hannover beschließen, | |
auf Gemeinde- und Kreisebene ankommen. Ich bin auch deshalb gerne | |
Kommunalpolitikerin, weil ich dadurch den Kontakt zu den Bürgerinnen und | |
Bürgern nicht verliere. | |
Leicht kann der Weg an die Spitze der Landtagsfraktion nicht gewesen sein: | |
Außer Ihnen gibt es in den 16 Bundesländern nur noch eine weitere | |
SPD-Landtagsfraktionschefin – Katja Pähle in Sachsen-Anhalt. Warum? | |
Für Frauen ist es offenbar noch immer schwierig, sich durchzusetzen. Ich | |
bin jedenfalls stolz darauf, die erste Frau an der Spitze der SPD im | |
niedersächsischen Landtag zu sein – das hat es vorher nicht gegeben. Ich | |
komme aus einfachen Verhältnissen und habe von meiner Mutter gelernt, dass | |
nichts von allein kommt. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, versuche ich, sie | |
zu 100 Prozent zu erfüllen. Als ich 2003 in den niedersächsischen Landtag | |
einzog, war ich froh und glücklich. Wenn meine Mutter das hätte erleben | |
können, hätte sie wahrscheinlich gesagt: Kind, was machst du da? Sie hätte | |
sicher kaum für möglich gehalten, dass eines ihrer Kinder irgendwann als | |
Abgeordnete in einem Parlament sitzt. | |
Auch der Chef der SPD-Bundestagsfraktion ist ein Mann. Gibt es bei den | |
Sozialdemokraten nicht doch die viel beschworene „gläserne Decke“, die | |
Frauen daran hindert, in wirkliche Spitzenpositionen vorzurücken? | |
Wir haben hier im Kabinett in Niedersachsen, auch auf Staatssekretärsebene, | |
ganz viele Frauen. Aber: Letztendlich überzeugt jede einzelne durch ihre | |
Persönlichkeit und ihre Arbeit. Allerdings gibt es ein frauentypisches | |
Problem … | |
Welches? | |
Wir Frauen hinterfragen uns vielleicht viel zu sehr, viel zu oft. Davon bin | |
ich auch selbst nicht frei. Uns wäre sicher in dieser Welt vieles erspart | |
geblieben, wenn Männer sich auch hin und wieder mal mehr hinterfragen | |
würden. | |
Gerhard Schröder, Kanzler aus Hannover, hat Frauen- und | |
Gleichstellungspolitik mal als … | |
… Gedöns! | |
… ja, Gedöns, bezeichnet. Hat Sie das geärgert? | |
Sehr! Das war eine Abwertung unserer Arbeit für wirkliche | |
Gleichberechtigung. Wir müssen auch heute, 2017, kurz nach dem | |
Internationalen Frauentag, verstehen, dass wir noch längst nicht da sind, | |
wo wir hinwollen. In der Politik sind wir gut unterwegs: Wir haben viele | |
Bundesministerinnen, wir haben eine Bundeskanzlerin. Jetzt müssen wir dafür | |
sorgen, dass Frauen auch in großen Wirtschaftsunternehmen verstärkt in | |
Spitzenpositionen aufrücken. | |
In Ihrer eigenen Fraktion sind von 49 Abgeordneten aber nur 16 Frauen. | |
Wieso? | |
Auch heute machen sich Frauen mehr Gedanken über die Vereinbarkeit von | |
Kindern, Familie und politischer Arbeit als Männer. Und tatsächlich fragen | |
sich Frauen stärker: Kann ich das? Und will ich das überhaupt? | |
Wie kommen Sie darauf? | |
Wenn Sie sich etwa die Arbeit einer Fraktionsvorsitzenden anschauen: | |
Natürlich habe ich viele Abend- und Wochenendtermine. Da kann man sich ganz | |
persönlich fragen: Will ich dieses Leben so führen? Und da werden | |
sicherlich einige Frauen sagen: Nein, das möchte ich persönlich nicht. Ich | |
hoffe aber, dass meine Arbeit an der Spitze der SPD-Landtagsfraktion | |
anderen Frauen Mut macht, den Weg in die Politik zu gehen. Denn für mich | |
war immer klar: Wenn du etwas verändern willst, dann musst du dich auch | |
einbringen. | |
Wenn Sie ihre wöchentliche Arbeitszeit zusammenrechnen: Sind es 80 Stunden | |
– oder mehr? | |
Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich will mich aber nicht beklagen. Ich | |
habe mich sehr bewusst, auch in Absprache mit meiner Familie, für diesen | |
Weg entschieden. Ich bin dankbar, dass ich dabei so viel Unterstützung | |
erfahre. Meiner Familie und auch der Partei. | |
War Ihr Mann eigentlich manchmal neidisch auf Ihre Karriere? | |
Nein, nie. Mein Mann hat mich immer unterstützt – etwa bei der Pflege | |
meiner Mutter, die ich bis zum Tod begleitet habe, obwohl ich bereits | |
begonnen hatte, mich vor Ort zu engagieren. Meine politische Arbeit habe | |
ich nur leisten können, weil ich die Rückendeckung meines Mannes und meiner | |
beiden Kinder hatte. | |
Sie stammen aus einer kinderreichen Familie aus Bunderhee, das liegt | |
südlich von Leer an der Grenze zu den Niederlanden. Einfache Verhältnisse, | |
haben Sie selbst gesagt. Hat Sie das geprägt? | |
Ja. Viel Geld hatten wir wirklich nicht. Meine Mutter hat mir und meinen | |
sechs Geschwistern einen Satz mitgegeben, der mich wirklich sehr geprägt | |
hat: Vergesst nie, wo ihr herkommt! Als zweitjüngstes Kind habe ich in | |
meiner Familie lernen müssen, mich auch durchzusetzen. Gleichzeitig hat | |
meine Mutter versucht, uns den Wert von Bildung zu vermitteln: Lernt, | |
lernt, lernt, hat sie immer gesagt – und bei jeder Gelegenheit mit uns | |
geübt. Deshalb ist mir auch Bildungsgerechtigkeit so wichtig, deshalb | |
kämpfe ich mit so viel Elan etwa für beitragsfreie Kitas. | |
Und wie sind Sie in Kontakt zur Politik gekommen? | |
Ich habe eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten gemacht. Meine Mutter | |
hätte mich auch zum Gymnasium geschickt, aber dafür war das Geld eben nicht | |
da. Ich habe dann die Pflege meiner schwerkranken Mutter übernommen. Und | |
nach ihrem Tod stand irgendwann der Bürgermeister meines Heimatortes Bunde | |
vor der Tür und sagte: Hanne, das kann’s noch nicht gewesen sein! Willst du | |
nicht in die Kommunalpolitik? Das war der Beginn. Später dann habe ich im | |
Wahlkreisbüro des SPD-Landtagsabgeordneten Helmut Collmann gearbeitet. Und | |
als er für sich entschieden hat, nicht mehr für den Landtag kandidieren zu | |
wollen, ist die Partei an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich | |
mir das vorstellen könnte, als Landtagskandidatin anzutreten. Ich habe mich | |
bei der ersten Nominierung zur Wahl 2003 dann gegen zwei Männer | |
durchgesetzt und meinen Wahlkreis seitdem immer direkt gewonnen. | |
Mittlerweile sind Sie selbst Großmutter. Glauben Sie, dass Ihre beiden | |
Enkeltöchter die gleichen Chancen haben wie Ihr Enkelsohn? | |
Wie die ganze SPD arbeite ich für Chancengleichheit und Gleichberechtigung. | |
Meine Enkelkinder zeigen mir, dass es richtig ist, sich politisch zu | |
engagieren. Die SPD ist die richtige Partei dafür, weil Sozialdemokratinnen | |
und Sozialdemokraten sich dafür seit mehr als 150 Jahren erfolgreich | |
engagieren. Und ich wünsche mir, dass meine Enkelkinder als Erwachsene | |
vielleicht sagen: Dafür, dass es gerecht zugeht, hat auch meine Oma | |
gestritten. | |
Mindert die soziale Herkunft die Zukunftschancen von Kindern aus | |
bildungsfernen Schichten nicht wieder viel stärker als die Frage, ob sie | |
männlich oder weiblich sind? | |
Natürlich hat die soziale Herkunft, der Zugang zu Bildung eine Bedeutung. | |
Aber die Herkunft bedingt nicht zwingend Bildungsferne. Das hat nicht | |
unbedingt etwas mit dem Beruf der Eltern zu tun. Wie gesagt, die | |
Lebensverhältnisse in meiner Kindheit waren einfach. Trotzdem war es das | |
größte Ziel meiner Mutter, dass aus allen ihren Kindern etwas wird. Das ist | |
ihr gelungen. Denn sie hat uns den Wert von Bildung vermittelt. Dafür bin | |
ich ihr bis heute dankbar. | |
12 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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