# taz.de -- Britische Universitäten nach dem Brexit: Das große Zittern | |
> Vom Erasmus-Studierenden bis zur Forscherin: An britischen Unis herrscht | |
> Unsicherheit, wie es nun weitergeht. | |
Bild: Unsichere Zukunft: Wie soll es an britischen Unis weitergehen? | |
BERLIN taz | Welche Auswirkungen hatte die deutsche Psychologie auf die | |
britische Literatur im 18. und 19. Jahrhundert? Diese und andere Fragen | |
haben deutsche und britische Wissenschaftler*innen gemeinsam mit | |
Kolleg*innen aus anderen europäischen Ländern in den letzten Jahren | |
zusammen erforscht. Gefördert durch die Europäische Union. Derzeit rätseln | |
viele allerdings vor allem über einer Frage: Welche Auswirkungen wird der | |
Brexit für sie haben? | |
Klar ist: Die grenzüberschreitende Forschung dürfte künftig komplizierter | |
werden, wenn Großbritannien aus der EU austritt. Denn dann muss | |
Großbritannien alle Verträge über die Forschungszusammenarbeit, aber auch | |
über den Austausch von Wissenschaftler*innen und Studierenden neu | |
verhandeln. Der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), | |
Horst Hippler, der sich kurz vor dem Referendum mit seiner britischen | |
Kollegin Julia Goodfellow von der Universities UK traf, prognostizierte | |
damals: „Neue Grenzen würden uns um Jahre zurückwerfen.“ | |
Deutschland und Großbritannien sind – nach den USA – die wichtigsten | |
Partner des jeweils anderen Landes. Gegenwärtig werden 971 | |
Forschungsprojekte, an denen beide Länder beteiligt sind, mit über 5 | |
Milliarden Euro gefördert, und zwar über das EU-Forschungsprogramm Horizon | |
2020. Das 80 Milliarden Euro schwere EU-Programm für Wissenschaft und | |
Innovation ist für die britischen Hochschulen zudem eine wichtige | |
Finanzierungsquelle. | |
Etwa ein Sechstel ihres Forschungsbudgets stammt von der EU, rund 19.000 | |
Jobs hängen laut der britischen Hochschulvereinigung Universities UK am | |
EU-Tropf. Die EU-Finanzierung ist für die britischen Unis in den letzten | |
Jahren noch wichtiger geworden, weil der Staat seine Zuschüsse drastisch | |
reduzierte. | |
Kein Wunder, dass die britischen Wissenschaftler*innen das Votum für den | |
EU-Austritt des Landes arg beunruhigt. Nach der Entscheidung appellierte | |
Goodfellow an die britische Regierung, nun dafür zu sorgen, dass britische | |
Wissenschaftler*innen und Studierende weiterhin Zugang zu EU-Programmen | |
haben, und sicherzustellen, damit sie auch künftig aus EU-Ländern auf die | |
Insel kommen. | |
Das betrifft in großem Maße auch deutsche Wissenschaftler*innen. Rund | |
5.200 forschen derzeit an britischen Einrichtungen, sie stellen die größte | |
Gruppe der ausländischen Uni-Mitarbeiter*innen im Vereinigten Königreich. | |
Eine von ihnen ist Nicole Janz, die 2009 mit einem EU-Promotionsstipendium | |
nach Großbritannien gekommen ist. | |
Heute arbeitet sie als Teaching Associate an der soziologischen Fakultät | |
der Universität Cambridge und forscht über die Auswirkung der | |
Globalisierung auf Menschenrechte. Ihr Vertrag in Cambridge läuft 2019 aus. | |
Und dann? „Das Schlimmste ist die Unsicherheit. Da wir nicht wissen, was | |
kommt, ist jeder total gestresst“, berichtet Janz über das vorherrschende | |
Gefühl unter den Wissenschaftler*innen. | |
Der Vizekanzler der Universität hat diese Woche eine Mail an alle | |
Mitarbeitenden verschickt: Man arbeite jetzt normal weiter. Eine eigens | |
eingerichtete Arbeitsgruppe prüft, was jetzt zu tun sei, und man werde eng | |
mit der Regierung zusammenarbeiten, „um sicherzustellen, dass Angestellte | |
und Studierende aus EU-Ländern weiterhin in diesem Land studieren und | |
arbeiten können“. | |
Janz beeilt sich derweil, geplante Anträge auf EU-Fördergelder für ihr | |
Forschungsprojekt abzuschicken. Derzeit könnten sich die Forscher im | |
Vereinigten Königreich für das EU-Forschungsprogramm weiter bewerben, | |
versichert Wissenschaftsminister Johnson. Aber wie lange noch? | |
Wissenschaftlerin Janz vermutet, dass sie nicht die Einzige ist, die sich | |
jetzt schnell noch um eine Zusage für EU-Mittel bemüht. | |
Auch bei deutschen Studierenden ist Großbritannien beliebt. Derzeit sind | |
knapp 14.000 an britischen Hochschulen eingeschrieben, mehr als ein Viertel | |
von ihnen mit einem Erasmus+-Stipendium. Für die Erasmus-Studierenden ist | |
das Studium kostenlos, die anderen zahlen die ermäßigten Studiengebühren | |
für Inländer*innen in Höhe von maximal 9.000 Pfund pro Jahr. Den Deutschen, | |
die künftig nach Großbritannien zum Studium reisen, drohen nun die höheren | |
„Übersee“-Studiengebühren für Ausländer*innen. Auf der anderen Seite si… | |
derzeit über 2.000 Briten mit einem Erasmus-Stipendium an deutschen | |
Hochschulen eingeschrieben. | |
Der britische Wissenschaftsminister Jo Johnson, der ältere Bruder von Boris | |
Johnson, der sich auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen hatte, | |
veröffentlichte am Dienstag eine Erklärung, die beruhigen sollte. | |
Erasmus-Studierende, die zurzeit oder im kommenden Jahr in Großbritannien | |
studierten, seien nicht betroffen, EU-Studierende, die Anspruch auf | |
nationale Stipendien oder Darlehen hätten, könnten mit diesen zu Ende | |
studieren. | |
## Konsequent reagieren | |
Nun bedeutet ein EU-Austritt nicht automatisch das Ende der Teilnahme an | |
Erasmus+ und Horizon 2020. So nehmen ja auch Länder, die nicht EU-Mitglied | |
sind, an den Programmen teil, zum Beispiel Norwegen. Doch die EU kann sehr | |
streng reagieren, wenn jemand sie infrage stellt. So schloss die | |
Europäische Kommission 2013 die Schweiz aus Erasmus+ aus, nachdem die | |
Schweizer in einem Volksentscheid gegen „Masseneinwanderung“ gestimmt | |
hatten. Die Schweiz musste danach ein Austauschprogramm aus eigenen Mitteln | |
aufbauen. | |
Die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Forschung | |
im deutschen Bundestag, Simone Raatz (SPD), spricht sich für ein | |
konsequentes Agieren gegenüber Großbritannien aus. Die Politik müsse zwar | |
nach Wegen suchen, die Zusammenarbeit fortzuführen – aber auf niedrigerem | |
Niveau. „Mir tun die jungen Leute leid, die sich mehrheitlich für einen | |
Verbleib in der EU ausgesprochen haben“, sagte Raatz der taz. | |
Raatz fürchtet aber auch Nachahmungseffekte in anderen EU-Ländern, wenn die | |
EU jetzt zu lax reagiert. In den Niederlanden wirbt die rechte Partei von | |
Geert Wilders ebenfalls für einen EU-Austritt. Und in den Niederlanden | |
studieren immerhin 24.000 deutsche Studierende. | |
1 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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