# taz.de -- Digitalisierung der Arbeit: Was als weiblich hoch im Kurs steht | |
> Die Arbeitswelt ist schrecklich, lasst sie uns feiern. Das ist das Credo | |
> des Buchs „Sheconomy“. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit wird als | |
> Chance beschrieben. | |
Bild: Freizeit und Arbeit gehen ineinander über | |
Die Arbeitsverhältnisse ändern sich mit Digitalisierung und Globalisierung | |
dergestalt, dass darin laut Christiane Funken die historische Chance für | |
Frauen liegt, endlich in den oberen Unternehmensetagen mitzumischen. | |
Bye-bye gläserne Decke – Flexibilisierung sei Dank. Die Soziologin | |
beschreibt den Rückzug traditioneller, patriarchal organisierter | |
Unternehmensstrukturen und die Ausbreitung neuer Formen des Arbeitens: | |
Kooperativ und kreativ werden in Projekten Produkte entwickelt, die | |
zunehmend immateriellen Charakter haben, Softwarelösungen etwa oder | |
Marketingstrategien. | |
Gefragt sind dabei Soft Skills wie Kommunikations- oder Teamfähigkeit. Im | |
Gegenzug gibt es Selbstverwirklichung, flache Hierarchien und vom | |
Unternehmen gestaltete Freizeit. Seinem Projekt soll sich das | |
unternehmerische Selbst mit Lust widmen, als ganze Person sei man heute | |
gefragt, meint Christiane Funken. | |
Dass diese Selbstverwirklichung im Arbeiten aber nicht nur positiv ist, | |
weiß auch die Autorin. Die meisten Menschen, schreibt sie, gehen heute | |
nicht mehr zur Arbeit – sie sind schon da, sobald sie aufwachen. Sie | |
beschreibt, wie Entgrenzung, wie das Ineinanderfließen von Privatem und | |
Arbeit massive Belastungen verursacht und seinen Ausdruck in | |
Schlaflosigkeit, Depressionen und Burn-out findet. | |
Das ist alles nicht neu und wird auch unter dem Stichwort Feminisierung der | |
Arbeit diskutiert. Gemeint ist damit nicht nur ein Wandel in der | |
geschlechtlichen Verteilung der Arbeit, sondern auch die enorme | |
Prekarisierung der Arbeitsbedingungen: Unterbezahlung, informelle Arbeit, | |
befristete Verträge. Aber in genau diesen Arbeitsbedingungen sieht | |
Christiane Funken die Chance für Frauen. Qua Sozialisation seien sie seit | |
Jahrhunderten – etwa als Mütter – mit Stress, Empathie und | |
Selbstorganisation vertraut. Das klingt zynisch: Weil Frauen Entgrenzung | |
nicht fremd ist, sind sie für die neue Arbeitswelt bestens gerüstet. | |
Für Christiane Funken liegen die problematischen Aspekte vor allem im noch | |
nicht abgeschlossenen Übergang von einer Arbeitskultur zur nächsten: Da | |
werde einerseits Flexibilität erwartet, andererseits aber auch die | |
Nine-to-five-Anwesenheit am Arbeitsplatz. Dabei würden heute viele gerne am | |
frühen Nachmittag die Kinder von der Kita abholen und dafür abends von zu | |
Hause noch einmal richtig ranklotzen. Funken legt Frauen deshalb ans Herz, | |
in die bislang verschlossenen Firmenbereiche einzudringen und den Wandel | |
mitzugestalten. | |
Die Ratschläge, die sie aufstiegswilligen Frauen gibt, sind allerdings | |
bekannt: Selbstwertgefühl entwickeln, „impression management“ optimieren, | |
netzwerken, dann klappt es auch mit der Führungsebene. Nur: Die gläserne | |
Decke gibt es doch nicht deshalb, weil es Frauen an Fähigkeiten zum Führen | |
mangelt – sondern weil sie ihnen abgesprochen werden. Warum sollte sich das | |
jetzt ändern? | |
Die, die den Aufstieg schaffen, beauftragt Funken mit der Gestaltung der | |
neuen Arbeitswelt. Letztlich geht es ihr wohl darum, die Flexibilität zu | |
komplettieren. Dem eigenen Arbeiten Grenzen zu setzen, wird dann zu einer | |
unentbehrlichen Kompetenz. Allerdings kann die Arbeit nur zur Seite legen, | |
wer ausreichend Geld hat. | |
Problematisch ist, dass Funken diese Zustände als quasi naturwüchsig setzt. | |
Man mag die Entwicklung kritisieren, schreibt sie, fest stehe: Sie sei | |
nicht umkehrbar. Das mag sein. Warum aber den Fokus darauf richten, wie | |
frau sich in einer von Unsicherheit geprägten Arbeitswelt, in der für | |
viele spätestens im Alter Armut droht, am besten einrichten kann – statt | |
eine Arbeitswelt zu entwerfen, die frei ist von Selbst- und | |
Fremdausbeutung? | |
3 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Hilke Rusch | |
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